Große Herausforderungen sieht Tanja Jursa, Geschäftsführerin für den Vertrieb, auf das 484 Jahre alte Traditionsunternehmen Stahlwerk Annahütte zukommen (Bild: Stahlwerk Annahütte).



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Frauen haben das erste Wort: Tanja Jursa

Im oberbayerischen Stahlwerk Annahütte hat Tanja Jursa vor 27 Jahren eine Ausbildung zur Industriekauffrau gemacht. Mittlerweile führt sie das Unternehmen als Geschäftsführerin. Im Interview mit dem WirtschaftsKurier spricht sie über die Herausforderungen der E-Mobilität für ihre Branche, männerdominierte Meetings und darüber, was beim Thema Gleichberechtigung nervt.

WirtschaftsKurier: Guten Morgen Frau Jursa, wie war das Wochenende?

Tanja Jursa: Das Wetter hätte besser sein können, da es fast das ganze Wochenende geregnet hat. In den kurzen Regenpausen habe ich einen längeren Spaziergang in unseren wunderschönen Wäldern gemacht. Die andere Zeit habe ich genutzt, um den Keller zu entrümpeln und Zeitschriften zu lesen, die ich schon seit längerem durchblättern wollte. Das Entrümpeln ist zwar keine schöne Tätigkeit, aber danach fühlt es sich gut an, wieder einen aufgeräumten Keller zu haben.

Auf welchen Termin freuen Sie sich besonders diese Woche?

Zum einen freue ich mich auf die Begrüßung unserer neuen Auszubildenden, die am ersten September starten werden. Zehn junge Frauen und Männer werden in den Ausbildungsberufen Industriemechaniker/-in, Maschinen- und Anlagenführer/-in, Werkstoffprüfer/-in und Industriekauffrau/-mann ihren ersten Tag haben. Dies erinnert mich immer an meinen ersten Ausbildungstag, als ich 1994 im Stahlwerk Annahütte die Ausbildung zur Industriekauffrau begann. Insgesamt bilden wir zurzeit 28 junge Frauen und Männer aus.
Zum anderen freue ich mich auf die vielen Jubiläen unserer Mitarbeiter, die in dieser Woche anstehen. Diese reichen von zehn-, zwanzig-, dreißig- bis sogar vierzigjährigen Firmenzugehörigkeiten. Das zeigt die Verbundenheit unsere Mitarbeiter mit dem Unternehmen. Uns als Geschäftsführung freut dies besonders.

Das Stahlwerk Annhütte blickt auf eine Jahrhundert alte Tradition. Bereits 1537 hat es die Erlaubnis zur Förderung und Verarbeitung von Eisenherz erhalten. Wie erfindet sich ein Unternehmen immer wieder neu?

In den zurückliegenden 484 Jahren des Bestehens von Stahlwerk Annahütte gab es viele Höhen und Tiefen. Schlimme Kriege wie der Dreißigjährige Krieg, der erste und zweite Weltkrieg, Rezessionen in der Weltwirtschaft und Überkapazitäten im Stahlmarkt sind nur einige Beispiele, die das Unternehmen durchstehen musste. Aber auch positive Entwicklungen prägen das Unternehmen bis heute, zum Beispiel die Übernahme der Produktion des Gewindestahls von den deutschen Stahlwerken Peine-Salzgitter und Krupp in den achtziger Jahren und die Ausrichtung der Annahütte auf die Produktion hochqualitativer Stabstähle für die Automobilindustrie, Maschinenbauindustrie und Energieerzeugung sind wichtige Meilensteine, die bis heute den Erfolg begründen. Heute sind wir weltweit führend in der Produktion der Gewindestähle für den technischen Ingenieurbau und in fast jedem in Europa produzierten Auto ist Stahl der Annahütte verbaut. Aktuelle Herausforderungen wie der Umgang mit den Einschränkungen und Auswirkungen der Corona-Pandemie beschäftigen uns weiterhin. Zudem wird der Wechsel in der Antriebstechnologie des Kraftfahrzeugs – weg von Verbrennungs- hin zu Elektromotoren – eine große Herausforderung für uns. Bei einem Benzin oder Diesel betriebenen Fahrzeug wird sehr viel mehr Stahl für den Verbrennungsmotor und das Getriebe benötigt als bei einem E-Fahrzeug. Daher müssen wir mit dem Ausbau der Wertschöpfungstiefe unsere Absatzmärkte neu definieren und die Integration von Produktionsstufen, für die wir im Moment Zulieferer sind, vorantreiben.   

Sie arbeiten in einer männerdomierten Branche. Ist es dort doppelt schwer an die Spitze zu kommen und wie setzen Sie sich durch?

Um sich durchzusetzen bedarf es meiner Meinung nach Ausdauer, einer gewissen Hartnäckigkeit und man darf sich von Rückschlägen nicht aus der Bahn bringen lassen. Das ist aber unabhängig von der Geschlechterfrage. Ob es doppelt so schwer war, in einer männerdominierten Branche an die Spitze zu kommen, kann ich im Nachhinein nicht beurteilen. Als ich im Vertrieb begonnen habe, war ich oft die einzige Frau in Branchensitzungen oder in Verkaufsgesprächen. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich als einzige Frau unter 60 Teilnehmern namentlich begrüßt wurde. Dies hat sich glücklicherweise im Laufe der Zeit sehr verändert.

Aktuell diskutiert Deutschland eine Frauenquote für Vorstände. Sind Sie dafür?

Eigentlich ist es schade, dass wir im Jahr 2021 noch über Quoten sprechen müssen, um Frauen in Führungspositionen zu bringen. Diverse Studien belegen, dass Unternehmen erfolgreicher agieren, die auf Geschlechterdiversität in ihren Führungsteams setzen. Zudem liegt Deutschland im Vergleich zum EU-Durchschnitt in dieser Frage weit hinter Ländern wie z.B. Norwegen oder Litauen. Eine Umfrage der Freien Universität Berlin ergab, dass die bereits seit 2016 existente Frauenquote in Aufsichtsräten die Interaktion, Diskussion und Entscheidungsfindung positiv beeinflusse. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat lange auf Freiwilligkeit und Selbstverpflichtung der Unternehmen gehofft, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Das hat leider nicht funktioniert. Inzwischen könnte ich mich für eine Quote für eine gewisse Zeit anfreunden, wenn sich dadurch nachhaltig etwas ändert.  Entscheidend sollte aber immer die Qualifikation sein, daher wäre es auch sehr wichtig, mehr junge Frauen für die MINT-Fächer zu begeistern.

Gibt es etwas, was Sie beim Thema Gleichberechtigung und Diversität nervt?

Ja, dass es überhaupt noch ein Thema in Deutschland im Jahr 2021 ist und keine Selbstverständlichkeit.

Das Gespräch führte Florian Spichalsky

30.08.2021 | 10:08

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