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Die Wiederauferstehung des Franz-Josef Strauß

Meinungsforscher ermitteln in Deutschland eine konservative Mehrheit. Sie sehnt sich nach alten Ikonen, wie den polternden Bayern. Den Regierenden ist das jedoch egal. Sie reden nicht mit denen, die sie nicht wählen. Die Sprachlosigkeit macht wütend.

„Bleiben wir auf dem Boden trockene, spröder, notfalls langweiliger, bürgerlicher Vernunft und ihrer Tugenden? Oder steigen wir ein in das bunt geschmückte Narrenschiff Utopia, in dem dann ein Grüner und zwei Rote die Rolle der Faschingskommandanten übernehmen würden?“ So rief es vor bald drei Jahrzehnten die Ikone der Rechten in Deutschland, Franz-Josef Strauß, in eine tobende Menge und inzwischen kursiert auf Social Media-Kanälen die Aufzeichnung dieser Rede. Sie erzielt Millionenklicks. „Mann mit Weitsicht“ ist der Videoschnipsel überschrieben.

Ganz klar: Es gibt eine Sehnsucht nach solchen Tönen und nach der Haltung, die dahintersteht. Die jüngsten politischen Meinungsumfragen belegen das eindrucksvoll: Die Wahlpropheten von Yougov ermittelten diese Woche eine konservative Mehrheit in Deutschland: 27 Prozent der wahlberechtigten Bundesbürgerinnen und Bundesbürger gaben ihnen gegenüber an, CDU/CSU zu wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre. Die FDP erzielte acht Prozent, und die rechte und in Teilen rechtsextreme AfD legt um zwei Prozentpunkte auf 16 Prozent zu. Macht zusammen 51 Prozent und wäre sogar eine absolute Mehrheit. Beim Meinungsforschungsinstitut Ipso käme für diese Kombination 49 Prozent zusammen, was immerhin noch eine klare relative Mehrheit gegenüber den linken Parteien SPD, Grüne und Linke ist, die in der Umfrage auf 43 Prozent kommen.

Das Ganze sind theoretische Werte, nicht nur, weil nicht gewählt wird, sondern auch weil es sich bisher nicht abzeichnet, dass irgendeine der Altparteien bereit wäre, mit der AfD gemeinsame Sache zu machen. Es zeigt aber, wie die meisten Deutschen wirklich ticken: konservativ. Und im Zweifel eher ein bisschen rechts. Und es erklärt vieles.

Es erklärt, warum derzeit 500 Journalisten über die „letzte Schlacht um Lützerath“ (Süddeutsche Zeitung) berichten. Sie machen das, weil sie glauben, dass hier gerade eine Frontlinie verläuft zwischen einer lauten Minderheit, die den Kurs des Narrenschiffs Utopia zumindest mitbestimmt und deren Ziel in diesem Fall der sofortige Verzicht aus Kohle ist. Und einer notfalls langweiligen Mehrheit bürgerlicher Vernunft, die sieht, dass es ohne Kohle heute noch nicht geht. Das will kein Journalist verpassen.

Es erklärt auch, warum zwei Wochen nach den Krawallen der Silvesternacht von Berlin die Vorgänge immer noch ein Thema sind. Die vergleichsweise hohe Zahl beteiligter Migranten an den Unruhen zeigt, dass Menschen nach Deutschland gekommen sind, die ihr Gastgeberland verachten. Die spröde bürgerliche Vernunft fordert so etwas zu einer vielleicht gar nicht so spröden Gegenreaktion heraus. Das Narrenboot Utopia dagegen versucht solche Untiefen zu umschiffen.

Und es erklärt nicht zuletzt, warum es Aussetzer bei deutschen Spitzenpolitikern gibt, wie den von Außenministerin Annalena Baerbock, die der Ukraine im vergangen Jahr Unterstützung zusagte, „egal was meine deutschen Wähler denken.“ Es muss schließlich egal sein, weil eine Mehrheit möglicherweise nicht auf der Linie der grünen Außenministerin liegt.

Ist das ganze schlimm? Nein. Es heißt parlamentarische Demokratie und besteht im Ringen um die bestmögliche Politik für ein Land und seine Menschen. Zu den Regeln gehört, dass die Gewählten eine Legislaturperiode lang fast alles machen dürfen, was sie wollen. Und es ist nicht einmal sonderlich ungewöhnlich, dass eine Mehrheit im Land anders denkt, als die Regierenden. Im Gegenteil: Es zeichnet die Deutschen aus, dass sie sich nicht blind verführen lassen. Auch nicht von links. Schlimm ist nur, wenn die Regierenden zu borniert sind, um den Regierten zuzuhören. Dann sieht das, was auf der Regierungsbank geschieht und dem Gemeinwohl dienen sollte, doch eher aus wie Selbstverwirklichung. Und das ist sicher keine Tugend.

Oliver Stock

13.01.2023 | 15:06

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