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Die Energiewende ist ein Zwerg

In Deutschland ist die Energiewende eine wichtiges politisches Thema. Doch im internationalen Vergleich ist sie relativ ­unbedeutend. Denn es gibt viel tiefgreifendere Veränderungen in der weltweiten Energieversorgung.

In der Energie-Welt sind wir nur eine Randfigur, obwohl wir uns manchmal aufführen, als seien wir der Nabel der Energie-Welt.“ Das sagte Michael Schmidt, Vorstandsvorsitzender der BP Europa SE, im Herbst auf einer Veranstaltung. Denn die Energiewende in Deutschland ist nur ein kleiner Teil der Umbrüche, die gegenwärtig in der weltweiten Energieversorgung stattfinden.

Besonders deutlich zeigen sich die Veränderungen an einem fast unumstößlich geglaubten Trend wie dem „Naturgesetz“ der in absehbarer Zeit versiegenden Ölquellen mit einer sich abzeichnenden Knappheit, die zu steigenden Preisen führt. Die Realität sieht derzeit aber komplett anders aus. Einer der Treiber der purzelnden Ölpreise ist die Tatsache, dass sich die Energienachfrage in Länder außerhalb der OPEC verlagert hat. Ein weiterer Faktor ist der Vormarsch der Ausbeutung von Öl- und Gasfeldern in Nordamerika durch das hierzulande abgelehnte Fracking.

Dadurch sind die Amerikaner auf dem Weg zur Unabhängigkeit von Importen. Diese Entwicklung hat in Deutschland große Auswirkungen. Denn Kohle, die in den USA nicht genutzt und deshalb exportiert wird, erhöht das Angebot in Deutschland und wird dank gesunkener Preise zur Stromproduktion eingesetzt. Dadurch sinkt die Rentabilität von Gaskraftwerken, die im Mix mit Wind- und Solarkraft eine wichtige Rolle spielen könnten.

Aber nicht nur Deutschland ist nicht der Nabel der Energie-Welt, sondern nicht einmal die EU. Deutschland hat einen Anteil von 3 % am weltweiten Energieverbrauch, die EU von 13 % – mit abnehmender Tendenz. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 waren es noch 17 % der Weltenergienachfrage. Mit anderen Worten: Fast 90 % des globalen Energie- und Klimageschehens spielt sich außerhalb der EU ab.

In den nächsten 20 Jahren wird die Energienachfrage global um 40 % steigen. Dabei wird die Zunahme zu einem Großteil aus den Schwellenländern kommen, während sie in den etablierten Märkten in Europa, Amerika und Asien mehr oder weniger stagniert. Trotz aller Bemühungen um den Ausbau der erneuerbaren Ener­gien führt angesichts dieses weltweiten Energiehungers kein Weg daran vorbei, dass die Erzeugung in 20 Jahren weiterhin von den fossilen Trägern Kohle, Öl und Gas mit jeweils 27 % bis 28 % Anteil am globalen Energiemix geprägt wird.

Das hat unter anderem damit zu tun, dass China und Indien zu den Ländern mit den größten eigenen Kohle-Ressourcen gehören. Das Poten­zial werden diese Länder nutzen, auch wenn die Schattenseiten des rasanten Wachstums inzwischen stärker registriert werden und zum Teil auch gegenge­steuert wird. Kernenergie wird in 20 Jahren weltweit einen Anteil von etwa 7 % und die Erneuerbaren von etwa 12 % am Weltenergiemix haben. Die Folge dieser Entwicklung: Die CO2-Emissio­nen nehmen weiterhin ungebremst zu. Zwar gehen die Steigerungsraten zurück, doch eine wirkliche Trendwende liegt derzeit in sehr weiter Ferne.

Europa sollte deshalb seine Rolle auf den Energiemärkten nicht überschätzen. Auch der Fokus auf den Erneuerbaren und das von der EU angepeilte Ziel von 27 % bis 2030 werden nicht verhindern, dass ein Großteil der – fossilen – Energieträger auf dem Weltmarkt beschafft werden muss. Die EU wird 2030 von ­allen Regionen mit Ausnahme ­Japans am stärksten von Energieeinfuhren abhängig sein. Schon im nächsten Jahrzehnt dürfte die Importabhängigkeit der EU bei Öl auf über 90 % und bei Erdgas auf über 80 % wachsen.

Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite: Wahrnehmung im Ausland/Europäisch denken
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Ausland registriert die Uneinigkeit

Problematisch in diesem Zusammenhang ist auch, dass die Europäer in puncto Energieversorgung durchaus nicht mit einer Zunge reden – und das wird im außereuropäischen Ausland durchaus registriert. Deutschland setzt auf die Energiewende und Frankreich auf die Kern­energie. England nutzt sein Öl und Gas aus der Nordsee und re­alisiert gleichzeitig – wie Deutschland – große Offshore-Windkraftprojekte. Polen will seine großen Kohlevorräte ausbeuten – und eventuell auch seine Schiefergasstätten erschließen, allerdings geht das nur mit Fracking.

Vor diesem Hintergrund muss Europa die Veränderungen auf den Energieweltmärkten im Blick haben, um nicht durch das Erstarken anderer Player unter Druck zu geraten. Dabei ist für die europäische und die deutsche Wirtschaft nicht nur eine sichere Versorgung wichtig, sondern auch konkurrenzfähige Energiepreise. Die Annahme, dass die Preise für fossile Energien immer weiter steigen oder zumindest nicht mehr wesentlich sinken würden, hat sich als falsch erwiesen. Die Ölpreise befinden sich europaweit im Sinkflug. Auch der Kohlepreis ist wegen des großen Angebots aus den USA, wo das Gas die Kohle verdrängt, deutlich nach unten gegangen. Während die Kraftstoffpreise fallen, sieht es bei den Strompreisen anders aus. Gerade die Industriestrompreise in der EU steigen kontinuierlich, während sie in den USA in den vergangenen zehn Jahren nahezu konstant geblieben sind. Damit können die USA ihre indus­trielle Renaissance vorantreiben. Das hat bereits Folgen: Europäische Stahl- und Chemieunternehmen haben Amerika wieder als attraktiven Standort entdeckt und investieren dort und nicht in der EU.

Europäisch denken

Der deutsche Energiemarkt ist im Weltmaßstab eher klein. Die Nachfrage der Bundesrepublik macht nur 3 % des Weltenergiebedarfs aus. Die Energiewende in Deutschland müsste deshalb nach Ansicht von Fachleuten stärker in europäische Strukturen eingebettet werden. Damit würde auch die Versorgungssicherheit nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten EU verbessert. Da Kraftwerke effizienter genutzt werden könnten, hätte das auch positive Auswirkungen auf die Preise. Gleichzeitig könnte man eine gemeinsame Antwort auf das globale Problem des Klimawandels geben.

Allerdings haben sich die EU-Mitgliedstaaten zwar auf gemein­same Ziele für 2020 geeinigt, sie können aber ihren Energiemix auch weiter­hin selbst bestimmen – und liegen in diesem Punkt recht weit auseinander. Wie schwierig eine Einigung auf eine gemeinsame euro­päische Energiepolitik ist, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass es schon in Deutschland 16 regionale Energiewenden gibt. Wie kann eine Netzverbindung zwischen Nord- und Südeuropa hergestellt werden, wenn schon eine Nord-/Südtrasse in Deutschland schier ein Ding der Unmöglichkeit ist? Doch durch eine gemeinsame europäische Energieagenda würden sich völlig neue Möglichkeiten ergeben. Um nur ein kleines Beispiel zu geben: Man könnte die norwegischen Fjorde als riesiges Energiereservoire nutzen – vorausgesetzt, der Strom kann ungehindert zwischen Deutschland und Skandinavien fließen.

fr

28.03.2015 | 09:40

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