(Bild:picture alliance / ZUMAPRESS.com | Tayfun Salci)



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„Die aus dem Kreml werden sich nirgendwo verstecken können“

Die britische Außenministerin Liz Truss lässt sich im offenen Panzer fotografieren, bringt ihren russischen Amtskollegen zur Weißglut, und redet Klartext: Oligarchen in London sollen verfolgt und enteignet werden. Damit stößt sie jedoch in ein Wespennest: Keine Stadt hat so enge Verflechtungen mit russischen Superreichen, wie die britische Metropole.

Sie sagt, was sie denkt. Und sie denkt: Diplomatie ist fehl am Platz, wenn aggressive Spieler wie Wladimir Putin auf der Bühne erscheinen. Liz Truss, 46 Jahre alt, britische Außenministerin und seit einem spektakulären Foto im Panzer beim Truppenbesuch im Baltikum, ist sie die derzeit beliebteste Politikerin im Kabinett von Boris Johnson. Sie hält Abschreckung gegenüber Russland für das bessere Mittel. Manch einer im Vereinigten Königreich sieht deswegen in der schmalen Frau mit dem energischen Kinn bereits die nächste Margret Thatcher heranwachsen, jene legendäre Premierministerin der Konservativen, die erst den übermäßig streikfreudigen Gewerkschaften im Inneren die Stirn bot und anschließend die bis dahin fast vergessenen Falkland-Inseln für die britische Krone verteidigte.

Manch anderer zeigt ihr dagegen deutlich, was er von ihr hält: Der russische Außenminister Sergei Lavrov verließ demonstrativ die Bühne, als Truss nach einem gemeinsamen Gespräch öffentlich Russland aufforderte, seine Truppen sofort von der ukrainischen Grenze abzuziehen. Die Atmosphäre, so ließ sich Lavrov hinterher vernehmen, sei so frostig gewesen, wie der gefrorene Boden an der ukrainischen Grenze.

Liz Truss ist in Schottland aufgewachsen, nennt sich selbst eine „professionelle Querulantin“, weil sie einst gegen die Monarchie protestierte. Während ihres Philosophie-Studiums in Oxford wurde sie Vorsitzende der Liberaldemokratinnen und verstand dies als Aufstand gegen Klischees vom dreckigen Geld und gegen politische Korrektheit, wie sie der BBC erzählte. Sie sitzt als konservative Abgeordnete für den Wahlkreis South West Norfolk seit 2010 ununterbrochen im Parlament. Premierminister Boris Johnson machte sie erst zur Handelsministerin und damit Brexit-Beauftragten. Da musste sie noch einigen Spott ertragen, etwa als sie von britischem Käse schwärmte und ihre Landsleute damit ermuntern wollte, weniger Importware zu essen. Doch der Spott ist Respekt gewichen, seit Johnson sie zur Außenministerin machte, die das macht, was andere Diplomaten – auch die aus Deutschland – lieber vermeiden: Klartext reden.

Es war der 31. Januar, als Truss im britischen Unterhaus ihre entscheidende Rede hielt, die so ganz anders klang, als das was EU-Europa zum Konflikt in der Ukraine zu sagen hat. Seither ist sie auf dem Weg zur Volksheldin. Denn was sie sagt, das klingt angriffslustig und so etwas kommt an in Großbritannien. Von schnellen Jets, Kriegsschiffen und Militärspezialisten, die man entsenden wollte, redet sie. „Als größter Nato-Verteidiger in Europa sind wir bereit, unsere Streitkräfte einzusetzen.“ Nach der militärischen Option wendet sie sich in ihrer Erklärung vor dem Parlament wirtschaftlichen Sanktionen zu – und wurde auch da deutlich: „Es wird weiter gehen als je zuvor.“ Die Regierung werde jedes Unternehmen ansprechen, das mit dem russischen Staat verbunden ist, Geschäfte von wirtschaftlicher Bedeutung für den russischen Staat betreibt oder in einem Sektor von strategischer Bedeutung für den russischen Staat tätig sei.  Sie werde diejenigen verfolgen, die diese Firmen besitzen oder kontrollieren. Es werde „das härteste Sanktionsregime gegen Russland sein, das wir je hatten, und es ist die radikalste Herangehensweise seit dem Austritt aus der Europäischen Union. Diejenigen im und um den Kreml werden sich nirgendwo verstecken können.“ Truss zielte damit direkt auf die Oligarchen, von denen sich inzwischen viele am Finanzplatz London tummeln - so viele, dass Insider bereits von „Londongrad“ sprechen. Ihren Interessen werde die Regierung „so sehr schaden“, dass der Kreml seinen Kurs zu ändere.

Damit stößt die Außenministerin allerdings in ein Wespennest direkt vor ihrer eigenen Haustür. Denn Kritiker rennen seit Jahren erfolglos gegen den „Laundromat“ an, wie sie London als Geldwaschmaschine für russische Oligarchen betiteln. Ein Bericht des Auswärtigen Ausschusses im britischen Unterhaus zum russischen Oligarchengeld war schon 2018 erschienen. Unter dem Titel „Moskaus Gold" zeigte er, dass es Großbritannien nicht bislang nicht allzu ernst damit war, die Oligarchen im eigenen Land zu sanktionieren. Viel zu eng sind sie inzwischen mit dem britischen Finanzplatz verwoben. Zu lange habe London die Rolle gespielt „Gewinne aus Kreml-naher Korruption zu verstecken“, heißt es in dem vier Jahre alten Bericht.

Passiert ist seither wenig. Im Gegenteil: Seit dem Amtsantritt von Boris Johnson haben die Tories nach offiziellen Angaben rund zwei Millionen Pfund von russischen Spendern bekommen. Gesetzesänderungen, wonach zum Beispiel mehr Transparenz bei Immobilienkäufen die Wäsche von Oligarchengeld erschweren sollte, bleiben seit Jahren liegen. Die Antikorruptionsorganisation „Transparency International" schätzt, dass Immobilien im Wert von bis zu zwei Milliarden Dollar in London aus verdächtigem russischem Geld finanziert wurden. Eine Dokumentation im TV-Sender Channel 4 zeigt, wie skrupellose Makler in London den Kauf von Millionenobjekten mit mutmaßlichem Schwarzgeld umsetzen. Der Milliardär Roman Abramowitsch kaufte den Erstliga-Fußballclub Chelsea, um Zugang zur besseren britischen Gesellschaft zu gewinnen. Sein Kollege Alexander Lebedev kaufte aus ähnlichen Beweggründen die Londoner Abendzeitung „Evening Standard".  Russische Oligarchen beschäftigen eine Armee von Anwälten, PR-Beratern und Hauspersonal, schicken ihre Kinder auf britische Schulen und lassen sich vor britischen Gerichten scheiden, heißt es in einem Beitrag der Deutschen Welle. „Sie sind ein wichtiger Bestandteil der Londoner Superreichen, treten beim Pferderennen in Ascot ebenso auf wie bei den Wohltätigkeitsbällen und Galaveranstaltungen der Hauptstadt.“

Truss hat es damit schwer, diesen Sumpf trocken zu legen. Aber sie will Kurs halten. Mit Blick auf den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine sagt sie: „Wir wissen aus den Lehren der Geschichte, dass diese Vorgehensweise niemandem nützen würde.“ Ein solch rücksichtsloses Vorgehen werde strategische Konsequenzen mit enormen Kosten nach sich ziehen. Denn: „Wir werden Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verteidigen.“

Oliver Stock

15.02.2022 | 11:33

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