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Innenstadtmaut für Autofahrer: Forscher halten sie für die letzte Chance

Was Innenstädte belastet, sind die täglichen Staus. Immer wieder eines der vermeintlichen Patentrezepte: die Innenstadt-Maut für Autofahrer. Geht es nach renommierten Wirtschaftsforschern, muss die jetzt in Deutschland kommen.

London hat es vorgemacht: Unter dem seinerzeitigen Labour-Bürgermeister Ken Livingstone, eine Schreckgestalt für Konservative, führte man unter der Bezeichnung „London Congestion Charge“ eine City-Maut ein, die das Fahren innerhalb eines bestimmten Radius mit täglich fünf Pfund belastete (später zehn, heute fünfzehn). Abends und an Wochenenden geht es teils auch kostenlos in die Stadt; in jedem Fall bleibt das Parken die nächste Zahlstelle. Der Radius wurde seit 2005 immer weiter gefasst, und tatsächlich nahm der innerstädtische Verkehr allmählich ab, allerdings nicht dramatisch, denn es gibt zahlreiche Ausnahmegenehmigungen: Busse, Taxis, Kleinbusse, E-Mobile und so weiter. Eine konsequente Ausgestaltung hätte wohl auch die Londoner U-Bahn und die Buslinien überfordert. Die auch so schon nicht gerühmt werden, außer vielleicht von Verkehrshistorikern. Das Beispiel hat europaweit Schule gemacht – der ADAC etwa informiert auf langen Listen über die betreffenden Städte von Bologna bis Bergen.

In Deutschland sinnieren zahlreiche Stadtverwaltungen über eine kostenpflichtige Einfahrt in die City nach. Und zwar schon lange. Unterbrochen von der Pandemiezeit mit viel ruhigerem Verkehr wird nun wieder geplant, aber es gibt vieles zu bedenken. Zunächst einmal handelt es sich bei den Straßen um ein öffentliches Gut, das vom Staat errichtet und instand gehalten wird (oder werden sollte). Für die Nutzung fällt im allgemeinen keine Gebühr an, da hierfür allgemeine Steuermittel gedacht sind. Die in Deutschland prozentual sehr hohe Mineralölsteuer wird von Autofahrern erhoben, allerdings aus rechtlichen Gründen nicht zweckgebunden eingesetzt. Die Kommunen wiederum lassen sich das Parkraum-Management in der Regel gut bezahlen. Dass die zusätzliche City-Maut von der Mehrzahl der motorisierten Gesellschaft abgelehnt wird, wie Umfragen in Großstädten immer wieder zeigen, ist daher kein Wunder; das Wort „Melkkuh“ fällt in diesem Zusammenhang mit zuverlässiger Regelmäßigkeit. Besonders ablehnend zeigen sich jüngerer Befragte.

Differenzierter sieht es eine große Zahl von Ökonomen, die eine Nutzungsabgabe im Grunde für ein gutes marktwirtschaftliches Steuerungsinstrument halten, wenn es für zu wenig Asphalt zu viele Interessenten gibt, ergo alles im Stau steht. So befürwortet das Münchener ifo-Institut jetzt unter bestimmten Bedingungen auch eine Innenstadt-Gebühr: „Die Maßnahmen sollten sich auf die Lösung lokaler Probleme richten. Dazu gehört die Reduktion von Staus oder die Verteilung des knappen Platzes in Städten“, so Oliver Falck, Leiter des Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien beim ifo-Institut München, kürzlich Mitte Juni. Allerdings warnt er vor der Vermengung verschiedener Ziele: Um die Belastung der Innenstädte und ihrer Bewohner vor allem in Stoßzeiten erträglicher zu machen, biete sich eine Benutzungsgebühr an. Gehe es hingegen um die sogenannten Klimaziele, seien Zertifikate mit ihrem Preis für CO2 eine geeignete Lösung, zumal hier auf kommunaler Ebene nichts wirklich zu erreichen sei. Die Ökonomen rechnen bereits mit einem Effekt beim Verkehrsaufkommen, wenn beispielsweise in München sechs Euro täglich zu berappen sein würden.

Ähnlich argumentiert das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, und zwar schon seit Jahren. Bereits 2019 empfahlen die Forscher, übrigens im Einklang mit dem Wissenschaftlichen Beirat beim damaligen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, eine marktwirtschaftliche Lösung für die Mobilitätsprobleme in Innenstädten. Danach sollte eine Maut zum Beispiel je nach Schadstoffbelastung in der Umgebungsluft gestaffelt werden – je dichter die Staus, desto höher damit die Gebühr. Dies sei auch deutlich zielführender als zum Beispiel generelle Dieselfahrverbote. Inwieweit sich klimapolitische Effekte erzielen ließen, wollten die Wissenschaftler nicht bewerten – erst wenn belastbare kausale Wirkungsdaten vorliegen würden, könne man dies eruieren. Bis heute jedenfalls gibt es solche Daten höherer Qualität nicht, dafür aber eine Menge politische Diskussion in regelmäßigen Wellen. Sollten sich etwa die kühnen Pläne der Bundesregierung für den Anteil an Elektroautos eines Tages materialisieren, wären sicherlich Ausnahmen von einer etwaigen Citymaut fällig, ähnlich wie in London dann wohl auch für zahlreiche weitere Verkehrsteilnehmer.  Es folgt für die Kommunen noch die Frage, welcher Umkreis festgelegt werden sollte, welche Tageszeiten besonders verkehrsreich sind und wie eine Maut gestaffelt werden könnte – dies etwa auch gemäß Schadstoff-Emission des jeweiligen Fahrzeugs. Ein generelles Lkw-Verbot zu Stoßzeiten wird teils ebenso diskutiert wie eine Ausweitung von Park-and-Ride-Plätzen mit Busanbindung.

Das Manko aller Pläne in Städten wie München, Köln, Hamburg oder Berlin: Der öffentliche Nahverkehr entspricht nicht einem Standard, der für Autofahrer, vor allem Pendler, eine Verlockung darstellen könnte. Gerade in Berlin meldete die dortige Verkehrsgesellschaft BVG gerade einen Investitionsstau in dreistelliger Millionenhöhe, der mit den regelmäßig verfügbaren Mitteln nicht aufzulösen sei, eher das Gegenteil sei wohl zu erwarten. Zu deutsch: Es bröckelt in der Substanz. Wie man sich in Berlin das zumindest immer mal wieder diskutierte vollständige Verbot für Privat-Pkw vorstellt, bleibt damit offen: Der notorisch beklagenswerte Nahverkehr wird die Interessenten zu gegebener Zeit eher stehenlassen müssen. Ob es dadurch einen Ansturm auf Elektrofahrzeuge geben würde, ist natürlich spekulativ. Der Gesamtbestand belief sich vor einem Jahr bundesweit auf 1,35 Prozent der zugelassenen Autos – heute meldet das Kraftfahrt-Bundesamt immerhin einen Anteil von knapp zwanzig Prozent an den Neuzulassungen. Es ist absehbar, dass Ausnahmeregeln zugunsten dieser Fahrzeuge irgendwann zu neuerlichen Staus im innerstädtischen Verkehr führen dürften. Dann als Elektrostau immerhin ohne Lärm und Schadstoffe. Als Teil einer oft gepriesenen Mobilitätswende führt an einer umfassenden Modernisierung und Ausweitung des ÖPNV im wahrsten Sinne des Wortes kein Weg vorbei. Hätte man damit begonnen, als der erste Arbeitskreis oder die erste Expertenkommission ihre Tätigkeit aufnahmen, so gäbe es in vielen Städten heute ein bestechendes Angebot bei Bus und Bahn.

Reinhard Schlieker

22.06.2023 | 14:15

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