Fußbett mit Leuchtturmwirkung – was hinter Habecks 80 Milliarden-Investitionen steht
80 Milliarden Euro sollen in den nächsten Jahren von der Industrie und mit Hilfe staatlicher Subventionen ausgegeben werden, um neue Produktionswerke zu schaffen und in neue Technologien zu investieren. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt: Einiges kommt, anderes ist ein Hoffnungswert. Wo in Deutschland investiert wird.
Von Oliver Stock
Wäre Deutschland ein Mensch, und er würde gefragt, wie es ihm geht, würde er wahrscheinlich antworten: „Der Rücken schmerzt, die Pumpe will nicht mehr so, aber es muss ja.“ So jedenfalls klingt übersetzt das, was die meisten Unternehmen und Verbände über ihre Situation so mitteilen. Was wir erleben, sei keineswegs ein vorübergehender konjunktureller Abschwung, analysierte kürzlich der ehemalige Wirtschaftsweise Bert Rürup. Es handele sich um eine strukturelle Krise. Andere Ökonomen und vor allem Vertreter von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden stimmen in diesen pessimistischen Chor ein. Deutschland drohe die „Deindustrialisierung“. Die Bedingungen für Investitionen und damit künftiges Wirtschaftswachstum verschlechterten sich. Der Wirtschaftsstandort werde zunehmend unattraktiv. Deutschland, so Rürup, drohe zum „kranken Mann Europas" zu werden. Rücken eben, Pumpe und - naja.
Die Politik, die den Zustand mitverantwortet, sieht das naturgemäß anders. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) beließ es in dieser Woche nicht bei Berufsoptimismus, sondern wurde konkreter: Er kündigte neue Großinvestitionen der Industrie an. Deutschland habe „große Stärken: gut ausgebildete Leute, einen starken Mittelstand, innovationsfähige Betriebe und etliche Unternehmen, die Ideen haben und sich erneuern,“ sagte er. Davon seien auch Konzerne und Investoren überzeugt: „Wir wissen von zahlreichen Großinvestitionen, die in der nächsten Zeit anstehen – mit einem Investitionsvolumen von insgesamt rund 80 Milliarden Euro.“ Und fast wie zum Beweis konnte Habeck nur einen Tag nach dieser Ankündigung einen Ansiedlungserfolg konkret benennen: Der taiwanesische Chiphersteller TSMC kommt nach Dresden. Die Rede ist von einer Investitionssumme von zehn Milliarden Euro, die Hälfte davon fließt aus staatlichen Töpfen als Subvention.
Doch was ist mit den anderen 70 Milliarden? Auf Nachfrage werden Habecks Planer etwas konkreter: Es gebe aktuell mehr als zwei Dutzend anvisierte Großinvestitionen, bei denen mehr als 100 Millionen Euro ausgegeben wird, heißt es aus dem Ministerium. Es geht dabei um Unternehmen im Bereich der Wasserstofferzeugung, Batteriezellfertigung, entlang der gesamten Mikroelektronik-Wertschöpfungskette, aber auch im Bereich Biotechnologie, Arzneimitteilforschung und Medizinproduktherstellung. „Wir haben von der Pharmaindustrie bis zur Batteriezellenfertigung, von der Halbleiterindustrie bis zur Wasserstoffproduktion ein vielfältiges Biotop mit großer Investitionsbereitschaft geschaffen, das in den nächsten Jahren auch deutliche Früchte tragen wird und hilft, den Wohlstand zu erneuern“, heißt es nicht ohne Stolz aus dem Ministerium.
In interessierten Kreisen wird eine Liste herumgereicht, die die einzelnen Vorhaben benennt, die jedes für sich genommen, in den Regionen meistens bekannt sind. Die 30 Milliarden-Investition für eine Intel-Chipwerk in Magdeburg ist die größte, eine 50 Millionen Euro teure Produktionsstätte in Brandenburg, um Snack-Salami herzustellen, ist die kleinste Investition auf der Liste. Dazwischen sind milliardenteure Wasserstoffprojekte in der Chemie- und Stahlindustrie, Batteriezellenfertigung bei BASF, BMW und Varta sowie mit überschaubaren 120 Millionen Euro Investitionen eine „neue Produktionsanlage für Schuh- und Fußbettherstellung mit Leuchtturmwirkung für die gesamte Region“. Gemeint ist damit eine neue Birkenstock-Fabrik in Pasewalk in Mecklenburg-Vorpommern. Die auf der Liste genannten Investitionen summieren sich auf knapp 60 Milliarden Euro, die Differenz zu den genannten 80 Milliarden ist ein Hoffnungswert, da die Liste auch Ankündigungen enthält, die sich noch nicht quantifizieren lassen. Manches dürfte höchst ungewiss sein wie etwa die Varta-Investitionen. Das Unternehmen hat jüngst tiefrote Zahlen für das erste Halbjahr vorgelegt.
Unterm Strich werden trotz aller Hoffnungswerte, die auch noch schief gehen können, zwei Dinge deutlich: In Deutschland geht nicht das Licht aus. Wer sucht, findet helle Flecken. Zweite Erkenntnis: Deutschland schaltet nach zwei Krisen – erst Corona, dann Krieg im Nachbarland – um auf Industriepolitik. Die Liste benennt in etwa der Hälfte aller Fälle erhebliche Summen, die Länder und Bund als Subventionen zur Verfügung stellen. Das Dogma der Wettbewerbspolitik, das Jahrzehnte in Brüssel und Berlin gepredigt wurde und darauf hinauslief, dass Beihilfen den Markt verzerren und damit Teufelszeug sind, gilt nicht mehr. Die Ampelregierung hat jedenfalls mit dem Einstieg in einen weltweiten Wettlauf um die höchsten Subventionen für Zukunftstechnologien längst begonnen. Daran, dass der Patient ohne diese Medizin wieder laufen lernt, glaubt offenbar niemand.
16.08.2023 | 15:11