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Die Schäublin des IWF

 

Griechenland bettelt beim IWF in Washington um Verständnis, Zeit und Geld. Doch die linke Regierung aus Athen bekommt Rügen, Ansagen und eine Rückzahlungsforderung. Die IWF-Chefin kann beinhart verhandeln.

Das hatte sich Yanis Varoufakis anders vorgestellt. Der griechische Finanzminister versucht seit Wochen wie ein Hütchenspieler, die offenen Kre­dite seines Landes irgendwohin zu verschieben. So war er eigens nach Washington gereist, um beim Internationalen Währungsfonds eine große Umschuldung, einen kleinen Zahlungsaufschub oder wenigstens einen Hauch Verständnis für seine sozialistischen Experimente zu ergattern. Gar nichts davon bekam er. Christine Lagarde zeigte ihm die Zähne. Beobachter in Washington berichteten: „Er biss nicht auf Granit, er biss auf Stahl!“

Christine Lagarde zeigte sich weder von Varoufakis’ Charme noch von seinen Frechheiten irgendwie beeindruckt. Sie verabschiedete den schillernden Griechen mit drei Botschaften. Erstens werde es jetzt keine große Umschuldung geben. Zweitens erwarte der IWF tunlichst pünktliche Zahlung der ausstehenden Forderungen, also auch die Rückzahlung aller Kredittranchen. Und drittens solle er sich seine Schein-Reförmchen sparen und Griechenland bitte schön mit grundlegenden Dingen auf Vordermann bringen – etwa mit einer kostensparenden Rentenreform und einer Mehrwertsteuererhöhung. Kurzum: Varoufakis erhoffte sich Trost und er bekam eine Standpauke.

Lagarde sprach aus, was die meisten Europäer denken, aber aus Höflichkeit den Griechen nicht zu sagen wagen: Reißt euch endlich am Riemen!

So drängt sie die neue Regierung in Athen zur Eile mit dem halb drohenden Statement, dass anhaltende Unsicherheit nicht in Griechenlands Interesse liege. Außerdem verteilt sie Lob für artige Gefolgschaft, sie begrüße „die Bestätigung des Ministers, dass der April-Kredit zurückgezahlt wird“. Und schließlich solle sich Varoufakis hinter die Ohren schreiben, so Lagarde, dass er sich gefälligst an die Regeln halten müsse, wenn der IWF weiter bereit sein solle, „Griechenland zu helfen, auf einen dauerhaften Pfad des Wachstums und der Beschäftigung zurückzukehren“. Sie erwarte, dass man „promptly“ (also sofort) mit der Troika wieder konstruktiv zusammenarbeite.

Christine Lagarde fertigte Varoufakis ab wie einen Oberpri­maner, der für seine andauernden Schulstreiche einmal zurechtgewiesen werden musste. Nach dem Besuch war der griechischen Delegation jedenfalls klar, dass im Vergleich dazu sogar eine Verhandlung mit Wolfgang Schäuble ein diplomatisches Wellnessbad sei. Griechische Medien berichteten danach ernüchtert, dass die anderen Geldgeber in Europa jedenfalls „flexibler“ seien als Lagarde und der IWF. Kleinlaut wurde ergänzt: Man erhoffe sich nun eine Lösung „innerhalb der europäischen Familie“.

Tatsächlich ist Lagarde ­eine ungewöhnlich autonom denkende und frei sprechende Vertreterin der globalen Finanz­di­plomatie. Sie ist nicht an na­tionale Interessen und diplo­matische Zwänge gebunden, und auch ihr Naturell neigt nicht zur Weichzeichnung. Varoufakis hätte gewarnt sein können. Als Lagarde vor drei Jahren vom britischen „Guardian“ einmal nach Griechenland und den dortigen sozialen Härten gefragt worden war, antwortete die IWF-Chefin zur Verblüffung der Weltöffentlichkeit bereits mit politisch inkorrektem Klartext. Ihr Mitleid gelte den Ärmsten in Afrika und nicht den jammernden, halbreichen Schuldenkönigen in ­Europa. Schon damals forderte Lagarde die Griechen auf, sich endlich selbst zu helfen, zum Beispiel indem „alle ihre Steuern bezahlen“.

Auf den Einwand der britischen Journalisten, ob sie denn nicht mitfühle, dass sich griechische Mütter keine Hebammen leisten und manche Patienten wichtige Medikamente nicht mehr zahlen könnten, antwortete die französische Ex-Finanzministerin: „Ich denke mehr an die kleinen Kinder in einer Dorfschule in Niger, die zwei Stunden am Tag Schule haben, während sie sich zu dritt einen Stuhl teilen, und die sehr danach streben, eine Ausbildung zu bekommen. Sie sind die ganze Zeit in meinem Kopf. Denn ich glaube, sie brauchen noch mehr Hilfe als die Menschen in Athen.“ Lesen Sie auch auf der folgenden Seite: Lagarde ist sauer.

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Lagarde ist sauer über IWF-Rausschmiss

Christine Lagarde vertritt die Position, dass Griechenland im globalen Maßstab wohlhabend genug sei, aber seit Jahren eine skandalöse Reformunwilligkeit an den Tag lege. Das sei im Vergleich zu wirklich armen Ländern grob unfair. Es sei Zeit, dass die Griechen ihren Teil leisteten, die jämmerliche Wettbewerbs­fähigkeit ihres Landes endlich verbesserten und die öffentlichen Finanzen sanierten.

Und La­garde wird konkret – sie erwarte bis Juni sichtbare Einschnitte, sonst gebe es kein frisches Geld. Sie will sich auch nicht gefallen lassen, dass ihre IWF-Mitarbeiter in Athen zusehends wie Störenfriede behandelt würden. Die IWF-Experten wurden bei ihrem letzten Besuch im März in einem Hotelkeller mit vagen Informa­tionen eines arroganten Finanzministeriums abgefertigt. ­

Einige IWF-Vertreter äußerten, der Fonds habe in seiner 70-jährigen Geschichte noch nie einem so destruktiven Verhandlungspartner gegenübergesessen. Bis Ostern verliefen die Gespräche so miserabel, dass der IWF seine Mitarbeiter aus Athen offiziell abzog. Lagarde hat sich nun ­demonstrativ vor ihre Kollegen gestellt und von Varoufakis die sofortige Kooperationsbereitschaft eingefordert.

Mit ihrer Entschiedenheit hat Christine Lagarde dem IWF zu Autorität und Reputation verholfen. Zugleich tut die Französin damit Angela Merkel und der deutschen Regierung ­einen großen Gefallen, denn nun übernimmt sie die ungeliebte Rolle des Zuchtmeisters der Griechen. Dabei handelt Lagarde aus Überzeugung. Sie ist eine Politikerin des konservativen UMP (von 2007 bis 2011 war sie Wirtschafts- und Finanzministerin im Kabinett von Premierminister François Fillon) und sieht die schulden-sozialistische Strategie von Tsipras und Co – anders als der Sozialist François Hollande – sehr kritisch. Zugleich hat sie persönlich eine gute Beziehung zu Berlin. Merkel wollte sie im vergangenen Sommer sogar zur EU-Präsidentin küren. Die zwei Frauen verbindet die Erfahrung, in ihren politischen Spitzenjobs jeweils die erste Frau zu sein. Und mit Macho-Männern werden beide auf besonders subtile Weise fertig. Varoufakis hat das nun zu spüren bekommen.

Christine Lagarde wurde 1956 als ältestes von vier Kindern des Literaturwissenschaftlers Robert Lallouette geboren. In ihrer Jugend gehörte sie der französischen Nationalmannschaft der Synchronschwimmer an; aus dieser Zeit sei sie es gewohnt, in schwierigen Situationen auch einmal länger die Luft anzuhalten, heißt es in Paris.

Lagarde denkt für eine Französin ziemlich amerikanisch. Sie ist in der Nähe von Washington zur Schule gegangen, spricht perfekt Englisch, machte nach ihrem Studium als Rechtsanwältin bei der US-Kanzlei Baker & McKenzie Karriere und war außerdem Mitglied der Denkfabrik ­Center für Strategic and ­International Studies. Sie sei ein „Yankee in ­Stöckelschuhen“, ein „Wall-Street-Hai mit französischem Parfum“, sollen Vertreter der griechischen Delegation nach ihrer Lektion in Washington gejammert haben. In Wahrheit ist sie nur geradlinig – wie die Schäublin des IWF.

28.06.2015 | 18:59

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