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John Cryan: Der Notarzt der Deutschen Bank

Die Deutsche Bank bekommt einen neuen Chef. An den Börsen wird gejubelt. Denn John Cryan ist ein erfolgreicher Notarzt der Finanzindustrie. Und genau das braucht die Deutsche Bank jetzt.


Geld verdirbt nicht den Charakter, es offenbart ihn. Im Fall von John Cryan zeigt sich eine kühle, operationssaalartige Intelligenz wenn es um richtig viel Geld geht. Genau das ist der Grund, warum der unscheinbare Brite nun Chef der Deutschen Bank wird. Cryan ist weder wortgewaltiger Held noch strahlender Charismatiker. Er streicht nicht wie ein Salonlöwe der Hochfinanz umher noch wie ein smarter Blender - kein Typus Wall-Street-Cowboy und auch kein Nadelstreifen-Pate vom Siegelring-Schlage eines Old-School-Bankiers. John Cryan sieht eher aus wie ein braver Sparkassenleiter aus Birmingham, und seine ungewöhnlich gering ausgeprägte Eitelkeit ist eine seiner Stärken. In Deutschland kannten bislang nur eine Handvoll Menschen überhaupt seinen Namen.

In Wahrheit hat die Deutsche Bank mit ihm den perfekten Notarzt berufen. Denn für akute Großunfälle im Banking hat Cryan schon mehrfach Sanitäter-Begabung bewiesen. Bereits zweimal stand der 54-jährige am OP-Tisch, als große Institute große Hilfe brauchten. So führte Cryan für die UBS die Fäden als es 2007 darum ging, einen Käufer für die holländische ABN Amro zu finden. Diskret, zielstrebig und mit kühler Hand führte Cryan die Holländer schließlich für enorme 70 Milliarden Euro in den Hafen der Royal Bank of Scotland (RBS). Das Bietergefecht mit Barclays hatte er optimal zur Wertsteigerung genutzt, woraufhin ihn die UBS in die höchsten Gefilde beförderte - bis ins Amt des Finanzchefs.

Dort war der britische Notarzt und seine ruhige Hand dann ein zweites Mal gefragt. Denn die Schweizer Großbank geriet in schwere Schieflagen und musste notoperiert werden. Gut dass der  blitzgescheite Analytiker da war und an den richtigen Stellen das Skalpell ansetzte. Cryan entrümpelte die Derivate-Lasten und Bilanzrisiken wie ein Chirurg Geschwüre herausschneidet. Er schrumpfte die Bank und schuf zugleich ein intensivstationartiges Monitoring-System bei der UBS, um Bilanzrisiken zu überwachen.

Als der konsequente Cryan die UBS um Jahr 2011 verließ, weil ein anderer den Chefposten bekam, trat er sofort und geräuschlos „aus persönlichen Gründen“ zurück. Er ist kein Mann fürs Drama, eher fürs Diskrete. Seine Operation bei UBS aber war gelungen und seine Reputation als Notarzt gewaltig. Diese Expertise kann die Deutsche Bank nun mehr gebrauchen als alles andere. Denn das größte deutsche Kreditinstitut ist schwer angeschlagen, von Skandalen erschüttert, innerlich verunsichert, strategisch schlingernd und von schwachen Ergebnissen so geplagt, dass am Ende sogar die Postbank verkauft werden musste, um frisches Kapital zu gewinnen.

Cryan ist daher ein gute Wahl, denn die siechende Deutsche Bank braucht just den Rettungsarzt. Ihm wird dabei helfen, dass er die Bank, ihre Bilanz und die Untiefen als Aufsichtsrat zwar genau kennt (er ist Vorsitzender des Prüfungsausschusses und Mitglied im Risikoausschuss), aber dort nie operativ gearbeitet hat, also unbelastet und unabhängig an die Not-OP treten kann.
Anders als der grandios gescheiterte Invetmentbankingstar Anshu Jain ist Cryan ein echter Stratege. Er denkt nicht in schnellen, lukrativen Deals. Er denkt in langen Linien und belastbaren Bilanzen. Cryan ist in Cambridge geschult und hat eine harte, grundsolide Ausbildung als Wirtschaftsprüfer bei Arthur Andersen hinter sich. Er begann einst bei der Investmentbank S.G. Warburg, und lebte nicht bloß im Londoner Macho-Milieu. Er kennt Zürich wie Singapur (für dessen Staatsfonds Temasek er von 20121 bis 2014 tätig war). Die Karriere brachte ihn auch nach München, weshalb er - im Gegensatz zu Jain - auch ordentliches Deutsch spricht.

Cryan wird sich mit Jürgen Fitschen, der die Deutschen Bank bis ins nächste Jahr hinein noch mitführen wird, gut verstehen. Beide sind typologisch vom gleichen Schlag, sich selber nicht zu wichtig zu nehmen. Wo Fitschen sich in den letzten Jahren die norddeutsche Solidität Bodenständigkeit bewahrt und unter den schneidigen Londoner Haudegen der Jain-Boygroup eher gelitten hat, wird er mit Cryan einen Bruder im Geiste finden. Beide sind pflichtbewusste Verstandesmenschen. „Cryan ist ein ziemlich deutscher Brite“, hört man aus der Chefetage der Deutschen Bank. Bis auf den Humor. Der sei richtig britisch, ironisch, selbstkritisch, trocken.

Die Deutschen Bank bekommt nun womöglich die Doppelspitze, die wirklich zu ihr passt. Die bisherige jedenfalls ist spektakulär gescheitert: Anshu Jain war eine glatte Fehlbesetzung. Dessen gespenstischer Bauchredner-Auftritt bei der jüngsten Hauptversammlung in Frankfurt wirkte wie die letzte Show eines Vollgas-Blenders.

Nach dem Unfall-Raser kommt nun also der Notarzt - und die Börse ist endlich mal wieder optimistisch. Der gebeutelte Aktienkurs der Deutschen Bank stieg zum Wochenauftakt kräftig, der Börsenwert erhöhte sich schlagartig um drei Milliarden Euro. Nicht schlecht für den Anfang. Wolfram Weimer

10.06.2015 | 22:37

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