(Bild: picture alliance / Kontrolab | Salvatore Laporta / IPA)



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Italiens Ungeimpften droht ein einsames Weihnachten

Obwohl die Covid-Lage in Italien noch wesentlich entspannter ist, macht die Regierung von Ministerpräsident Mario Draghi den Deutschen vor, wie man konsequent und frühzeitig die Regeln verschärft. Für Ungeimpfte wird es zwischen Bozen und Palermo zunehmend ungemütlich.

„Wir wollen allen Geimpften ein normales Weihnachten ermöglichen“, verspricht Premier Draghi seinen Landsleuten und konfrontiert sie gleichzeitig mit einer langen Liste von Regelverschärfungen, über die in Deutschland allenfalls debattiert wird. So gilt ab dem Nikolaustag der 3G-Beleg „Greenpass“ auch im öffentlichen Nahverkehr, allen Veranstaltungen, Restaurants, Bars, Sportstätten und Skigebieten. Ab der Warnstufe „orange“ wird es für Ungeimpfte richtig einsam. Sie gilt ab einer Inzidenz von 150 und einer Belegung der Intensivbetten von 20 Prozent durch Covid-Patienten. Dann gilt der „Super-Greenpass“ - also 2G - für Restaurants, Hotels, Bars, Sporthallen und Skigebiete. Spitzt sich die Lage weiter zu, schaltet Italiens Corona-Ampel auf rot: dann werden beispielsweise Skigebiete und Gastronomie für alle geschlossen und die Bewegungsfreiheit eingeschränkt.

Noch ist Italien aber weit von einem Lockdown entfernt. Gleichwohl müssen alle, die in den kommenden Wochen zum Weihnachtsshopping den Innenstädten unterwegs sind, grundsätzlich auch im Freien eine Maske tragen. Die Stadt Mailand droht mit Strafen von 400 Euro, wenn man sich nicht an die Regel hält. Mehrere Kommunen wollen in den kommenden Tagen nachziehen. Das flächendeckende Maskengebot gilt vorerst bis Sylvester. Ab Mitte Dezember müssen alle Beschäftigten im Gesundheitsbereich zum Boostern. Gleichzeitig tritt eine Impfpflicht für Lehrer, Dozenten, Polizei, Militär und Verwaltungsangestellte im Gesundheitsbereich in Kraft. Bereits seit Anfang Oktober ist landesweit die Boost-Kampagne in vollem Gange. Jeder über 18 soll fünf Monate nach dem zweiten Pieks zur Nachimpfung.

Bereits seit Mitte November erreicht man Fernzüge nur dann, wenn man mit der 3G-App „Greenpass“. Ohne diesen Nachweis kommt kein Arbeitnehmer schon seit Mitte Oktober nicht mehr an seinen Arbeitsplatz. Die Italiener leben also längst eine Regel, die in Deutschland erst jetzt eingeführt wurde. Den Beschäftigten im öffentlichen Dienst droht sofort Gehaltsentzug, wenn sie eine Woche lang wegen des fehlenden Nachweises nicht am Arbeitsplatz sind. Die Ungeimpften müssen den Test selbst bezahlen, der jeweils 15 Euro kostet.
„Wir sind im Vergleich zu anderen Ländern noch gut dran. Aber gerade deshalb wollen wir rechtzeitig zu Vorsichtsmaßnahmen greifen“, erklärt Draghi seinen Landleuten die erneute Verschärfung. Trotz einer Impfquote von gut 90 Prozent ziehen auch in Italien die Infektionszahlen an. Die durchschnittliche Inzidenz liegt jetzt bei überschaubaren 125 Infizierten je 100.000 Einwohner. Bisher gilt nur für das nordöstliche Friaul die Warnstufe „gelb“.  Die Region um Udine und Triest hat Inzidenz von 50 überschritten und gleichzeitig sind mehr als 20 Prozent der Intensivstationen mit Covid-Patienten belegt. Im Friaul gilt deshalb wieder flächendeckend Maskenpflicht selbst im Freien. Auch die Lombardei, Südtirol und Venetien stehen an der Schwelle zu „gelb“.

Die Pandemie hat zu einem erstaunlichen Wandel in Italien gesorgt. Wo die Bürger sonst gerne jeden Trick nutzen, um Regeln elegant zu umgehen, befolgen die Menschen mehrheitlich die rigiden Normen der Regierung von Premier Draghi. „Der Corona-Schock sitzt bei den Menschen immer noch tief. Deshalb sind viele Bürger bereit sich impfen zulassen.“ Im Nachrichtensender Rai News spielt eine Krankenschwester aus dem römischen Gemelli-Krankenhaus auf die Bilder aus Bergamo an. Dort musste im Frühjahr 2020 sogar das Militär mit Lastwagen die Leichen dutzender Corona-Opfer abtransportieren. Das hat sich bei den Menschen tief eingebrannt. Zwar gibt es auch in Italien Impfgegner, die vor allem von rechtsextremen Kreisen befeuert werden. Doch die Regierung in Rom greift inzwischen massiv durch und verhindert alle Kundgebungen nachdem mehrere Demos in Triest für besonders viele Ansteckungen gesorgt haben. Viele italienische Medien sehen darin ein Grund, warum ausgerechnet die Region Friaul als erste die nächste Warnstufe erreicht hat.

Der frühere EZB-Chef Draghi und seine Mannschaft genießen bei den Italienern ein Vertrauen, wie kaum eine Regierung zuvor - trotz oder gerade wegen der harten Corona-Regeln.  Möbelfabrikant Filippo Berto erlebt im Alltag unter seinen 60 Mitarbeitern aber keine Probleme bei der Umsetzung. „Die Belegschaft zieht mit, auch wenn man manchmal so seine Zweifel hat. Aber in Sinn der Allgemeinheit macht man mit, denn alle wollen arbeiten und die schwierigen Zeiten hinter sich lassen“, so der Chef von Berto Salotti in Meda, nördlich von Mailand. .Im Land sei insgesamt ein ungewohnt großer Wille zur Veränderung zu verzeichnen. „Das ist der Effekt Draghi“, meint Berto, Sein Unternehmen hat die dunklen Zeiten des Corona-Lockdowns hinter sich gelassen und befindet sich auf kräftigem Erholungskurs. „Im vergangenen Jahr stand unsere Produktion sechs Wochen still. Die Möbelgeschäfte unserer Kunden in Italien waren sogar zehn Wochen lang geschlossen“, beschreibt Berto die Ausgangslage.

„Wir spüren insgesamt eine große Aufbruchstimmung und alle haben den festen Willen zu arbeiten und wieder zu wachsen“, bestätigt Gian Domenico Auricchio, Präsident der Union lombardischer Handelskammern „Unioncamere“ und Chef der gleichnamigen Käserei-Gruppe aus Cremona. Tatsächlich steuert Italiens Wirtschaft für dieses Jahr ein Plus von 6,2 Prozent an. In der Lombardei, wo die größte italienische Wirtschaftskraft angesiedelt ist, lagen die Industriebetriebe im dritten Quartal sogar 17,5 Prozent und das Handwerk 12 Prozent über Vorjahr.  In Deutschland wurden hingegen zuletzt die BIP-Erwartungen für 2021 von 4,5 auf 2,4 Prozent eingedampft.  

Kammerchef und Käsekönig Auricchio sieht das besondere Wachstum in der mittelständischen Struktur Italiens begründet. So zählen 80 Prozent der verarbeitenden Betriebe in der Lombardei weniger als 250 Beschäftigte. „Unsere Unternehmen sind von je her gewöhnt, schnell und flexibel auf schwierige Situationen zu reagieren. Und in der Krise wird bis zuletzt ums Überleben gekämpft,“ betont Auricchio. So hätten die Betriebe auch in der Pandemie kaum Personal abgebaut, was nun ermöglicht, schnell Tempo aufzunehmen. Besonders stark entwickeln sich derzeit Unternehmen in den Bereichen Metall- und Kunststoffverarbeitung. Auch die Möbel- sowie die Schuh- und Lederfertigung verzeichnen zweistellige Zuwachsraten. Das gilt auch für Berto Salotti - zu 80 Prozent auf dem Heimatmarkt. Exportiert wird vor allem ins deutschsprachige Ausland. Nur langsam fasst hingegen die Tourismusindustrie tritt, die vor der Krise 15 Prozent der Beschäftigung garantiert hat. Zwar wächst die Branche 2021 nach Angaben von Fachminister Massimo Gavaglia um sechs Prozent. Doch viele Betriebe sind schwer angeschlagen. Bei Unioncamere befürchtet man, dass hunderte Familienunternehmen aufgeben oder von großen Konzernen aufgekauft werden.

Von der rasanten Erholung der italienischen Wirtschaft durfte Deutschland besonders profitieren. Zwischen beiden Ländern flossen vor der Krise Waren und Dienstleistungen im Wert von 116 Milliarden Euro. Das ist mehr als Italien mit den Handelsriesen USA und China zusammen verbucht. „Deutschland handelt mehr mit der Lombardei als mit der ganzen Türkei. Und Italien macht mehr Geschäft mit Bayern als mit Polen“, hat Draghi jüngst erinnert. „Auch Möbelfabrikant Berto ist längst mit den Deutschen verwurzelt und macht dies mit einer deutschen Webseite deutlich, die von einer Mitarbeiterin aus Bayern betreut wird, Berto Salotti gilt weit über die eigene Branche hinaus als beispielhafter Treiber einer Online-Präsenz. Für den Firmenchef hat sich das ausgezahlt. „Wir konnten so auch während des Lockdowns mit unseren Kunden bleiben und sind schon 2020 wieder gewachsen.“

Andreas Kempf

29.11.2021 | 09:58

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