Der Löwen-Juror ist pleite
Finanzaufsicht moniert Fehlbuchungen, Kapitalerhöhung platzt: Georg Kofler gelingt die Rettung seiner Social Chain AG nicht. Die glanzvollen Fernsehauftritte haben den wahren Zustand des Unternehmens lange verdeckt. Jetzt kommt der Insolvenzantrag.
Von Oliver Stock
In der Talentshow „Die Höhle der Löwen“ tritt er als ausgefuchster Investor auf, im wahren Geschäftsleben ist sein Unternehmen jetzt pleite: Georg Kofler, der als Juror Gründerinnen und Gründer in der Fernsehshow bewertetet, hat heute für seine Social Chain AG einen Insolvenzantrag angekündigt. Wie das Unternehmen auf der eigenen Website mitteilt , sei der Vorstand „nach eingehender Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass für die Gesellschaft keine positive Fortbestehensprognose mehr besteht“. Kofler gab kurz nach dieser Mitteilung seinen Chefposten bei Social Chain auf. Er war seit Anfang des Jahres CEO der Aktiengesellschaft, an der er auch einen Anteil von 36 Prozent hält. Sein Kollege und Mitjuror in der Gründershow Stefan Dümmel, der sein eigenes Unternehmen DS-Produkte 2021 an Social Chain verkauft hatte, will das nun wieder herauslösen und selbständig fortführen.
Social Chain hatte mit dem Versprechen um Kunden geworben, dass es für sie „ein Rundum-sorglos-Paket“ anbiete: „Von der eigenen Produktentwicklung, über die rechtliche Prüfung, Produktion, Qualitätssicherung, Marketing und Kommunikation bis zur Logistik und allem, was Marken und Produkte brauchen.“ Das „Marken- und Produkthaus der nächsten Generation“ wollte seine Kundschaft mit Konsumgütern wie Nasenhaartrimmern oder Katzenmöbeln beglücken und für das nötige Marketing auf Social Media sorgen. Mit dem Rückenwind der TV-Präsenz kletterte der Aktienkurs zeitweise auf fast 60 Euro. Ende 2021 erwarteten sich Kofler und Dümmel nach der Fusion ihrer Unternehmen Milliardenbewertungen. Wegen der TV-Präsenz sprachen manche Beobachter von der „Löwenaktie“ oder sogar von einer neuen „Volksaktie“.
Doch das Geschäft lief schleppend. Tatsächlich wurde Social Chain ein Lehrstück darüber, wie an der Börse ein Feuerwerk gezündet werden kann, das die wahren Gegebenheiten nicht ausleuchtet. „Wir werden gemeinsam zeigen, wie ein perfektes Zusammenspiel zwischen Handel und Social Commerce gelingt", hatte Dümmel noch vor knapp zwei Jahren gesagt. 2023 wollte man mehr als eine Milliarde Euro Umsatz bei Social Chain generieren. In Wahrheit wurden - nach Restrukturierungen und Verkäufen von „unrentablen Gesellschaften"- im ersten Quartal 2023 aber gerade mal 58,4 Millionen Euro umgesetzt.
Eine Kapitalerhöhung sollte bis Ende dieses Monats Entlastung für die Social Chain AG bringen, doch die Investoren sprangen ab. Dabei wollte Kofler ursprünglich selbst vorangehen. Seine Georg Kofler GmbH sollte Darlehensforderungen in die Social Chain einbringen. Im Gegenzug hätte er 2,5 Millionen neue Aktien erhalten. Den übrigen Aktionären wurden die neuen Aktien zu einem Preis von 2,60 Euro angeboten. Doch sie übten nur 1,9 Prozent der ihnen zustehenden Bezugsrechte aus, nicht zuletzt, weil die Papiere oft unter dem in der Kapitalerhöhung geforderten Bezugspreis notierten. Wie das Unternehmen jetzt schreibt, habe außerdem ein Investor „vertraglich unwiderruflich zugesicherte Zeichnungsbeträge" nicht geleistet. Namentlich nennt Social Chain diesen Investor nicht.
Neben Kofler stehen auf der Liste der größeren Aktionäre bei dem Unternehmen drei Männer: Der frühere Social Chain-Chef Wanja Oberhof – Eigendarstellung: „Er teilt seine Zeit zwischen New York, Sylt und Berlin, wo er auf seiner Insel Lindwerder ein beliebtes Eventrestaurant betreibt“ - hält direkt und indirekt rund 17,2 Prozent der Aktien. Er verließ gleichzeitig mit Dümmel Ende des Jahres den Vorstand. Knapp 16 Prozent gehören einer Gesellschaft von Hanno Hagemann. Er hat die Tochter des verstorbenen DS-Gründers Dieter Schwarz geheiratet, der nichts mit dem gleichnamigen Lidl-Gründer zu tun hat. Der Dritte ist schließlich Dümmel selbst, der fünf Prozent der Aktien hält.
Die Zurückhaltung der Investoren rund um eine Kapitalerhöhung dürfte auch mit den jüngsten Untersuchungen der Finanzmarktkontrolleure der Bafin zusammenhängen. Sie hatten Fehlbuchungen von fast 60 Millionen Euro im Konzernabschluss 2021entdeckt. Die Aktiengesellschaft hatte in der Kapitalflussrechnung fälschlicherweise Zahlungen aus Aktienverkäufen und einem 50-Millionen-Euro-Darlehen als Cashflow aus operativer Tätigkeit ausgewiesen. Zwar betonte Social Chain, dass der Fehler keinen Einfluss auf die Bilanz habe, tatsächlich bewirkten die fehlerhaften Buchungen jedoch, dass das Unternehmen im Jahr 2021 einen positiven operativen Cashflow ausweisen konnte – der aber tatsächlich negativ war. Er gilt als wichtige Kennziffer zur Beurteilung von E-Commerce-Unternehmen. Den Konzernabschluss unterschrieben hatten Dümmel und Oberhof, die beide ihre operative Tätigkeit im Unternehmen Anfang des Jahres abgegeben haben.
Unterm Strich kam also viel zusammen: Ein unklares Geschäftsmodell, ein offensichtlich überfordertes Management, Pannen in der Buchhaltung – und all das verbunden mit viel Eigenwerbung in der Talentshow haben die Geschichte vom „Produkthaus der nächsten Generation“ zum dem gemacht, was sie ist: ein Märchen. Und Märchen sind nicht wahr.
24.07.2023 | 16:52