Das Entlastungspaket im Gerechtigkeitscheck
Die Regierung schüttet 65 Milliarden Euro an die Bürger aus. Doch profitieren wirklich die, die es brauchen? Eine bewertende Analyse, ob die Maßnahmen gerecht sind und ob sie ihren Zweck erfüllen.
Von Thorsten Giersch
Die Bundesregierung entlastet die Bürgerinnen und Bürger mit einem 65 Milliarden Euro schweren Paket. Das Ziel hatte der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil vorher so formuliert: „Wir müssen denen helfen, die wirklich in existenzielle Nöte geraten.“ Dies bedeute auch, dass Gutverdiener Einbußen erleiden, „aber das können sie verkraften.“ Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP muss sich messen lassen, ob die heute vorgestellten Maßnahmen gerecht und zielgerichtet sind.
Energiepauschale für Rentner, Auszubildende und Studierende:
Ökonomen bewerten positiv, dass diesen bedürftigen Gruppen direkt geholfen wird, anstatt Preise für Energie künstlich für alle zu senken – wie zum Beispiel beim Tankrabatt. Zudem ist es gerecht, dass auch diese Gruppen die Energiepreispauschale von 300 Euro bekommen, wenn es die zuvor auch für alle Berufstätigen gab. Trotzdem ist das Prinzip Gießkanne immer die zweitfairste Lösung: Ideal wäre, wenn Ältere mit wenig Rente mehr Hilfe bekommen als die, die eigentlich keine Hilfe brauchen. Aber das wäre pragmatisch wohl zu schwierig gewesen. Dass Studierende und Auszubildende nur 200 Euro statt 300 Euro bekommen, erschließt sich nicht und wirkt ungerecht. Zudem verschärft es das Gefühl, dass die junge Generation überproportional belastet wird.
Wohngeldreform mit mehr Berechtigten
Wohngeld ist ein Mietzuschuss für die Menschen, die sehr wenig Einkommen haben, aber keine Sozialleistungen verdienen. Die Reform war schon lange geplant und steht auch im Koalitionsvertrag. Im Zuge des dritten Entlastungspaketes wurden Details öffentlich. Von September bis Dezember bekommen Bezieher von Wohngeld einen weiteren Heizkostenzuschuss. Danach wird der Zuschuss dauerhaft ins Wohngeld integriert, was bis zu einer gewissen Höhe gerecht und zielgerichtet ist.
Erhöhung der Regelsätze für Bedürftige
Mit der geplanten Einführung des Bürgergelds Anfang 2023 sollen die Regelsätze für Bedürftige von 449 auf rund 500 Euro erhöht werden. Zielgerichtet ist die Maßnahme allemal, aber das Plus von über elf Prozent fällt proportional etwas zu hoch aus, um voll gerechtfertigt genannt zu werden.
Erhöhung des Kindergeldes
Zielgerichtet ist diese Maßnahme nur bedingt, weil Gutverdiener genauso von ihr profitieren wie Bedürftige. Zudem entsprechen die 18 Euro pro Monat kaum dem Mehraufwand für Energie, den ein Kind im Haushalt mit sich bringt. Ideal wäre gewesen, nur bedürftige Familien zu entlasten, dafür aber in Höhe der realen Mehrbelastungen.
Ein Nachfolger des 9-Euro-Tickets
Die Regelung steht unter dem Vorbehalt, dass die Bundesländer zustimmen. Das ist keinesfalls sicher, denn der Bund stellt „nur“ 1,5 Milliarden Euro bereit und damit eine Milliarde Euro weniger als für das 9-Euro-Ticket, das zudem nur drei Monate gültig war. Unabhängig davon und von der Frage, ob das Ticket 49 oder 69 Euro monatlich kosten wird, ist es nur auf den ersten Blick gerecht: Alle Steuerzahler finanzieren die Maßnahme, aber einige Bürger können von ihr selbst bei bestem Bemühen kaum oder gar nicht profitieren. Wer auf dem Land lebt und mangels Angebot defacto keinen Nahverkehr nutzen kann, hat deutlich weniger von einem günstigeren Ticket als die Bewohner der Großstädte. Zielführend ist dieses verständliche und pragmatische Ticket auf jeden Fall im Vergleich zur Vielstaaterei der Verkehrsverbünde.
Steuerfreiheit für Zusatzzahlungen an Beschäftigte
Wenn ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitenden eine Sonderzahlung gewährt und diese den Wert von 3000 Euro nicht überschreitet, ist sie nun steuer- und abgabenfrei. Diese Regelung ist zielgerichtet, weil diese Variante der Einmalzahlung als Inflationsausgleich attraktiver macht, was sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern aktuell sehr nützt. Und sie ist gerecht, weil sie auf 3000 Euro gedeckelt ist, also Gutverdiener nicht überproportional profitieren.
Fortschreibung der Homeoffice-Pauschale
Dass Berufstätige, die im Homeoffice arbeiten, jährlich bis zu 600 Euro von der Steuer absetzen können, war eine befristete Maßnahme und ist im Zuge des Entlastungspaketes auf „Ende offen“ gestellt worden. Da mehr Heimarbeit die CO2-Bilanz durch wegfallende Pendelei und Bürokapazität senkt, ist diese Maßnahme zielgerichtet, fair, familienfreundlich und vor allem zeitgemäß.
Einführung einer Strompreisbremse
Die Idee, den Anstieg der Netzentgelte zu dämpfen, ist noch sehr unkonkret und ohnehin zunächst auf europäischer Ebene zu besprechen. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm rät dazu, nicht in die Preisbildung im Großhandel einzugreifen, sondern eher die Gewinne von Stromerzeugern abzuschöpfen. Ein Preisdeckel hält sie für nicht zielgerichtet, da so kein Anreiz entsteht, Energie zu sparen.
Abschöpfen von Übergewinne der Stromlieferanten
Ironisch ist,, dass die, die Strom aus erneuerbaren Energien herstellen, von hohen Gaspreis stark profitieren. Dass man deren Gewinne nun abschöpfen will, klingt nicht zielführend im Hinblick auf die Energiewende.
Auf der anderen Seite ist unklar, ob die Hersteller die Gewinne eins zu eins in den Ausbau von Windkraftanlagen und Co stecken würde. Zweitens wurden die Firmen jahrelang durch die EEG-Umlage gepämpert. Deswegen ist eine zusätzliche Steuer durchaus gerecht.
Ist das Paket gerecht im Hinblick auf jüngere Generationen?
Nein. Und das ist der entscheidende Kritikpunkt des Entlastungspaketes. Die 65 Milliarden Euro für das heute verkündete Entlastungspaket gilt es zu addieren mit den 30 Milliarden Euro für die ersten beiden Pakete. Irgendwer muss das bezahlen. Die Generationengerechtigkeit ist hier zwar scheinbar gegeben, wenn man der Argumentation der Regierung glaubt: Es ist kein Nachtragshaushalt nötig. Ab 2023 greift die Schuldenbremse wie geplant. Die ironische Pointe: Durch die Inflation hat der Staat höhere Steuereinnahmen, weswegen ein Puffer entstanden sei, der aber eher auf einen einstelligen Milliardenbetrag zu schätzen ist.
Doch das ist aus Sicht der jungen Generation eine Milchmädchenrechnung: Mit den 65 Milliarden Euro hätte die Regierung Schulden abbauen oder mehr gegen den Klimawandel tun können. Von Investitionen in Schulen und Bildung ganz zu schweigen. Wenn ein fünfjähriges Kind behaupten würde: Ihr hättet diese hohen Belastungen und die Inflation durch rechtzeitiges Handeln deutlich vermindern können, also zahlt die Zeche auch und schiebt mir das nicht in Form von höheren Schulden zu – man könnte wohl nicht viel entgegnen.
Kurzum: Es kriegen zu viele Menschen Geld, die keine Entlastung brauchen - und die falschen müssen dafür zahlen.
05.09.2022 | 16:40