Die deutschen Banken hinken der US-Konkurrenz schon lange hinterher. In der Krise wird das zu einem ernsten Problem. (Foto: RossHelen / Shutterstock)



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„Dünne erste Verteidigungslinie“

Internationale Analysten nehmen Deutschlands Banken unter die Lupe. Ihr Ergebnis: In den guten Jahren sei es nicht gelungen stabile Geschäftsmodelle aufzubauen. Jetzt, da eine Pleitewelle und Kreditausfälle drohen, rächt sich das.

Die Weltkarte für die Stabilität der Banken, die die Analysten der internationalen Ratingagentur Fitch zeichnen, sieht so: Es gibt unten ein paar weiße Flecken, das ist Afrika. Der Rest des Planeten ist rot gefärbt, Europa leuchtend rot. Deutschland und ein paar andere Länder haben sogar eine dunkelrote Färbung. Der Farbton zeigt an, ob die Analysten demnächst damit rechnen, dass sie die Kreditwürdigkeit der Banken herabstufen müssen. In Deutschland und vielen Ländern Westeuropas sieht es ganz danach aus.

Die Analyse, die die drittgrößte Ratingagentur der Welt aufstellt, ist schonungslos: Der Druck auf die deutschen Banken verschärft sich, weil eine Welle von Problemen über sie hereinbricht: Da seien die Zinssätze, die aufgrund der Coronavirus-Krise noch länger als ursprünglich erwartet extrem niedrig bleiben und das Kerngeschäft der Banken berühren. „Die überdurchschnittliche Abhängigkeit der deutschen Banken vom Zinsüberschuss im Vergleich zu ausländischen Mitbewerbern bedeutet, dass dies den Druck zur Verbesserung der Kosteneffizienz weiter erhöhen wird“, schreiben die Analysten ganz nüchtern. Gleichzeitig allerdings wachse die öffentliche Erwartung, Entlassungen während der Krise zu vermeiden. Damit geraten die deutschen Banken in die Klemme, weil sie notwendige Stellenkürzungen genauso verschieben müssen, wie dringende Investitionen.

Moderater Druck wäre auszuhalten

Damit nicht genug, so die Experten von Fitch. Zu den langanhaltenden strukturellen Schwierigkeiten kommen nun auch noch ganz akute Probleme, die sich durch Kreditausfälle und einen massiven Anstieg der Insolvenzen ergäben, sobald die derzeit ausgesetzte Insolvenzantragspflicht wieder greift. „Die Qualität der Vermögenswerte“ sei einem „Abwärtsdruck“ ausgesetzt, schreibt Fitch. Zwar könne die solide Kapitalausstattung der deutschen Banken moderatem Druck standhalten. Ihre Kapitalquoten seien jedoch einer raschen Verschlechterung ausgesetzt. „Dies liegt daran, dass die bescheidenen Gewinne des Sektors vor der Krise nur eine dünne erste Verteidigungslinie.“ 

Die gleiche Schwachstelle haben auch die Unternehmensberater von Accenture in einer aktuellen Studie identifiziert: Sie rechnen damit, dass europäische Banken in diesem Jahr Kredite in Höhe von bis zu 415 Milliarden Euro abschreiben müssen. Die möglichen Verluste seien damit doppelt so hoch, wie in der Finanzkrise vor mehr als elf Jahren, als zahlreiche Staaten ihre Banken retten mussten. In den USA sei der Trend ebenfalls zu beobachten: Dort haben Banken im ersten Halbjahr Kredite mit einer Gesamtsumme von 60 Milliarden Dollar als „notleidend“ eingestuft. Fast jede zehnte Eigenheimfinanzierung sei ausgesetzt worden. In Großbritannien sei es sogar jede sechste Finanzierung von Wohnungen und Häusern, die bis auf weiteres nicht bedient werde.

Das was die Banken bisher in dürren Worten über die Auswirkungen der Krise offiziell mitgeteilt haben, gibt den internationalen Analysten recht: Die teilweise verstaatlichte Commerzbank hat die Risikovorsorge für mögliche Kreditausfälle von 78 Millionen Euro im  Vorjahreszeitraum auf 326 Millionen Euro vervierfacht. Bei der Deutsche Bank lag das Ergebnis des zweiten Quartals 2020 unter den Erwartungen, weil ein deutlicher Anstieg der Risikovorsorge den Gewinn belastete. Bei den Sparkassen steigt die Risikovorsorge moderat, aber Verbandspräsident Helmut Schleweis räumte bereits im Frühjahr ein: „Wir müssen damit rechnen, dass sich diese Entwicklung durch die Corona-Pandemie deutlich verschlechtern wird.“ Die deutschen Volks- und Raiffeisenbanken, die zuletzt auf eine Bilanzsumme von rund 1 Billion Euro kamen, erwarten angesichts der Coronakrise ebenfalls mehr Risikovorsorge.

Weltweite Sorge um Kreditausfälle

Das Gespenst ausfallender Kredite geht nicht nur in Deutschland um, was die sich abzeichnende Bankenkrise allerdings nur zusätzlich verschärft: Die Lloyds Banking Group räumt ein, dass sie mit bis zu 5,5 Milliarden Pfund die Risikovorsorge vervierfacht. Auch die jüngsten Quartalszahlen von Europas größter Bank, HSBC, geben eine Eindruck von dem, was auf die Branche zurollt: HSBC meldete einen Nettogewinnrückgang von 96 Prozent auf 192 Millionen Dollar. Der Grund: Risikovorsorge für ausfallende Kredite. 13 Milliarden Dollar will die Bank dafür zurückstellen.

Zurück nach Deutschland: Hier haben die internationalen Analysten von Fitch in der vergangenen Woche besonders die Sparkassen unter die Lupe genommen. Insgesamt fällt ihr Urteil solide aus. Allerdings gibt es Schwachpunkte: „Wir betrachten den Zusammenhalt der Sparkassengruppe im Vergleich zu anderen europäischen Finanzverbünden als schwächer.“ Die Komplexität von Entscheidungsprozessen innerhalb der Gruppe könne ihre Reaktionsfähigkeit im Ernstfall beeinträchtigen. Größere Kreditverluste bei schwachen Umsätzen könnten im schlechtesten Fall zu einer „Kapitalerosion“ führen, die über allen Erwartungen liege.

Unter dem Strich sind sich die internationalen Beobachter der deutschen Bankenszene einig: Die hohe Zerstückelung der Branche, der intensive Wettbewerb und die anfälligen Geschäftsmodelle „haben die deutschen Banken daran gehindert, auch nach Jahren eines starken wirtschaftlichen Umfelds im Land eine angemessene Rentabilität zu erzielen“, schreibt Fitch. Die Folge ist auf der Weltkarte eingebrannt: Deutschlands Banken sehen dunkelrot.

Oliver Stock

11.08.2020 | 18:29

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