
Jane Fraser, CEO der Citigroup und erste Frau an der Spitze einer systemrelevanten US-Bank, hat den einst kriselnden Finanzriesen mit harter Hand, strategischem Weitblick und einem Gespür für moderne Führungskultur neu ausgerichtet. (Foto: picture alliance / newscom | Dickson Lee)
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Die Königin der Wall Street
von Thorsten Giersch
Die Citigroup galt lange als Problemkind unter den amerikanischen Großbanken. „Unmanageable and uninvestible“ (etwa: unführbar und nichts, wo man investieren sollte) – so beschrieben Investoren das einst größte und wertvollste Bankinstitut der USA. Doch dann kam Jane Fraser. Seit die heute 57-Jährige 2021 als erste Frau die Führung einer systemrelevanten US-Bank übernahm, schaffte sie die tiefgreifende Transformation des Finanzriesen. Als erste Frau in der maximal männerdominierten Wall Street streicht sie ein Gesamtgehalt von mehr als 100 Millionen Dollar ein – wohlgemerkt allein seit ihrem Amtsantritt 2021. Ihr Jahresgehalt für 2024 wurde um üppige 33 Prozent auf 34,5 Millionen Dollar angehoben.
In den US-Medien wird die Mutter zweier Söhne (22 und 24 Jahre) die „unbestrittene Königin der Wall Street“ genannt. Ein renommierter Finanzkolumnist schrieb über sie: „Sie isst Nägel zum Frühstück und spuckt Rost aus.“ Vermutlich hat das aber auch mit Abstammung zu tun: Fraser wurde im schottischen St. Andrews geboren. Ihre Familie gehört zum Clan Dundas, dessen Wurzeln bis ins 12. Jahrhundert reichen. Sie studierte Wirtschaft an den Elite-Unis Cambridge und Harvard, arbeitete bei der Investmentbank Goldman Sachs und als McKinsey-Partnerin. Zehn Jahre lang beriet sie dort Banken.
Nach der Geburt ihrer Söhne arbeitete sie in Teilzeit. Was Teilzeit seinerzeit bedeutete, erklärte ihr Mentor Lowell Bryan, Senior Partner bei McKinsey, der „Financial Times“: „Ich habe bei ihr übernachtet und fand sie um 3 Uhr morgens in der Küche am Computer.“ Fraser hielt durch und sagte später: „Mutter kleiner Kinder zu sein und Karriere zu machen, ist das Schwierigste, was ich je getan habe. Ich war erschöpft und fühlte mich schuldig, obwohl ich mit meinem Mann einen großartigen Partner hatte, der die Verantwortung vollständig mittrug.“ Er gab seinen Job als Leiter des globalen Bankgeschäfts bei der Investmentbank Dresdner Kleinwort auf, um Frasers Karriere zu unterstützen.
„Sie isst Nägel zum Frühstück und spuckt Rost aus.“
2004 wechselte sie zur Citigroup und verdiente sich Lorbeeren als harte, aber strategische Führungskraft. Sie durchlief fast alle Geschäftsbereiche der Bank, von Lateinamerika bis zum Investmentbanking, bevor sie 2021 die Führung der Bank übernahm. Frasers Vorgänger Michael Corbat hatte die Citigroup acht Jahre lang geleitet, aber nie so richtig in den Griff bekommen. Fraser hat bei der Citigroup eine weitreichende Reorganisation eingeleitet, die Managementstrukturen vereinfacht und die Verantwortlichkeiten klarer festgelegt. Sie investiert mehr, um die den Konzern technologisch zu modernisieren. So sollen Probleme behoben werden, die 2020 Auflagen durch US-Aufsichtsbehörden auslösten. Sie treibt den Rückzug aus 14 internationalen Privatkundenmärkten voran.
Unter Fraser nahm die Citigroup 2024 mit 81,1 Milliarden Dollar drei Prozent mehr ein. Der Nettogewinn legte um 37 Prozent auf 12,7 Milliarden Dollar zu. Für eine Bank, die seit der Finanzkrise 2008 mit erheblichen Problemen kämpft und deren Aktienkurs heute nur halb so hoch ist wie 2006, sind das gute Zeichen. Der Aufsichtsrat honorierte Frasers Bemühungen nun mit einer deutlichen Gehaltserhöhung: Für 2024 erhält die Chefin 34,5 Millionen Dollar – ein Plus von 32,7 Prozent zu 2023. Diese Steigerung beförderte Fraser vom letzten auf den vierten Platz in der Vergütungsrangliste der sechs größten US-Finanzinstitute. Sie liegt damit vor Morgan-Stanley-Chef Ted Pick und Wells-Fargo-CEO Charlie Scharf, aber hinter den Spitzenverdienern Jamie Dimon (JPMorgan Chase) und David Solomon (Goldman Sachs), die jeweils 39 Millionen Dollar erhalten. Bemerkenswert: Frasers prozentuale Gehaltssteigerung übertrifft die ihrer männlichen Kollegen deutlich. In der Begründung für die Gehaltserhöhung betonte der Vergütungsausschuss sein Vertrauen in Frasers strategische Prioritäten und lobte ihre umsichtige und durchdachte Umsetzung mit Fokus auf Sicherheit, verbesserte Renditen und nachhaltiges Wachstum.
Teil dieser Strategie ist auch der radikale Personalabbau: Bis 2026 sollen 20.000 Stellen wegfallen. Wobei man ihr Unrecht tun würde, ihre Härte zu sehr zu betonen. Zumindest sagt sie selbst von sich: „Empathie ist die wichtigste Fähigkeit, die man lernen kann. Sie verlangt, dass wir mit der Zeit gehen. Sie ermöglicht Exzellenz – die Exzellenz, nach der wir jeden Tag streben.“ Dazu passt ihr Führungsphilosophie: „Stellen Sie sicher, dass Ihr Team besser ist als Sie. Scheuen Sie sich nicht, Leute einzustellen, die mehr wissen als Sie, die besser sind als Sie.“
So ist ein weiterer wichtiger Baustein von Frasers Strategie, Führungskräfte von außerhalb des Unternehmens zu holen. Mit Vis Raghavan konnte sie einen hochrangigen Manager von JPMorgan abwerben, der nun das Investment-, Unternehmens- und Geschäftskundenbanking der Citigroup leitet. Zudem holte sie Tim Ryan, ehemaliger Senior Partner bei PricewaterhouseCoopers, für die Leitung der Technologie- und Legacy-Franchise-Aktivitäten an Bord. Diese personellen Verstärkungen sollen dazu beitragen, die Citigroup wieder wettbewerbsfähiger zu machen. Denn trotz aller Fortschritte bleibt die Bank im Vergleich zu ihren Konkurrenten zurück: Mit mehr Personal als die Bank of America erwirtschaftet sie nur ein Drittel von deren Gewinn.
Anders als andere große Geldhäuser plant Fraser, die Homeoffice beizubehalten. Die meisten Mitarbeiter der Citigroup arbeiten nach einem hybriden Zeitplan mit mindestens drei Tagen pro Woche im Büro und bis zu zwei Tagen aus der Ferne. Aus ihrer Sicht ist der flexible Ansatz ein Wettbewerbsvorteil, um Mitarbeiter zu gewinnen, die ihre Konkurrenten wegen strengerer Vorschriften verlassen wollen.
„Stellen Sie sicher, dass Ihr Team besser ist als Sie. Scheuen Sie sich nicht, Leute einzustellen, die mehr wissen als Sie, die besser sind als Sie.“
Wie Fraser zu Donald Trump steht, ist derzeit nicht genau zu erfassen. In den vergangenen Wochen hat sie sich nicht direkt zum US-Präsidenten oder seiner Regierung geäußert. Es gibt jedoch einige relevante Entwicklungen, die indirekt mit seiner Politik in Verbindung stehen: Unter Frasers Führung hat Citigroup Diversity-, Equity- und Inclusion-Programme (DEI) zurückgefahren, was in der Finanzwelt als Reaktion auf die politische Atmosphäre unter Trump interpretiert wurde, der solche Bemühungen für linken Quatsch hält.
Ob das unbedingt schlecht ist, lässt sich kaum sagen. Allerdings kann es sich die Bank wahrscheinlich nicht leisten, auf Konfrontation mit dem Präsidenten zu gehen, der für manche Überraschung und Unsicherheit an den Märkten verantwortlich ist.
Bisher läuft jedenfalls alles richtig bei Citi. Wobei der radikale Wandel in der Bank reichlich Risiken birgt. Wegen des Personalabbaus dürfte die Bank einiges Wissen verlieren. Die Restrukturierung bindet zudem viele Ressourcen, die an anderer Stelle fehlen. Möglicherweise verliert die Bank durch den Rückzug aus bestimmten Märkten dort auch den Anschluss. Und so richtig sexy für Investoren ist das Unternehmen immer noch nicht. Das alles ficht Fraser nicht an. Die Königin der Wall Street sieht sich auf dem richtigen Weg.
06.05.2025 | 22:14