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Katastrophenschutz: Ohne Krieg keine Bunker

Vor zwei Jahren gab es eine deutschlandweite Katastrophenschutzübung, die in einem Desaster endete. Seither haben sich die Gefahren von Blackout und Krieg deutlich erhöht. Nur der Katastrophenschutz ist nicht besser geworden. Von den geplanten zusätzlichen 100 Milliarden Euro für die Verteidigung soll kein Cent in den direkten Schutz der Bevölkerung fließen. Zu allem Überfluss hat jetzt auch noch der gerade erst bestellte Chef des Katastrophenschutzes seinen Hut genommen.

Energieknappheit und die Gefahr eines Blackouts, Klimawandel und die Möglichkeit von Überschwemmungen wie im Ahrtal, ein Krieg vor der Haustür, der sich jederzeit ausbreiten kann – keine Frage, die Risiken, denen die Deutschen ausgesetzt sind, nehmen zu. In einem Zeitalter, in dem – wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kürzlich sagte – „die Katastrophe die neue Normalität ist“, sollte der Schutz der Bevölkerung zur politischen Normalität gehören. Tatsächlich ist ein funktionierender Katastrophenschutz jedoch in Deutschland Illusion.

Verschlungene Kommunikationswege, veraltete oder nicht funktionierende Warnsysteme und unklare Zuständigkeiten sind die Gründe. Zu allem Überfluss hat jetzt auch noch Armin Schuster (CDU), der nach einer Panne im Katastrophenschutz 2020 vom damaligen Innenminister Horst Seehofer (CSU) als Hoffnungsträger berufene Chef des Bundesamts für Bevölkerungsschutz nach zwei Jahren an der Spitze das Weite gesucht. Ob es nur die Aussicht auf das Amt des sächsischen Innenministers war, oder auch Überforderung im Amt, bleibt Schusters Geheimnis.

Hoffnungsträger geht ab

Überforderung wäre immerhin verständlich. Denn die Menschen in Deutschland vor Katastrophen zu schützen ist ein komplexes Unterfangen. Unglücke haben unzählige Ursachen, Erscheinungsformen und Folgen: angefangen bei Naturkatastrophen wie Stürme, Hochwasser oder Waldbrände über technische Katastrophen wie eben ein Blackout, Explosionen und Zugunglücke bis hin zu einem Krieg mit Luft- und Bodenangriffen, der mit dem russischen Angriff auf die Ukraine in den Bereich des Möglichen gelangt ist. Dazu kommt, dass eine Katastrophe viele verschiedene Folgen nach sich zieht. Nach dem Ahrtal-Hochwasser 2021 kam es zu flächendeckenden Stromausfällen, die Trinkwasserversorgung brach zusammen, Pa­ti­en­ten kamen nicht an Medikamente. Heizöl und Benzin liefen aus.

„Wir haben immer auch Szenarien im Blick gehabt, in denen mehrere Krisen gleichzeitig zu bewältigen sind. Das war so während des Hochwassers - denn die Pandemie war ja noch da - und das ist auch jetzt so, wo Deutschland innerhalb kürzester Zeit eine große Zahl von Kriegsflüchtlingen aufnehmen muss“, sagte Schuster in seinem letzten Interview, bevor das Amt vergangene Woche verließ. Und er fügte fast verzweifelt hinzu: „Der Anteil des Zivilschutzes - also der Schutz der Zivilbevölkerung im Spannungs- oder Verteidigungsfall - innerhalb unserer Anstrengungen für den Bevölkerungsschutz ist lange nicht ernst genommen worden, man glaubte sich ja dauerhaft im Frieden.“

Dieser Glaube hat sich als Illusion erwiesen. Formal besteht der Bevölkerungsschutz aus dem Zivilschutz im Kriegsfall und dem Katastrophenschutz für alle Unglücke, die in Friedenszeiten auftreten. Der Bund ist für den Zivilschutz zuständig, die Länder für den Katastrophenschutz. Beide Systeme greifen aber längst ineinander. Der Bund packt mit der Bundeswehr und dem Technischen Hilfswerk bei Naturkatastrophen mit an. Und Katastrophenschutzeinheiten wie das Rote Kreuz würden auch im Kriegsfall eingesetzt. Kern des Katastrophenschutzes bilden die Feuerwehren mit ihren über eine Million Mitgliedern. Die Länder übertragen die Aufgabe des Katastrophenschutzes an die Kreise. Die rufen den Katastrophenfall aus, organisieren und leiten die Krisenstäbe. Sie haben auch die Aufgabe, zu schauen, welche Katastrophen überhaupt auftreten können, wer sie womit bekämpfen und wie die Bevölkerung vor Gefahren geschützt werden kann. Das Problem: Die Katastrophenschutzpläne der Kreise sind nicht immer auf dem neuesten Stand. Wer nach ihnen fragt, erntet oft Schulterzucken.

Pläne sind nicht aktuell

Die Probleme beginnen auch nicht erst, wenn die Helfer anrücken. Schusters Vorgänger musste gehen, weil das Bundesamt für Bevölkerungsschutz einen Probealarm veranstaltete, der als Desaster endete. Die wenigsten bekamen ihn überhaupt nicht. Die Sirenen heulten nicht und die Warnapps schlugen nicht an. Durchsagen im Radio fehlten, wäre es ein Ernstfall gewesen, hätten die Menschen zu spät und vergeblich Schutz gesucht. Das war 2020. Dass sich seither etwas Entscheidendes getan hat, ist nicht zu erkennen. Nur die Bedrohungslage hat sich zugespitzt.

„Öffentliche Schutzräume wie z. B. Luftschutzbunker gibt es nicht mehr“, steht auf der Seite von Schusters Ex-Arbeitgeber, dem Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Ganz richtig ist das nicht. Die neue Innenministerin Nancy Faeser ließ nach Ausbruch des Ukraine-Krieges vorsorglich durchzählen: Ihre Beamten registrierten noch 599 intakte Schutzräume im gesamten Bundesgebiet - von der Tiefgarage bis zum Familienbunker. Viel zu wenig. Im Fall eines Angriffs empfiehlt das BBK deswegen, „innenliegende Räume mit möglichst wenigen Außenwänden, Türen und Fenstern“ aufzusuchen. Für ein neues Schutzraumkonzept und dessen Umsetzung fehlt Geld. Aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr soll kein Cent in den Zivilschutz fließen, was Schuster zuletzt bedauerte: Der Zivilschutz sei natürlich elementarer Teil der Verteidigungsfähigkeit. Gesundheitsversorgung, Notstrom, Trinkwasser, Ernährung, Warnung, Selbstschutz der Bevölkerung, Ausstattung, Material und die Verteillogistik für die Versorgung einer großen Zahl von Verletzten, das gehöre alles dazu, sagt er. Doch es nützte nichts: Von dem Sondervermögen konnte er nichts abzweigen.

Kein Geld aus dem Sondervermögen

Die Vorsorge des Bundes für den Zivilschutz bleibt minimal: Es gibt eine 90-tägige Reserve für Öl, eine für wenige Tage haltende Nahrungsmittelreserve und – im Falle eines nuklearen Angriffs oder eines Reaktorunfalls – einen Vorrat an rund 190 Millionen Jodtabletten. Eine Gesundheitsreserve mit Schutzausrüstung, Schutzmasken, Beatmungsgeräten und Medikamenten befindet sich seit der Coronapandemie im Aufbau. Doch die Frage, inwieweit die Mittel im Ernstfall effizient verteilt werden könnten, ist ungelöst. Viel Platz auf der Webseite des BBK nimmt deswegen das Thema Selbsthilfefähigkeit ein. Es gibt Anleitungen, was in die Hausapotheke gehört, Hinweise, wo man seine Erste-Hilfe-Kenntnisse auffrischen kann und natürlich die Empfehlung zum Anlegen eines Nahrungsvorrats.

Innenministerin Faeser ist das alles nicht sehr angenehm. Sie räumte in der „Welt am Sonntag" ein, „dass wir den Schutz auch vor militärischen Bedrohungen erheblich stärken müssen". Dazu fällt Faeser aber auch nicht mehr ein, als ihrem Vorgänger Seehofer: Der Ausbau von Warnsystemen wie neuen Sirenen und Warnhinweisen auf dem Handy soll vorangetrieben werden, eine Forderung, die exakt die gleiche ist, die Seehofer nach der Pleite mit dem Probealarm erhoben hatte. Für den Wiederaufbau der in den vergangenen Jahrzehnten abgebauten Sirenen hat der Bund, aufgeschreckt durch das Ahrtal-Hochwasser, 88 Millionen Euro bereitgestellt. Das Programm laufe, „aber wir sind damit, was die bundesweite Abdeckung angeht, nicht ansatzweise durch", räumt Feaser ein. Anfang der Neunzigerjahre umfasste das Sirenennetz in Deutschland noch rund 80.000 Standorte. Im Jahr 2018 konnten laut BBK gerade noch 15.000 Sirenen ein Warnsignal senden. Dass ein auf und abschwellender Ton Alarm bedeutet, ein langanhaltendes gleichmäßiges Kreischen Entwarnung gibt, weiß allerdings kaum einer.
 
Wer kennt schon die Sirenentöne?
 
Ersetzt werden sollten die abgebauten Sirenen durch SMS-Warnungen an die Bevölkerung. „Cell Broadcasting“, wie sich die Methode nennt, sollte 2020 eingeführt werden, bis heute, hat aber keiner ausprobiert, ob es flächendeckend funktioniert. Warnapps, wie sie unter den Namen „Nina“ und „Katwarn“ existieren, hatten bei der letzten Übung versagt. Die App verschickt Push-Benachrichtigungen, SMS und E-Mails für bestimmte Orte. Nutzer können der App auch den eigenen Standort freischalten. Diese Funktion heißt „persönlicher Schutzengel“. Beide der letzten Übung erschien der „Schutzengel“ mit einer halben Stunde Verspätung. Die Schutzbefohlenen wären im Ernstfall schlecht beraten gewesen. Katwarn kooperiert mit Betreibern von Großveranstaltungen. So kann man sich auf Messen, Musikfestivals oder Stadtfesten über sicherheitsrelevante Ereignisse informieren lassen. Laut Niklas Reinhardt, Sprecher von Katwarn, werden jährlich rund 15 Millionen Warnnachrichten von der App versendet. Im Durchschnitt bekommt ein Nutzer fünf Meldungen pro Jahr. Wenn nichts passiert, führt das zum Abstumpfen. Die Warnungen werden ignoriert. Und klar ist sowieso: Wenn Telefon und Handy ausfallen, „nützt mir auch eine Warn-App nichts", wie die Vizechefin des technischen Hilfswerks Sabine Lackner feststellt. „Wir müssen deshalb flächendeckend wieder mehr Sirenen installieren", fordert sie.

Christian Kuhlicke, Professor für Umweltrisiken und Nachhaltigkeit an der Universität Potsdam, forscht zum Thema Verhaltensvorsorge. Er spricht gegenüber der „taz“ aus Berlin von einem „Verlernprozess“. Wer über 70 Jahre in Frieden lebt, denke, dass er keine Sirenen mehr brauche. Es müsse erst dicke kommen, bevor Vorsorge zur Norm wird. Ohne Hochwasser keine Deiche. Ohne Krieg keine Bunker.
Vielleicht lässt sich der Stand beim Bevölkerungsschutz am besten so illustrieren: Seit 2004 findet in Deutschland alle zwei bis drei Jahre eine große Bevölkerungsschutzübung statt, die bereits erwähnten LÜKEX. Nur sind zwei der vergangenen drei LÜKEX ausgefallen. 2015 aufgrund der Vielzahl an Geflüchteten, die nach Deutschland kamen. 2021 wegen der Coronapandemie. Die realen Krisen haben die fiktiven Katastrophenszenarien längst eingeholt.

Oliver Stock

26.04.2022 | 13:55

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