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Habeck wagt den Coup gegen Gazprom

Trotz des Ukraine-Kriegs fließt russisches Gas weiter in großen Mengen nach Deutschland. Die Gasspeicher füllen sich zwar, doch nun gibt es ein Problem. Der Gazprom-Speicher im niedersächsischen Rehden bleibt leer. Ausgerechnet der ist aber der größte in Deutschland. Jetzt greift Wirtschaftsminister Habeck spektakulär ein.

Von Wolfram Weimer

Der Füllstand deutscher Gasspeicher erreicht in dieser Woche die Marke von 50 Prozent. Nach den tagesaktuellen Daten der Bundesnetzagentur sind die deutschen Gasspeicher zum Wochenauftakt exakt zu 48,63 Prozent gefüllt. Kurz nach Ausbruch des Ukraine-Krieges Mitte März lagen die Füllstände auf einem Tiefstand von nur 24,2 Prozent. Die eingelagerte Gasmengen haben sich also in den drei Kriegsmonaten glattweg verdoppelt. Sie sind mittlerweile deutlich höher als im Frühjahr 2015, 2017, 2018 und 2021. Auch der Gas-Lieferstopp gegenüber Shell betrifft nur kleine Mengen und „hat bisher keine Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit in Deutschland“, beruhigt die Netzagentur.

Tatsächlich pumpt Russland trotz des Krieges und der Sanktionen täglich gewaltige Gasmengen nach Deutschland. Geholfen hat aber auch die milde Witterung im Frühjahr. Ab Mitte März herrschten in Deutschland ungewöhnlich hohe Temperaturen; an manchen Tagen wurde es wärmer als 20 Grad. In der Folge wurde deutlich weniger geheizt. Die Gasnetzlieferanten reagieren darauf in der Regel, indem sie weniger Gasmengen anmelden. Der Gasverbrauch ist stark von der Temperatur abhängig. Der Winterbedarf liegt ungefähr achtmal höher als der im Sommer.

Trotz der 50-Prozent-Füllung bleibt die Netzagentur besorgt. Die Speicher seien immer noch "nicht gut genug gefüllt", warnt der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller. Die Gasspeicher hierzulande füllten sich "besser als in den Vorjahren“, sie seien aber "noch nicht gut genug gefüllt, wenn wir kurzfristig weniger oder kein russisches Gas mehr bekommen würden“. Würde der komplette Gasverbrauch Deutschlands aus den Vorräten gespeist, so würden diese jetzt nur etwa 72 Tage reichen.

Bis November müssen die Füllstände etwa 90 Prozent erreicht haben, um halbwegs sicher durch den Winter zu kommen. Dazu hat die Bundesregierung ein entsprechendes Gesetz beschlossen. Demnach müssen die Gasspeicher zum 1. Oktober zu 80 Prozent und zum 1. November zu 90 Prozent befüllt sein. Das aber dürfte in diesem Jahr schwierig werden. In Deutschland gibt es zwar 47 Untertagespeicher an 33 Standorten, die von rund 25 Firmen betrieben werden. Doch ausgerechnet der größte Gasspeicher Deutschlands füllt sich überhaupt nicht. Der wird von der Gazprom-Germania-Tochter Astora betrieben, die unter die neuen Sanktionen fällt. Der Speicher befindet sich im niedersächsischen Rehden. Auf ihn entfällt rund ein Fünftel der deutschen Kapazität.

Der Speicher in Rehden war vor Kriegsausbruch schon ungewöhnlich leer gewesen. Gazprom hatte offenbar ihre Speicher seit Sommer 2021 kaum füllen lassen. Viele Experten vermutet dahinter ein politisches Druckmittel der russischen Regierung. “Dass die seit dem vergangenen Sommer nicht mehr befüllt haben, ist natürlich eine Katastrophe und eindeutig strategische Kriegstreiberei", sagt Michael Sterner, Leiter der Forschungsstelle Energienetze und Energiespeicher an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg. Und auch Peter Markewitz, Wissenschaftler am Institut für Energie- und Klimaforschung des Forschungszentrums Jülich, sagt, ein marktwirtschaftlicher Grund für dieses Verhalten sei nicht ersichtlich. "Schließlich haben sich die anderen Speicherbetreiber auch alle anders verhalten", so Markewitz. "Insofern liegt der Verdacht nahe, dass das interessengesteuert war." Inzwischen hat die Bundesnetzagentur als Treuhänderin vorübergehend die Geschäfte der Gazprom Germania übernommen.

Die Lage verschärft sich, weil Russland die Gaslieferungen nach Holland und Dänemark jüngst eingestellt hat. Ludwig Möhring, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Erdgas, Erdöl und Geoenergie e.V. (BVEG), warnt:  „Die Probleme, jetzt im Sommer die Speicher für den Winter zu füllen, werden dadurch nicht kleiner.“ Deswegen greift Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) jetzt ein. Er sorgt für einen Paukenschlag: Er entreißt den Speicher per Verordnung dem russischen Zugriff. Der Ministercoup heißt im beamtendeutsch „Verordnung zur Zurverfügungstellung unterbrechbarer Speicherkapazitäten zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit“, auch „Gasspeicherbefüllungsverordnung“ genannt. Durch die Ministerverordnung, die am Mittwoch im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde und an diesem Donnerstag in Kraft tritt, wird der Gasmarktverantwortliche, die in Ratingen ansässige Firma „Trading Hub Europe“ (THE), in die Lage versetzt, den Speicher zu befüllen. Die Speicherrechte des Gazprom-Mutterkonzerns Gazprom Germania seien zuvor gekündigt worden, hieß es. „Da die Speicherstände von Deutschlands größtem Gasspeicher in Rehden seit Monaten auf historischem Tief liegen, ist es notwendig, hier schnell zu handeln“, verkündet Habeck via Pressemitteilung. Der Wirtschaftsminister will damit die vollständige Kontrolle über den Erdgasspeicher zurückgewinnen. Stück für Stück hatte Gazprom in den vergangenen Jahren das strategisch wichtige Rehden übernommen – sowohl, was den Betrieb als auch die Einspeicherung betraf. Erst 2015 war die vollständige Übernahme von de BASF-Tochter Wintershall Dea über einen Asset-Tausch erfolgt. Das Geschäft wurde vom damaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) politisch flankiert. Mit Spannung wird nun erwartet, wie Russland auf den Coup Habecks reagiert.

02.06.2022 | 11:31

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