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Die Welt braucht Deutschland nicht als Pseudovorbild

Deutschland bemüht sich auf der Weltklimakonferenz in Ägypten um den Status des Musterschülers, verheddert sich aber in Widersprüchen. Dabei ist die Antwort auf die Frage, was es bringt, wenn nur wenige Länder vorangehen, klarer denn je.

Von Thorsten Giersch

„Am Deutschen Wesen mag die Welt genesen“ heißt es in einem politischen Schlagwort aus dem Jahr 1861, das seit über 150 Jahren weit mehr als ein Wortspiel ist. Mit dem „deutschen Wesen“ war damals ein einheitlicher Staat gemeint, der die Welt zu einem besseren Ort machen sollte. Das ging spätestens ab 1914 mächtig schief. Aber dennoch gehört zu unserer Kultur der Gedanke, dass wir Vorbild sein wollen. Das spürt man vor allem auf den jährlichen Klimakonferenzen.

Auf dem derzeit laufenden Treffen in Ägypten ist aus deutscher Sicht eines besonders: Die Klimapolitik wird nicht mehr federführend vom Umweltministerium geleitet, sondern ist nach der Regierungsbildung ins Außenministerium unter der Führung von Annalena Baerbock (Grüne) gewechselt. Als ihre Galionsfigur tritt in diesem Tagen zum ersten Mal Jennifer Morgan auf. Die Chefunterhändlerin Deutschlands, Sonderbeauftragte für Klimapolitik und Staatssekretärin im Auswärtigen Amt war früher Chefin von Greenpeace. Eine ihrer Kernthesen lautet: „Ohne das ambitionierte Vorantreiben der Energiewende in Deutschland hätten wir nicht die weltweite Glaubwürdigkeit, um ehrgeizige Partnerschaften und Abkommen mit anderen zu schließen.“

Dieses Mantra ist auf der einen Seite fundamental wichtig, um Deutschlands Klimapolitik zu verstehen. Der Kohleausstieg bis spätestens 2038, die EEG-Umlage, das Ende der Atomkraft oder das Verbot von Verbrennermotoren ab 2035: Viele dieser Maßnahmen kosteten oder kosten der Bevölkerung Wohlstand und den Unternehmen Wettbewerbsfähigkeit. Es muss also immer abgewogen werden, was dem Klima hilft und was Schaufensterpolitik ist. Mit dem Totschlagargument, dass diese Vorreiterrolle zwingend nötig ist, schafft man diese Abwägung aber eben nicht. Und falsch ist es zudem auch noch – aus drei Gründen.

Erstens: Die Welt braucht Kooperationspartner, nicht Besserwisser

Warum muss Deutschland ein perfekter Klima-Musterschüler sein, um bilaterale Partnerschaften mit Namibia über grünen Wasserstoff zu schließen? Steht und fällt so ein Deal mit dem Datum für den Kohleausstieg? Das darf bezweifelt werden. Man muss nicht um jeden Preis der Vorreiter sein, um weltweit effektiv Klimaprojekte abzuschließen. Man muss sich Mühe geben, kluge Kooperationen mit Win-Win-Effekt für beide Seiten zu schmieden – was viel zu lange vernachlässigt wurde. Auch allzu ambitionierte Jahreszahlen sind nicht entscheidend: Für die innenpolitische Show mag wichtig sein, ob man den Kohleausstieg für 2030, 2035 oder 2038 beziffert. Dem Weltklima ist nur sehr bedingt damit geholfen, wenn wir die Meiler hierzulande drei Jahre früher oder später abstellen. Im Gegenteil: Der Schaden wäre enorm, wenn Länder wie Deutschland zu hoch gesteckte Ziele verfehlen – wonach es ja durchaus aussieht.  

Zweitens: Deutschland handelt widersprüchlich

Die Widersprüche deutscher Energiepolitik als kurzfristige Notmaßnahme abzutun, verfängt nicht. Wir schalten unsere AKW ab, importieren aber Atomstrom aus anderen Ländern. Die Regierung erklärt Fracking in Deutschland aus politischen Gründen als nicht möglich, importiert aber so gewonnenes Gas aus anderen Ländern. Die Liste ließe sich fortführen. Wer sich ehrlich macht, hätte auch die Option, seine weit fortgeschrittene Technologie zu exportieren. Deutschlands Kohlekraftwerke sind zum Beispiel weltführend führend im Hinblick auf ihren Ausstoß. Je eher die Betreiber in Deutschland den Schalter ausmachen müssen, desto weniger kann die Welt von der deutschen Technologie profitieren, vermuten Fachleute. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde es dem Weltklima auch mehr helfen, wenn deutsche Autobauer ihre verbrauchsarmen und hochmodernen Diesel in alle Welt exportieren, anstatt sich voll auf Elektro fokussieren zu müssen.

Drittens: Deutschland ist bei weitem kein Vorbild

Der Bundesrechnungshof bezeichnet die deutsche Klimaschutzpolitik als „mangelhaft“ und weist ihr eine lange Liste von Versäumnissen nach: Es gebe keine Koordination der Maßnahmen, die Klimaschutzberichte seien lückenhaft und diverse Subventionen klimaschädlich. Wenn es so weitergeht, werde Deutschland nicht das Ziel erreichen, die CO2-Emisisonen bis 2030 um mindestens 65 Prozent zu verringern. Die Bundesregierung befinde ich „im Blindflug“ und habe „keinen Überblick darüber, wie viele Treibhausgase mit einzelnen Maßnahmen überhaupt eingespart werden sollen“. Nur vier der 96 Maßnahmen aus dem Klimaschutzprogramm 2030 führten überhaupt zu signifikanten Emissionseinsparungen. Auch die Finanzpolitik wird in dem Bericht kritisiert. Zwar hatten 16 Milliarden Euro Finanzhilfe, die im vergangenen Jahr gezahlt wurden, einen umweltfreundlichen Effekt. Dafür waren 65 Milliarden Euro gezahlte Subventionen umweltschädlich.

Wie eine neue Klimapolitik aussehen sollte

Mal abgesehen davon, dass solche handwerklichen Fehler in der Klimapolitik behoben werden müssen – mit einem hat Jennifer Morgan absolut Recht: Die Klimapolitik gehört ins Außenministerium, denn sie kann nur in einem weltweiten Kontext gelingen. Wenn Deutschlands Chefunterhändlerin die enorme Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit betont, klingt das womöglich ziemlich offensichtlich, ist in dieser Konsequenz aber neu für Deutschland: Angetrieben von 220 Auslandsvertretungen werden mit Staaten in aller Welt Bündnisse geschmiedet, die dem Klima nützen. Es entstehen Kooperationen mit Ländern in Afrika, um erneuerbare Energien auszubauen oder Grünen Wasserstoff. Das ist der Weg, kein Beharren auf deutschen Alleingängen, die dem Klima deutlich weniger nützen, als sie den Menschen und den Unternehmen schaden.


11.11.2022 | 11:12

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