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Handwerker am Ende: „Wir schaffen das nicht“

Der Maurer lässt ein dreiviertel Jahr auf sich warten, der Heizungsmonteur durchschnittlich vier Monate. Weil die Aufträge nur so hereinprasseln, die Fachkräfte aber fehlen, sind die Wartezeiten auf Handwerker so lange wie noch nie. Inzwischen geben einige Betriebe entnervt auf und Kunden springen ab. Dabei gäbe es Lösungsmöglichkeiten.

Am eigenen Erfolg erstickt? Diese Diagnose trifft scheinbar seit Monaten auf die allermeisten Handwerker zu – und ist für Kunden eine mittlere Katastrophe: Der Maler kommt nicht, der Elektriker vergibt keine Termine und der Heizungsfachmann macht seine Kunden schon glücklich, wenn er verspricht, vor dem Winter vorbeizuschauen. Tatsächlich ist jedoch nicht die gute Arbeit der Handwerksbetriebe der Auslöser für den Terminmangel in der gesamten branche, sondern ein ungutes Gemisch von Materialengpässen, Arbeitskräftemangel, Nachfolge-Problemen in Betrieben und hohen Energiekosten macht den unternehmen und ihren Kunden zu schaffen. Dazu kommt auch noch eine staatlich geförderte Nachfrage nach Handwerksdienstleistungen. Deswegen dauert es Monate, bis eine Steckdose verlegt, ein Waschbecken neu montiert oder auch nur eine Wand vom Profi frisch gestrichen ist. Handwerker sind schlicht nicht zu finden.

Ratgeber für Bauherren listen die aktuellen Wartezeiten auf. An der Spitze stehen Maurer, auf die Auftraggeber durchschnittlich sechs bis neun Monate warten müssen, gefolgt von Zimmerleuten, die vier bis fünf Monate auf sich warten lassen, was auch nicht viel länger ist als jene durchschnittlich vier Monate, die der Heizungsmonteur braucht, um vorbeizukommen.

Die Branche als Ganzes leidet unter dem Ruf, nur noch im Schneckentempo Aufträge abarbeiten zu können, und die Kunden sind es leid: Sie bestellen, wenn es irgendwie geht, keine Handwerker mehr. Stattdessen lassen sie schwarzarbeiten, verschieben den Auftrag oder machen es selber. Umgekehrt nehmen einige Betriebe von sich aus keine Aufträge mehr entgegen. Vor diesem Hintergrund haben sich die Erwartungen in der Branche dramatisch verschlechtert, stellte das Münchner Ifo-Institut jüngst fest. Die Wirtschaftsforscher haben eine Umfrage gemacht mit dem Ergebnis: Im Hochbau zeigen sich im April 54,2 Prozent der Betriebe von Lieferengpässen betroffen, beim Tiefbau 46,2 Prozent. „Das sind Höchststände seit Beginn der Zeitreihe 1991“, sagt Ifo-Forscher Felix Leiss. Die Geschäftserwartungen haben sich so eingetrübt, dass 60 Prozent der Bauunternehmen, so heißt es von regionalen Verbänden, erst einmal keine neuen Aufträge entgegennehmen.

Vollends in die Misere geraten, sind die, die für die allseits geforderten nachhaltigen Sanierungen zuständig sind. Etwa Monteure, die Wärmepumpen einbauen. Der Markt legt mit Zuwachsraten von 30 Prozent rasant zu. Allein im vergangenen Jahr wurden 150.000 Anlagen installiert. Die, die es machen sollen, sind komplett ausgelastet. „Wir haben derzeit einen durchschnittlichen Auftragsbestand von 14 Wochen“, sagt Helmut Bramann, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Sanitär Heizung Klima (ZVSHK), der den Überblick über 49 000 Mitgliedsunternehmen mit 392.000 Beschäftigten hat. Einzelne Betriebe sind noch sehr viel länger ausgebucht. Oft können sie gar nicht arbeiten, weil die Industrie nicht liefern kann. Die kämpft nämlich mit fehlenden Teilen, beispielsweise für die Elektronik der Steuerung.

Erschwerend kommt hinzu, dass echte Fachleute für das Modernste, was auf dem Markt ist, fehlen. „Wir haben aktuell eine Umfrage initiiert, um uns einen Überblick zu verschaffen“, erklärt Bramann. Er schätzt, dass nur „zwischen 15 und 30 Prozent der Betriebe derzeit in der Lage sind, eine Wärmepumpe einzubauen. Bei mindestens zwei von drei Unternehmen klopfen die Interessenten also vergeblich an, weil das nötige Fachwissen fehlt. Eine Ursache ist auch hier der eigene Erfolg: Viele Unternehmen sind so gut ausgelastet, dass sie auf ihre Mitarbeiter nicht für zusätzliche Schulungen verzichten können. Der Verband beziffert den aktuellen Personalbedarf aber auf rund 40 000 professionelle Monteure und mehr als 30 000 Auszubildende. Der Fachkräftemangel trübt die Festtagsstimmung in der Branche erheblich. „Wir fragen uns, wie denn die sechs Millionen Wärmepumpen installiert werden sollen, die sich die Politik bis 2030 vorgenommen hat“, so Bramann. Die Branche benötige dazu allein 60 000 zusätzliche Monteure.

Der Krieg in der Ukraine tut sein übriges, um Handwerksbetriebe aus dem Takt zu bringen. „Russland und die Ukraine sind wichtige Lieferanten von Baustahl, hier herrscht nun Knappheit. Beim Bitumen – benötigt für den Straßenbau und zur Abdichtung – gibt es weitere Verwerfungen. Die Herstellung vieler Baumaterialien ist zudem sehr energieintensiv. Die starken Preisanstiege bei den Energieträgern bedrohen deshalb auch die heimische Produktion und sorgen für weitere Verteuerungen beim Baumaterial“, analysieren die ifo- Wirtschaftsforscher. „Bei laufenden Projekten stellt sich die Frage, inwieweit Kostensteigerungen weitergegeben werden können. Neue Projekte sind kaum kalkulierbar.“
Es läuft also im Handwerk wenig bis gar nichts, wie es soll – womit die Zeit der Berater anbricht, die in Krisen Auslöser für Veränderungen sehen. Einer von ihnen ist Christoph Blepp, Gründungspartner bei S&B Strategy, einer Unternehmensberatung, die sich mit Übernahmen und Strategien im Bausektor befasst. Er sieht Handwerker und Bauunternehmer selbst in der Pflicht, die Misere anzugehen. „Grundsätzlich wird in weiten Teilen der Bauindustrie noch von der Struktur her wie vor hundert Jahren gebaut. Der einzige Unterschied sind leistungsfähigere Maschinen und Werkzeuge“, klagt er.
Drei Punkte müssten sich ändern: Es geht um schnelleres Bauen, durch vorgefertigte Elemente, die vor Ort nur noch zusammengesetzt werden. Es geht um digitales Bauen: „Moderne Unternehmen arbeiten mit Building Information Modeling, also digitalen Zwillingen der Gebäude, die sie mitentwickeln oder an denen sie mitarbeiten. Dort ist jede Steckdose verzeichnet und jeder Beteiligte sieht in Echtzeit den Baufortschritt.“ Und es geht darum, alte Zöpfe abzuschneiden: „Die Bauindustrie muss die Fragmentierung der Gewerke überwinden“, meint der Berater. Handwerker sollten sich nicht in der Zunft zu Hause fühlen, sondern in Projekten denken. „Nehmen sie einen Heizungsbauer: Der musste sich früher mit Gas und Wasser auskennen. Heute baut er Wärmepumpen und Photovoltaik und zukünftig auch Batteriespeicher ein.“

Was nichts nützt, da sind sich Berater und Handwerker einig, ist, wenn die Politik die Anforderungen immer weiter nach oben schraubt, ohne dass die Betriebe eine Chance haben, die über sie hereinbrechenden Aufträge abzuarbeiten. Der Osnabrücker Handwerkspräsident Reiner Möhle drückt das so aus: „Was Politiker in Berlin beschließen, können die Handwerksbetriebe in der Fläche nicht leisten. Das ist für uns das beste Konjunkturprogramm, aber wir können es nicht umsetzen. Das ist utopisch.“ Was er konkret meint?  „Doppelt so viele Brücken wie gedacht sind marode und müssen ersetzt werden. Es sollen 400.000 Wohnungen gebaut werden. Es braucht eine Sanierung des Altbaubestands.“ Das ernüchternde Fazit des Handwerks-Präsidenten angesichts von Auftragsflut und Fachkräfte- sowie Materialmangel fasst er in einem Wort mehr als Ex-Kanzlerin Angela Merkel zusammen: „Wir schaffen das nicht.“            

Oliver Stock

20.05.2022 | 11:31

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