ING-Manager Jürgen von der Lehr betont im Interview, dass Nachhaltigkeit zum zentralen Erfolgs- und Kreditfaktor für Unternehmen wird. (Foto: ING)
Karrierealle Jobs
ING Deutschland: Warum Nachhaltigkeit zur Kreditfrage wird
Interview
Jürgen von der Lehr ist Head of Strategy & Business -Development bei ING Germany. Das Gespräch führte Thorsten Giersch.
WirtschaftsKurier: Auf Ihrer Webseite steht: „Wir setzen uns das hohe Ziel, das gesamte Kreditvolumen in Einklang mit den Pariser Klimazielen zu steuern.“ Was steckt hinter diesem Versprechen?
Jürgen von der Lehr: Das ist zugegeben ein sehr ambitioniertes Ziel. Wir haben für unterschiedliche Industrien unterschiedliche Pfade, um in Richtung Klimaneutralität zu gelangen. Es gibt Branchen, wo das herausfordernd ist. In anderen ist man bereits deutlich weiter, da gibt es zum Beispiel bereits alternative Kraftstoffe oder Energien.
Was fordern Sie konkret?
Wir fragen unsere Firmenkunden, wie sie CO₂-Neutralität bis 2050 erreichen wollen und welche Zwischenziele sie geplant haben. In jedem Fall verstehen wir uns als Begleiter der Transition.
Spielt es dabei eine Rolle, wie groß ein Betrieb ist?
Für größere Unternehmen ist es einfacher, Daten zu erheben. Zudem mussten sie sich früh kapitalmarktbedingt mit den Themen beschäftigen. Womöglich haben einige auch schnell erkannt, dass sie Wettbewerbsvorteile haben, wenn sie zum Beispiel Energiekosten verringern. Wir haben vor allem mit Unternehmen zu tun, die bereits Berichtspflichten haben und entsprechend gute Daten erheben. Wir fragen unsere -Firmenkunden, wie sie CO₂-Neutralität bis 2050 erreichen wollen und welche Zwischenziele sie geplant haben.
War es vor ein paar Monaten leichter, Anforderungen an Kunden zu stellen, als das Thema Nachhaltigkeit präsenter war und gefühlt noch mehr Fürsprecher hatte als heute?
Nein, auch heute sind unsere Firmenkunden offen, wenn es darum geht, sie auf ihrem Weg in Richtung Nachhaltigkeit zu begleiten. Ich bin überzeugt, dass Nachhaltigkeit ein zentraler Erfolgsfaktor für Unternehmen bleibt. Und dass es sich am Ende positiv auf unser Kreditportfolio und damit auf unseren Erfolg als Bank auswirkt. Nachhaltige Geschäftsmodelle sind aus meiner Sicht längerfristig überlegen. Die Frage nach Transitionsplänen oder CO₂-Neutralität bis 2050 bleibt ein präsentes Thema.
Nachhaltiger bedeutet also weniger Risiken?
Auf jeden Fall. Wir haben zwei wesentliche Typen von Risiken: die physischen und die transitorischen. Wir fragen zum Beispiel: Hat ein Unternehmen eine nachhaltige Lieferkette, die mit Klimarisiken umgehen kann? Was passiert, wenn Vorprodukte etwa wegen Trockenheit nicht passend ankommen? Diese physischen Risiken kennen viele auch am eigenen Haus, wenn Starkregen es überschwemmt. Bei einem Kredit müssen solche Dinge bewertet werden. Insofern tun sich Banken einen großen Gefallen, das langfristig zu betrachten.
Und die transitorischen Risiken?
Beispiel Flugverkehr: Wenn Regierungen irgendwann entscheiden, dass Flugzeuge nur noch bis zu einer gewissen Emissionsschwelle starten dürfen. Wer direkt oder indirekt in solche Flugzeuge oder Airlines investiert hat, dem drohen Verluste. Das erhöht unsere Kreditrisiken und damit auch die Kosten. Auf den ersten Blick sind strengere ESG-Regeln in der Trump-Ära nicht zu erwarten, was diese transitorischen Risiken kurzfristig tendenziell senkt. Andererseits darf man nicht vergessen, dass wir ja nicht nur Dinge für die nächsten drei Jahre finanzieren, sondern Laufzeiten von zehn und mehr Jahren haben. Und perspektivisch werden die transitorischen Risiken mit hoher Wahrscheinlichkeit stark zunehmen.
Die Finanzbranche ist spätestens seit der Finanzkrise selbst stark reguliert. Ist es bei ESG nicht zu viel des Guten?
Grundsätzlich halte ich das Maß an Regulatorik für sinnvoll. Gleichzeitig zeigt sich in der Praxis, dass die Klassifizierung grüner Assets mitunter komplex ist. Ein Beispiel: Die Finanzierung eines E-Autos erscheint auf den ersten Blick nachhaltig. Doch ob es tatsächlich als grünes Asset gilt, hängt von zahlreichen technischen Kriterien ab – etwa der Energieeffizienz, dem Strommix bei Nutzung und sogar Details wie der Reifenbeschaffenheit. Diese Detailtiefe ist für uns als Bank nicht immer überprüfbar. Deshalb kann es vorkommen, dass ein finanziertes E-Auto im Reporting nicht als grünes Asset ausgewiesen wird, obwohl es aus Kundensicht nachhaltig erscheint. Wir verstehen uns als Begleiter der Transition.
Was macht diese Fokussierung auf Nachhaltigkeit mit Ihnen als Haus?
Wenn wir mit Kunden über Nachhaltigkeit sprechen wollen, müssen wir als gutes Beispiel vorangehen. Dazu zählen zum Beispiel Reiserichtlinien. Wichtig sind auch Fragen wie die, woher die Energie unserer Rechenzentren kommt. Wie können wir unseren Energieverbrauch senken? Da gibt es sehr viele kleine Initiativen. Wie wir Bilder auf der Webseite speichern, hat einen Impact auf den Energieverbrauch. Da merken wir, dass ganz viel Eigeninitiative aus den einzelnen Fachbereichen kommt. Übrigens trägt auch unsere weitgehend flexible Homeofficeregelung einen großen Anteil bei.
Hilft das auch beim Fachkräfte-mangel, den es auch in Ihrer Branche gibt?
Definitiv. Als wir den Bereich für Nachhaltigkeit ausgebaut haben, hatten wir viele Bewerbungen. Auch von Menschen aus Bereichen, die man nicht erwartet hätte, NGO zum Beispiel, oder aus der Wissenschaft. Jetzt, nach zwei Jahren, sind längst nicht mehr alle davon im Nachhaltigkeitsbereich. Das hilft, das Bewusstsein in andere Bereiche zu tragen.
Die ING ist eine europäische Bank. Tun wir uns einen Gefallen, wenn wir einen Green Deal durchziehen und andere Kontinente nicht?
Umweltthemen rutschen aktuell ein wenig in den Hintergrund, da sich die gesamte geopolitische Gemengelage verändert hat. Aber wir werden in der nächsten Zeit merken, dass wir ESG wieder höher priorisieren müssen. Und im Vergleich mit China oder den USA tut sich Europa einen sehr großen Gefallen, auf nachhaltige Energien zu setzen.
Aber die Technologie nur zu erfinden, reicht nicht.
Erfinden und dann anderen die Kommerzialisierung zu überlassen, darf nicht passieren. Wir müssen beide Komponenten in Europa kräftig fördern und sicherstellen, dass wir in den Technologien führend sind. Darin liegt langfristig ein riesiges Potenzial. Ich bin sicher, dass wir sehr schnell wieder auf den richtigen Pfad kommen werden.
Bleiben Sie auf dem Laufenden, besuchen Sie unseren WEIMER NEWS HUB und erhalten Sie immer die neuesten Nachrichten und Analysen direkt in Ihren Posteingang.
06.10.2025 | 15:48
