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Energiepreis-Schock: Wie gut helfen andere Länder ihren Bürgern?

Europas Regierungen intervenieren mit Milliarden Euro aus Steuergeld, um ihre Bürger in der Krise finanziell zu entlasten. Viele sind kreativer als die Deutschen. Was ihnen einfällt, reicht von Energiepreisen, die auf dem Stand von letzten Jahr eingefroren sind, über eine Zusatzsteuer für Kriegsgewinnler bis zum Wärmescheck.
 
Die Weltbank pflegt eine eindeutige Sprache: Sie erwartet, dass die europäischen Erdgaspreise 2022 doppelt so hoch sein werden wie 2021, während die Kohlepreise voraussichtlich um 80 Prozent steigen. Indermit Gill, Vizepräsident der Bank, macht es in seinem aktuellen Bericht kurz: „Wir erleben den größten Rohstoffschock seit den 1970er Jahren. Diese Entwicklungen wecken das Gespenst der Stagflation“, womit eine galoppierende Geldentwertung ohne Wirtschaftswachstum gemeint ist. Und dann schreibt Gill den Politikern etwas ins Stammbuch: „Die politischen Entscheidungsträger sollten jede Gelegenheit nutzen, um das Wirtschaftswachstum zu Hause zu steigern.“

Was passiert also, um die Bürger zu entlasten? In ganz Europa werden die explodierenden Energiepreise zu einem bedrohlichen Problem. Viele Haushalte sind davon bedroht, dass ihnen der Strom abgestellt wird. Sie können ihre Rechnungen nicht mehr begleichen. Aber auch energieintensive Unternehmen geraten in Existenznot. Die Regierungen halten mit unterschiedlichsten Mitteln dagegen. Sie senken die Mehrwertsteuer auf Energie, verschenken Tank-Gutschriften, erhöhen das Kindergeld oder eine Steuerbefreiung für Energiesparmaßnahmen. Bei diesen Instrumenten herrscht wenig Uneinigkeit.

Anders bei dem umstrittenen Strompreisdeckel, den die Europäische Union am 9. Juni Spanien und Portugal erlaubt hat. Die Preisobergrenze für Gas für die Stromerzeugung soll zunächst bei 40 Euro pro Megawattstunde angesetzt werden. In den kommenden zwölf Monaten soll sie im Schnitt bei knapp 50 Euro liegen. Im Mai lag der Preis pro Megawattstunde noch fast doppelt so hoch. Teresa Ribera, die spanische Ministerin für den ökologischen Wandel, erklärte, so würden knapp 40 Prozent der privaten Haushalte und 70 Prozent der industriellen Abnehmer entlastet. Die Maßnahme biete Schutz für Verbraucher, Unternehmen und die Großindustrie. Dafür sollen mehr als acht Milliarden Euro Staatsgelder an die Energiekonzerne fließen. Deutschland und die Niederlande sträubten sich gegen diesen Markteingriff.

Wie sich Europa den steigenden Energiepreisen entgegenstemmt, ist höchst unterschiedlich. Hier kommt der Überblick:

Deutschland

Bis August bleibt die Energiesteuer auf Kraftstoffe auf das europäische Mindestmaß gesenkt. Dazu kommt das Neun-Euro-Ticket für den ÖPNV. Die Entfernungspauschale für Fernpendler und der Arbeitnehmer-Pauschbetrag wurden angehoben, ebenso der Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer. Erwerbstätige, Selbstständige und Gewerbetreibende erhalten eine einmalige Energiepreispauschale von 300 Euro. Vom Heizkostenzuschuss sollen insgesamt 2,1 Millionen Menschen profitieren. Ab 2023 wird die EEG-Umlage abgeschafft.
 
Frankreich

Die Gaspreise wurden auf dem Niveau von Oktober 2021 eingefroren. Die Strompreise durften um maximal vier Prozent erhöht werden, Geringverdiener bekamen bereits eine staatliche Einmalzahlung von 100 Euro. Seit dem 1. April erhalten Autofahrer in Frankreich einen Tankrabatt von 15 Cent pro Liter Kraftstoff.  Energieintensive Firmen, bei denen die Energierechnung mindestens drei Prozent des Umsatzes beträgt und denen ein Verlust droht, sollen Unterstützung erhalten. Auch zusätzliche staatliche Kreditgarantien sollen den Unternehmen helfen. Wer wegen der  Energiekosten oder den Folgen des Ukraine-Krieges in ernste Schwierigkeiten gerät, kann Steuer- und Sozialabgabenlast stunden.

Großbritannien

Die Regierung wird jedem Haushalt ab Oktober umgerechnet 460 Euro Rabatt auf seine Stromrechnung geben. Die meisten Haushalte sollen einen einmaligen Rabatt auf die Kommunalsteuern von 170 Euro bekommen. Die Einkommensgrenze, ab der die Bürger Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen, wird um knapp 3500 Euro angehoben. Zudem müssen Hauseigentümer für energiesparende Investitionen keine Mehrwertsteuer mehr bezahlen. Die Mineralölsteuer wurde zunächst für ein Jahr um umgerechnet sechs Cent pro Liter gesenkt.

Italien

5,2 Millionen Familien bekommen als Sozial-Bonus Zuschüsse zu Strom und Heizkosten. Produzenten, Importeure und Zwischenhändler von Strom, Gas und Öl zahlen dafür vorübergehend zehn Prozent extra auf ihre Gewinne. Der  Benzin- und Dieselpreis wurde gesenkt. Besonders energie- oder gasintensive Unternehmen sollen im zweiten Quartal 2022 eine Steuergutschrift von 25 Prozent bekommen; alle anderen Firmen eine Steuergutschrift von 20 Prozent auf Gas- und von zwölf Prozent auf andere Energiekosten. Die Mai- und Juni-Rechnungen der Energieversorger können in bis zu 24 Monatsraten gestundet werden. Finanziert werden soll das unter anderem durch eine Sondersteuer von 25 Prozent der Energiekonzerne auf übermäßigen Gewinn.

Spanien

Schon 2021 senkte die Regierung die Mehrwertsteuer auf Strom von 21 auf zehn Prozent. Die Sieben-Prozent-Steuer auf die Stromerzeugung wurde ganz ausgesetzt, die Stromsteuer im September von 5,1 auf 0,5 Prozent gesenkt. Auch die Netzentgelte werden reduziert. Einkommensschwache Haushalte profitieren von einem Strompreis-Rabatt von 25 und 70 Prozent. Zudem dürfen die Versorger zehn Monate lang den Strom nicht abstellen, wenn eine Rechnung nicht bezahlt wird. Bis Ende Juni werden an den Tankstellen je Liter Benzin und Diesel 20 Cent erstattet.

Griechenland

Dank nach Verbrauch gestaffelter Subventionen für Strom und Gas spart ein durchschnittlicher Haushalt 50 bis 60 Euro im Monat. 20 Euro Zuschuss pro Megawattstunde im Monat können Erdgas-Kunden beantragen. Zu Ostern überwies die Regierung ihren Bürgern als Inflationsausgleich eine Sonderzahlung des Kindergeldes. Ein großes Problem sind hier die Haushalte, die trotz allem ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen können. Eine EU-unabhängige Initiative soll die Energiepreise von den Stromrechnungen der griechischen Haushalte entkoppeln. Deshalb will die Regierung ab Juli die zusätzlichen Gewinne, die die Energiekonzerne während der Energiekrise erzielt haben, mit 90 Prozent besteuern.

Österreich


Hier sollen die Steuern auf Gas und Strom für private Haushalte und kleine Betriebe gesenkt werden. Ökostrompauschale und –beitrag wurden ausgesetzt. Dazu gibt es einen Teuerungs- und Energiekostenausgleich. In Summe werden knapp 4 Milliarden Euro in diverse Unterstützungsprogramme für Bürger, Unternehmen und landwirtschaftliche Betriebe investiert.
 
Belgien 
 
Die Mehrwertsteuer auf Strom und Gas wurde vorübergehend von 21 auf 6 Prozent gesenkt. Jeder Haushalt soll eine Einmalzahlung von 100 Euro bekommen. Einkommensschwache Haushalte nutzen bis September einen Spezialtarif bei den Energiepreisen. Die Abgaben für Diesel und Benzin fielen auf 17,5 Cent pro Liter.

Niederlande
 
Dort wurde die Mehrwertsteuer auf Energie von 21 auf 9 Prozent gesenkt und Abgaben auf Benzin und Diesel um 21 Prozent reduziert. Haushalte mit sehr geringem Einkommen sollen eine einmalige Zulage von je 800 Euro bekommen.
Dänemark
 
Einkommensschwache Haushalte können einen steuerfreien Wärme-Scheck von umgerechnet rund 800 Euro bekommen. Das entspricht einer Subventionen im Wert von 288 Millionen Dollar an etwa 419.000 der am stärksten betroffenen Haushalte.
 
Schweden
 
Die Kraftstoffsteuer soll vom 1. Juni bis 31. Oktober auf das EU-Mindestniveau sinken. Autobesitzer sollen durch eine Einmalzahlung von umgerechnet 94 bis 141 Euro für die steigenden Spottpreise entlastet und das Wohngeld für Familien mit Kindern erhöht werden.
 
Norwegen

Die Regierung übernahm bis März 50 Prozent des reinen Kilowattpreises bis zu einem monatlichen Verbrauch von 5000 Kilowattstunden. Nach Regierungsangaben bedeutet das eine Unterstützung der Stromkunden von umgerechnet knapp 500 Millionen Euro.
 
Polen
 
Die Regierung hat ihre Steuerforderungen auf Strom, Heizöl und Benzin gesenkt, für Gas und Lebensmittel ganz gestrichen. Das soll die Bürger binnen eines halben Jahres um 5,5 Milliarden Euro entlasten.
 
Tschechien

Die Straßenverkehrssteuern für Pkw, Autobusse und Laster bis zwölf Tonnen wurde gestrichen. Benzin und Diesel müssen keine Bio-Kraftstoffe mehr beigemischt werden.
 
Anke Henrich

22.06.2022 | 16:19

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