(Foto: Paolo Bona / Shutterstock)



Karrierealle Jobs


Das Märchen von den „Softskills“ oder: Die schlechtesten Chefs der Welt

Entweder schlägt ihnen Bewunderung entgegen – oder Verachtung. Die milliardenschweren Gründer und Chefs im Silicon Valley sind so ziemlich das Gegenteil von dem, was Chefs eigentlich auszeichnen sollte. Sind Sie trotzdem oder gerade deshalb so erfolgreich? Und funktioniert das Prinzip auch in der Krise?

Von Reinhard Schlieker

Wer heutzutage Stellenausschreibungen für Führungskräfte liest, der findet ganz weit oben bei den eingeforderten Dingen Begriffe wie „Empathie“, „Teamfähigkeit“ oder „muss in der Lage sein, auch digital zu kommunizieren“. Die Chefinnen und Chefs der Zukunft stecken voller Soft Skills, inzwischen auch Power Skills genannt, die an die Interviews nach einem Fußballspiel erinnern: „Wie fühlen Sie sich?“, ist dort eine gängige erste Frage. Hätte man einst Uwe Seeler oder Katsche Schwarzenbeck gefragt, sie hätten wohl geantwortet, ob der Fragensteller noch alle Tassen im Schrank hat. Nun ist der Trend nach empathischen, freundlichen Führungskräften sicherlich keine Eintagsfliege. Aber wie ticken eigentlich die CEO‘s der ertragsreichsten Unternehmen? Was zeichnet sie aus? Wer ins Silicon Valley blickt, der bekommt den Eindruck, dass es eine Mischung aus Härte, Paranoia und Unnachgiebigkeit braucht, um ein Milliarden-Unternehmen zu führen. Ist die Rede von den Softskills doch vielleicht nur ein Märchen?

Bezos, der Rücksichtslose

Jeff Bezos steht exemplarisch für den kaltherzigen Prototyp des rücksichtslosen Unternehmers. Dafür verdient der Amazon-Gründer rund 150.000 Dollar – pro Minute! Mit seinen 200 Milliarden Dollar Vermögen spielt er in etwa in einer Liga mit Elon Musk. Bezos fand seine Online-Verkaufsidee zunächst am besten passend zu Büchern, also verkaufte er Bücher im Internet. Von da an ging es bergauf – der ehrgeizige Bezos lieferte fast alles, und das immer schneller. Seine Unternehmungen expandierten in fast alle denkbaren Geschäftsbereiche, die er zunächst in den USA testete, um sie dann in sein weltweites Unternehmensnetzwerk zu integrieren. Musik, Filme, Smart Home („Alexa“, bald wohl Geschichte) und E-Books („Kindle“) sowie die Hardware dazu. Amazon gilt klar als Hauptfeind des stationären Einzelhandels.

Bezos selbst sieht sich nicht als Industriekiller, eher als Wohltäter, der Millionen in karitative Zwecke leitet. Seine Person bleibt aber umstritten – der internationale Gewerkschaftsbund hat ihn bereits zum „schlechtesten Chef der Welt“ gekürt. In der Tat sieht sich Amazon als hundertprozentig kundenorientiert. Das heißt im Alltag:  Die Behandlung der Arbeitnehmer und Auftragnehmer ist eher ruppig, und vor allem private Drittanbieter auf der Plattform sehen sich harschen Regeln gegenüber, zum Wohl der Kunden, wie es heißt. Derzeit gerät Amazon in schwere See: Das Unternehmen hat Anfang November einen Einstellungsstopp und zuletzt Entlassungen angekündigt – 10.000 Leute müssen gehen. Hintergrund sind nachlassende Kaufneigung der Kunden und die hohe Inflation.

Der Boom der Corona-Pandemie weicht der nüchternen Realität. Die Amazon-Aktie hat im laufenden Jahr fast die Hälfte an Wert verloren, das Unternehmen ist aber immer noch eine Billion Dollar wert. Der Technologie-Investor Gene Munster sieht den Giganten dagegen weiter auf dem Wachstumspfad: „Amazon ist unerreicht, was Logistik und Onlinehandel angeht…. eine echte Wachstumsstory“. Ähnlich wie bei Google hat Bezos so ziemlich alle Bereiche des Internets in der einen oder anderen Form durchdrungen. Am stärksten vermutlich da, wo man es nicht sieht: Bei Server- und Speicherlösungen für Unternehmenskunden. Dort wird auch Geld verdient, viel Geld.

Ist Zuckerberg paranoid?

Ähnlich manisch, dabei von Verfolgungswahn besessen: So schildern Ex-Mitarbeiter Mark Zuckerberg, Facebook-Gründer und unterwegs ins Metaversum - das Weltall will ja schon Elon Musk besiedeln, per One-Way-Flug zum Mars. Die beiden sind im Übrigen Erzfeinde, und beharken sich gern via Internet. Der Erfinder der zunächst für Studenten gedachten Entwicklung „Facebook“ verantwortet das erste eigentliche „Soziale Netzwerk“, sozial meint dabei den amerikanischen Wortgebrauch: Nicht-professioneller, freundschaftlicher Kontakt. Zuckerberg inflationierte den Begriff der „Freunde“ – die Ursprungsidee ist nur in dem Wort noch ungefähr zu erahnen.

Die hoch umstrittene Freundschaftsbörse ist weltweit die Nummer eins, ihr 38-jähriger Gründer besitzt schätzungsweise 67 Milliarden Dollar Vermögen. Mark Zuckerberg geriet aber ebenfalls schon früh in die Kritik, zunächst bei Kommilitonen, die ihn des Ideenklaus bezichtigten. Sie wurden mit etlichen Millionen Dollar abgefunden. Mit dem Datenschutz gab es auch Konflikte, und mit der US-Regierung, wegen Wahlmanipulation und anderer Sünden. Facebook behielt sich etwa das Recht vor, Inhalte der Nutzer kommerziell zu nutzen. Privat kam Zuckerberg in ernste Schwierigkeiten, als er ein großes Grundstück in Hawaii kaufte und die dortigen Anlieger mehr als verärgerte. Von „Neokolonialismus“ war die Rede. Die Sache schwelt noch vor Gericht.

Seine neueste Vision, das ganze Leben in virtuelle Räume zu verlegen, kommt derzeit nicht so gut an. Der Kurs der Aktie der Facebook-Mutter „Meta Platforms“ – zu der auch Instagram, Whatsapp und andere gehören - ist seit Jahresbeginn von etwa 380 Dollar auf nur noch etwas mehr als 100 Dollar abgestürzt. Die Konstruktion des virtuellen „Metaverse“ hakt, es gibt weniger Interessenten als gedacht für Grundstücke und Geschäfte im Nirwana. Der Mann, der die Welt vernetzen will, lässt sich anderseits vor seinem Laptop fotografieren, bei dem Mikrofone und Webcam abgeklebt sind. Es mag ein Hinweis sein, für wie verlässlich er den Schutz der Privatsphäre bei Facebook hält. Mitarbeiter schildern ihn als eine Art paranoiden Charakter.

Nun reagierte auch Meta mit Massenentlassungen, weil die guten Zahlen der Coronazeit nicht nachhaltig sind. 11.000 Leute mussten kürzlich gehen, etwa dreizehn Prozent der Belegschaft. Die Art, wie kurzfristig dies die Betroffenen traf und wie das kommuniziert wurde, wäre in Deutschland undenkbar. Kurz vor den Entlassungen registrierten sich noch tausende Angestellte beim US-Netzwerk „Blind“, auf dem man seinen Arbeitgeber bewerten kann – und neue Jobs finden. Zuckerberg sagte zu der laut „New York Times“ beispiellosen Entlassungswelle, er „übernehme die Verantwortung dafür, dass es nicht so gut läuft – es kam nicht so mit Meta, wie ich erwartet hatte“. Die Betroffenen hat dies mit Sicherheit nicht besänftigt oder beruhigt, und die Börsen auch nicht.

Eine Meldung am 22. November, dass Zuckerberg als Chef von Facebook zurücktreten werde, ließ den Kurs auf der Stelle 1,4 Prozent ins Plus drehen, ehe dieser Bericht durch Facebook/Meta als „frei erfunden“ dementiert wurde. Schließlich erstreckt sich die Brutalität des jungenhaft wirkenden Multimilliardärs auch auf die gesamte Tech-Industrie im Silicon Valley, wo er rapide an Ansehen verloren hat, seit Facebook 2012 an die Börse ging und Unzählige dort zu Millionären machte. Seither haben jede Menge Skandale Facebook diskreditiert. Der Vorwurf, dem ihm Brancheninsider machen, lautet: „Zuckerberg kopiert jede neue Idee, oder kauft sie auf, um die Entwicklung dann zu stoppen oder das betreffende Startup zu schließen.“ Zuckerberg und Facebook seien nur noch „zum Fürchten“.

Steve Jobs war kein einfacher Chef

Apple ist wiederum eine ganz eigene Geschichte. Der Konzern, heute vor allem für seine iPhones bekannt, fing ebenfalls in einer Garage in Kalifornien an, die den Eltern von Steve Jobs gehörte. Der bereits 2011 verstorbene Gründer des Computerherstellers erfand 1976 den Macintosh-Computer mit dem gleichnamigen Betriebssystem und schuf damit ein eigenes Universum, scharf abgegrenzt gegenüber der dominanten Welt des Bill Gates mit seinem Windows-System. Jobs mangelte es nicht an Eigenwilligkeiten und skurrilen Eigenschaften. Er bezeichnete sich als Buddhist, war abwechselnd Veganer, Frutarier, Anhänger alternativer Heilmethoden und trug ausnahmslos schwarze Rollkragenpullis. Geld interessiere ihn nicht, sagte er (nach seiner zehnten Million). Seinen Mitgründer Steve Wozniak bootete er aus, seine Tochter verleugnete er, und Apple führte er zunehmend wie eine Art Sekte, und wurde schließlich 1985 aus dem eigenen Unternehmen gedrängt. Nach der Gründung einer neuen Computerfirma holte ihn Apple samt seiner Kreation „Next Computer“ 1996 zurück. Sein Motto damals: “Design is not just what it looks like and feels like. Design is how it works.” Das Design nicht als Äußerlichkeit, sondern als Merkmal des Geräts, das war neu. Apple stand derweil kurz vor der Pleite. Es folgte das große Aufräumen des Steve Jobs und dann die Erfindung der „iMac“-Serie und schließlich des Musikspielers iPod. Der Schritt zum iPhone war nicht mehr weit. Im Sinne Jobs‘ arbeitet das Unternehmen noch heute. Es ist das wertvollste der Welt, nur zeitweise vom Ölproduzenten Saudi Aramco verdrängt. Auch im allgemeinen Niedergang der Technologieaktien dieser Tage hält sich Apple gut: Mit derzeit etwa 150 Dollar liegt der Kurs nicht meilenweit vom Allzeithoch bei 176 entfernt. Ansonsten: Geheimniskrämerei ist ein Markenzeichen, auf Verrat von Betriebsgeheimnissen steht die Apple-Höchststrafe – sofortige Entlassung. Steve Jobs gilt auch heute noch als Vorbild einer ganzen Generation, der er bei einem Auftritt an der Stanford Universität seinen Wahlspruch vermittelte: “Stay Hungry. Stay Foolish.” Vor wenigen Tagen wurden die alten Sandalen von Steve Jobs versteigert – für 10.000 Dollar.

Sein Nachfolger übrigens, der weit unscheinbarere Tim Cook, den Jobs noch selbst zu Apple geholt hatte, ist einer der wenigen Nicht-Firmengründer in Kalifornien, der es als Vorstandschef allein zum Milliardär gebracht hat. Natürlich nicht in der Liga solcher Leute wie Bill Gates etwa.

Musk, der vermeintlich Irre


Elon Musk, derzeit reichster Mann der Welt, ist in aller Munde und tanzt auf fast jeder Hochzeit. Bekannt ist er schon lange, beliebt eher nicht so. Man konnte wissen, wie erratisch der Erfinder tickt, als er 2018 plötzlich anfing, in Kalifornien Flammenwerfer zu verkaufen. 500 Dollar pro Stück – „endlich verdient Musk mal Geld“, witzelten die Zeitungen. Der Marketing-Gag führt noch heute zu Ärger – beim deutschen Zoll wurde erst vor wenigen Tagen ein solches Gerät sichergestellt – Verstoß gegen Waffengesetze.

Musk zündelt derzeit allerdings vor allem bei seiner Neuerwerbung Twitter. Die Social-Media-Plattform, die er unlängst für 44 Milliarden Dollar erworben hat, soll nach Musks Worten ein Hort der Meinungsfreiheit werden. Dazu entließ der Chef gleich mal die gesamte Führung und etwa die Hälfte der Mitarbeiter und rief ihnen und denen, die kündigten, noch Beleidigendes hinterher: „Die besten Leute bleiben“. Das wird man sehen. In Deutschland zumindest wehren sich die Twitter-Angestellten gegen das Hire & Fire des neuen Chefs. Mit dem deutschen Arbeitsrecht müsste Musk grob vertraut sein – die Tesla-Fabrik in Grünheide existiert auch nicht im rechtsfreien Raum. In Deutschland besaß Twitter nur etwa dreißig Mitarbeiter – in den USA sind es Tausende. Dort gibt es die ersten Sammelklagen, auch von Auftragnehmern des Konzerns. Gut möglich, dass Twitter für Musk noch extrem teuer wird.

Viel ist offenbar Schall und Rauch und Mythisches, was die Chefs umgibt – so ist etwa kaum bekannt, aber unbestritten, dass nicht etwa Elon Musk der Gründer von Tesla ist. Er war lediglich der Hauptinvestor bei einer ersten Finanzierungsrunde. Die beiden Amerikaner, die das Unternehmen gegründet hatten, bootete er später aus. „Wie viel Geld musst du verdienen, bevor dir die Sicherungen durchbrennen?“, fragte der IT-Journalist Joel Golby, und seine Antwort immerhin war: „So viel wie Elon Musk“.

Bill Gates, das schwierige Genie

Gates, der Gründer von Microsoft, galt in der Branche wechselweise mal als Genie, mal als simpler Kopierer. Gates allerdings ist ein Beispiel, wie sich sogar Superreiche im Laufe ihrer Karriere verändern können – zum Guten, meint man hier. Er griff über Jahrzehnte mit seinem Windows-Betriebssystem nach dem Monopol. Legendär der Kampf um die Integration des eigenen Webbrowsers (damals: Internet Explorer) mit Kartellbehörden vor allem in Europa. Auch in der eigenen Industrie geriet Gates‘ Firma immer wieder mit Konkurrenten aneinander. Ob Sun Microsystems oder Digital Research und andere: Immer wieder musste Microsoft zugeben, mit unlauteren Mitteln die Produkte der Konkurrenz gekapert zu haben. Das Unternehmen stand in den USA schon kurz vor der Aufspaltung. Bill Gates galt als manischer Antreiber, der allerdings den Stab schon 2000 an seinen alten Freund und Nachfolger als CEO, Steve Ballmer übergab und selbst den Titel „Chief Software Engineer“ übernahm. Steve Ballmer wurde binnen kurzem für seine Wutanfälle legendär, auf Produktpräsentationen fegte er wie ein Derwisch über die Bühne und schnitt Grimassen. Geschäftlich wollte er Google besiegen und verbrannte Milliarden Dollar dafür. Mit „Windows Vista“ verantwortete Ballmer den größten Fehltritt und gab das auch zu. Heute gehört ihm das Basketball-Team „Los Angeles Clippers“, wo er am Spielfeldrand merkwürdige Tänze aufführt.

Sein Nachfolger bei Microsoft wurde Satya Nadella, der das Unternehmen nach und nach aus den kontroverseren Schlagzeilen führte – nicht zum Schaden der Erträge. Bill Gates wandelte sich im Hintergrund zum Wohltäter und konzentrierte sich vor allem auf medizinische Hilfe für Afrika. Nicht von jedermann für bare Münze genommen, ist seine Wandlung dennoch glaubwürdig. Bescheideneres Auftreten und zahlreiche Beweise für philanthropisches Wirken haben Bill Gates inzwischen zu einem der beliebtesten Führungsfiguren der Unternehmenswelt werden lassen.

25.11.2022 | 12:07

Artikel teilen: