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Deutschland geht es gut

Allen Alarmrufen zum Trotz: Die Autoren des Jahreswirtschaftsberichts aus dem Hause von Robert Habeck kommen zu dem Schluss, dass sich die Lebensqualität und auch die Lage der Wirtschaft in Deutschland entschieden verbessert hat. Das Problem: Es glaubt ihnen keiner.

Der Alarm kennt keine Grenzen: Energiepreise, Corona überall, Inflation, Kriegsgefahr um die Ecke – da haben gute Nachrichten keine Chance. Und das gilt noch mehr, wenn der Absender sie vielleicht auch gar nicht als gute Nachrichten verstanden haben will. Aber es sind gute Nachrichten, die der Wirtschaftsminister verbreitet, und sie lassen unterm Strich nur ein Ergebnis zu: Deutschland geht es wirklich gut.

Zu diesem Schluss kommt, wer den Jahreswirtschaftsbericht aus dem Hause Robert Habeck mit Liebe zum Detail liest. Der grüne Wirtschafts- und Klimaminister hat dort ein Kapitel eingefügt, das neu ist und die gängigen Methoden zum Messen der Wirtschaftsleistung in Frage stellt: „Nachhaltiges und inklusives Wachstum – Dimensionen der Wohlfahrt messbar machen“ heißt es, und die Beamten listen darin 31 Kriterien auf, die auch etwas darüber aussagen, ob es einem Land gut geht oder nicht. Das erstaunliche dabei: Die Mehrheit dieser Indikatoren zeigt ein höchst erfreuliches Bild.

Da ist zum Beispiel das Thema Wohnen, eines der ganz heißen Eisen. Landauf, landab und vor allem in den attraktiven Großstädten stöhnen die Menschen über Mieten, die keine Grenzen kennen und über Immobilienpreise, die in den Himmel wachsen. Das Habeck-Ministerium hat dieses Gefühl in einem nüchternen Schaubild verdichtet, das die Überschrift „Überlastung durch Wohnkosten“ trägt und siehe: Soweit die Zahlen reichen, was zugegebenermaßen nur bis 2019 der Fall ist, sinkt der Anteil derjenigen, die mehr als 40 Prozent ihres Haushaltseinkommens fürs Wohnen ausgeben, stetig.

Einen anderen ganz neuen Wert führt Habeck ein, wenn er die Bildungsmobilität misst. Darunter verstehen die Ökonomen, die Chance, dass Kinder von Eltern mit einem bescheidenen Schulabschluss oder vielleicht gar keinem, einen anderen Weg einschlagen und sich deutlich besser qualifizieren. Ergebnis der Messung: Im Jahr 1995 gelang es nur 7,8 Prozent dieser Kinder einen Fachhochschul- oder gar einen Uniabschluss hinzulegen. Im Jahr 2020 hat sich dieser Wert auf 31,8 Prozent verdreifacht. Das ist eine kleine Sensation für Deutschland, im OECD-Vergleich sei es aber immer noch gering, fügen die bescheidenen Habeck-Beamten hinzu.

Auch die Klima-Abteilung, die neu im Wirtschaftsministerium sitzt, kann feststellen, dass ihre bisherige Arbeit nicht umsonst gewesen ist. Da gibt es beispielsweise die interessante Übersicht „Treibhausgasintensität des BIP“. Darin wird die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts mit dem Ausstoß von CO2 verglichen. Auch hier gibt es einen Erfolg auf ganzer Linie: Während das BIP gestiegen ist, sind die Emissionen lange nicht so stark gestiegen. Es wird also CO2 vermieden. Sich selbst übertroffen hat sich die Bunderegierung bei einem anderen Wert. Er heißt „Anteil erneuerbarer Energien am Brutto-Endenergieverbrauch“ und in ihn fließt ein, wieviel Strom und Wärme aus Wind, Sonne und anderen erneuerbaren Energieformen bei den Menschen am Ende wirklich landet und von ihnen genutzt wird. 18 Prozent lautet das Ziel der Bunderegierung für 2020, 19,6 Prozent sind es am Ende geworden. Eine klare Zielübererfüllung lässt sich also erfreulicherweise feststellen. Passend dazu gibt es auch eine Übersicht über Schadstoffemissionen in die Luft, die in der langfristigen Betrachtung gesunken sind.

Als „Dimension der Wohlfahrt“ betrachten die Autoren des Jahreswirtschaftsberichts auch das Thema Frauen in Führungspositionen. Hier geht es, was Vorstandspositionen in Unternehmen anbelangt, deutlich bergauf und zwar innerhalb der vergangenen sieben Jahre von rund 5 auf knapp 16 Prozent. Gleichzeitig ist der Abstand zwischen Gehältern, die an Männer gezahlt werden, und dem Lohn, den Frauen erhalten, stetig gesunken und liegt nach den jüngsten verfügbaren Zahlen für das Jahr 2020 bei 18 Prozent. „Spürbar, aber noch nicht ausreichend“ bewerten das die staatlichen Wirtschaftspuls-Fühler.

Das ganze Kapitel kommt unterm Strich ein bisschen wie eine Anlehnung an die legendäre Messung des „Bruttonationalglücks“ daher, um die sich das südasiatische Königreich Buthan verdient gemacht hat und die übrigens auch unter Mithilfe deutscher Ökonomen zustande kam. In Buthan fließen vier Faktoren in die Glücksmessung ein: die Förderung einer sozial gerechten Gesellschaft, die Bewahrung kultureller Werte, der Schutz der Umwelt sowie gute Verwaltungsstrukturen. In Deutschland hatte vor mehr als einem Jahrzehnt die sogenannte Enquete-Kommission des Bundestags für Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität nach einer möglichen neuen Messzahl für Wohlstand und Fortschritt jenseits des bisher alles beherrschenden Maßstabs Bruttosozialprodukt gesucht. 17 Abgeordnete aller Parteien und ebenso viele Fachleute saßen zusammen und entwickelten Indikatoren, von denen sich einige jetzt auch in Habecks Wirtschaftsbericht wiederfinden, allerdings verlief die Sache damals im Sande.

Und auch der neuerliche Anlauf könnte verhallen, denn die Einschätzung von Deutschlands Top-Ökonomen passt so gar nicht zum fröhlichen Bild, das der Jahreswirtschaftsbericht zeichnet. Die führenden Vertreter der Wirtschaftsforschungsinstitute, die sich jetzt zum Leibniz-Wirtschaftsgipfel getroffen haben, sind jedenfalls skeptisch: Es werde der Eindruck erweckt die Transformation der Wirtschaft Richtung Klimaneutralität sei ein Wachstumsprogramm, stellt Stefan Kooths vom IWF Kiel fest und sagt: „Von dieser Illusion müssen wir uns verabschieden.“

Oliver Stock

03.02.2022 | 16:38

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