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Neu bauen oder besser enteignen?

Wie die Parteien für bezahlbaren Wohnraum in Deutschland sorgen wollen.

In Berlin ist kürzlich etwas Eigenartiges passiert: eine Geschichte, die das Zeug hat, neben den Megathemen Pandemie und Klimawandel zum dritten Wahlkampfthema des Jahres aufzusteigen. Es geht ums Wohnen. Alle Beteiligten sind höchst alarmiert – und zu den Beteiligten kann sich jeder zählen, der in Deutschland ein Dach über dem Kopf hat, sucht, baut, mietet oder vermietet.

Passiert istFolgendes: Das Bundesverfassungsgericht hat den Berliner Mietendeckel gekippt, den der rot-rot-grüne Senat beschlossen hatte, um die stark anziehenden Mietpreise zu stoppen. Daraufhin haben die beiden größten Berliner Vermieter und nebenbei größten Wohnungskonzerne im ganzen Land gegensätzlich reagiert: Während die Deutsche Wohnen darauf beharrte, die Mietbestandteile, die ihr durch das gekippte Gesetz entgangen waren, von den Mieterinnen und Mietern zurückzufordern, gab sich Konkurrent Vonovia großzügig: Man werde auf Mietnachforderungen verzichten, sagte Vorstandschef Rolf Buch.

Buch hat damit Gespür bewiesen. Er wollte kein Benzin in die Glut kippen, weil er weiß, dass das Feuer, das dann entsteht, auch seinen Konzern versengen könnte. Genützt hat es allerdings nichts. Denn das Urteil der Verfassungsrichter hat dazu beigetragen, dass das Thema Wohnen zur Bundestagswahl ins Rampenlicht rückt. Es marschieren dabei auf: links diejenigen, die Wohnen als soziales Gut betrachten, das der Staat für seine Bürgerinnen und Bürger wie Luft, Wasser, Straßen und Schienen organisieren muss. Rechts dagegen stehen diejenigen, die Wohnen in einem privat organisierten System befürworten, weil sie der Meinung sind, dass marktwirtschaftliche Mechanismen von Angebot und Nachfrage am ehesten in der Lage sind, jedem hierzulande ein Dach über dem Kopf zu organisieren.

Welche Sprengkraft das Thema entfalten kann, zeigen Bürgerinitiativen, die derzeit in Großstädten mobil machen. In Berlin sammelt die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ fleißig Stimmen, um noch in diesem Jahr einen Volksentscheid zu erzwingen. In München, wo die Wohnmieten zwischen 2015 und heute um mehr als 26 Prozent stiegen und inzwischen die höchsten Mieten bundesweit aufgerufen werden, trommelt die Initiative „Ausspekuliert“ für bezahlbaren Wohnraum. In Leipzig fordert das Aktionsbündnis „Leipzig für alle“ „soziale Gerechtigkeit für alle Mieter*innen“. In der sächsischen Metropole sind die Mietpreise in den vergangenen fünf Jahren um ein Viertel gestiegen.

Auch wenn Enteignungsforderungen an den dann fälligen Entschädigungen für die Besitzer scheitern dürften – der Ruf nach bezahlbarem Wohnraum hat die Parteien vor der Bundestagswahl erreicht.

Konkret wird es bei den Grünen: Sie wenden sich gegen sogenannte „Share Deals“, die Großinvestoren ermöglichen, im Gegensatz zu üblichen Grundstückskäufern die Grunderwerbsteuer zu sparen. Bei den „Share Deals“ werden Anteile eines Unternehmens erworben, das im Besitz einer Immobilie ist.

Der Unterschied mag klein und fein sein, ist aus steuerrechtlicher Sicht aber elementar: Denn wer Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft erwirbt, zahlt eben keine Grunderwerbsteuer. Darüber hinaus wollen die Grünen, dass 100.000 neue Wohnungen jährlich gebaut und gemeinnützig betrieben werden. Derzeit entstehen in Deutschland rund 70.000 solcher neuen Wohnungen im Jahr – und das nicht zuletzt deswegen, weil einige private Investoren dahinterstehen.

Auch die SPD geht mit der Marke von 100.000 neuen Sozialwohnungen im Jahr ins Rennen. Dann wird es aber nebulös: „Wir führen“, schreibt die Partei in ihrem Wahlprogramm, „eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit ein und fördern damit ein zusätzliches nicht gewinnorientiertes Segment auf dem Wohnungsmarkt.“ Was auch immer die „neue Wohnungsgemeinnützigkeit“ ist – sie soll auf keinen Fall an die alte erinnern: 1982 war die SPD-nahe und vom DGB geführte „Neue Heimat“, damals der größte Wohnungsbaukonzern Europas, unter einem Korruptionsskandal sondergleichen zusammengebrochen. Konkreter wird die Partei bei all dem, was sie Immobilienbesitzerinnen und -besitzern abverlangt: Mieten sollen für eine bestimmte Zeit nur im Rahmen der Inflationsrate erhöht, Eigenbedarfskündigungen reduziert und die Zehn-Jahres-Frist abgeschafft werden, nach der nicht selbst genutzte Wohnungen steuerfrei verkauft werden können.

Naturgemäß noch radikaler sind die Linken: Mietenstopp sowie zehn statt bisher 1,5 Milliarden in den gemeinnützigen Wohnungsbau stecken, lauten ihre Vorschläge. Und sie fordern, Vonovia und Deutsche Wohnen zu „vergesellschaften“ – was ein anderes Wort für enteignen ist.

Die FDP schließlich, die traditionell nicht an die Wunderheilungskräfte des Staates glaubt, setzt bei den Bürgerinnen und Bürgern an. Sie will für „natürliche Personen“, und damit ausdrücklich nicht für Firmen, einen Freibetrag von 500.000 Euro einführen, bis zu dem keine Grunderwerbsteuer fällig wird. Der Haken bei dieser Idee: Die Grunderwerbsteuer ist Ländersache, ob die mitmachen, kann der Bund ihnen nicht vorschreiben. Ein „Baukosten-TÜV“ soll darüber hinaus Bauvorschriften entrümpeln, die zu hohen Kosten führen.

Die Liberalen setzen voll auf den Markt, in dem sie alle Mietpreisbeschränkungen abschaffen und Abschreibungsmöglichkeiten für Wohnungsbauinvestitionen verbessern wollen. Außerdem soll eine neue Regel die Baugenehmigung beschleunigen: Legt der Bauherr alle Unterlagen vor, reagiert die Behörde aber innerhalb eines bestimmten Zeitraums nicht auf den Antrag, so gilt der Antrag als genehmigt. Ein Baulückenkataster soll außerdem mögliche Bauplätze identifizieren. Die Berechtigung, in eine Sozialwohnung einzuziehen, sollen nur diejenigen erhalten, die auf dem freien Wohnungsmarkt auch mit einem Wohngeldanspruch erfolglos bleiben, weil Vermieter sie trotz ihrer Zahlungsfähigkeit nicht akzeptieren.

Die Union verspricht mehr als 1,5 Millionen neue Wohnungen bis 2025 – schnell und bezahlbar natürlich. Dafür wollen CSU und CDU wie die FDP die Abschreibungsmöglichkeiten für diejenigen, die Mietwohnungen bauen, verbessern. Zudem soll das Baurecht ebenfalls wie bei den Liberalen vereinfacht werden. Der Bauantrag soll maximal zwei Monate brauchen, bis er genehmigt ist.

Während die Parteien den Missstand beenden wollen, organisiert sich der Unmut der Wohnungssuchenden weiter. Die jüngste Entwicklung ist in Hamburg zu besichtigen: Unter dem leicht holpernden Motto „Keine Profite mit Boden und Miete“ haben sich dort jetzt Bürgerinitiativen und Mietervereine zusammengeschlossen, um ein Volksbegehren auf die Beine zu stellen.     

Oliver Stock

23.07.2021 | 11:03

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