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Kopf der Woche: Elwira Nabiullina

Sie ist Teil des Systems Putin und eine seiner wichtigsten Helferinnen. Ihre Aufgabe: Das Wirtschaftssystem Russlands zu stützen und den Rubel trotz Sanktionen rollen zu lassen. Die Chefin der russischen Notenbank ist damit zu einer zentralen Figur auf dem Schachbrett des Krieges geworden. Dabei wollte sie bei Kriegsausbrauch eigentlich zurücktreten.
 
Anfang März, wenige Tage nach Russlands Überfall auf die Ukraine, twitterte der deutsche Finanzminister Christian Lindner: „Der Rubel fällt, russische Unternehmenskurse brechen ein.“ Die ersten EU-Sanktionspakete in Richtung Kreml waren zu diesem Zeitpunkt verabschiedet, der Ausschluss bestimmter Banken aus dem internationalen Zahlungssystem Swift beschlossen, Russlands Devisen größtenteils eingefroren. Allmählich kehrten auch immer mehr westliche Unternehmen Russland den Rücken zu. Geschäftssparten wurden abgestoßen, Fabriken aufgegeben, Produktverkäufe bis auf weiteres eingestellt. Die EU, die Vereinigten Staaten, die westliche Wertegemeinschaft als solche, schien Erfolg zu haben mit ihrer Sanktionsstrategie, die Russland in die Isolation bis hin zum Staatsbankrott treiben sollte. Der Rubel ging in die Knie. „Der Zusammenbruch der russischen Wirtschaft und ein unmittelbar bevorstehender Zahlungsausfall schienen vorgezeichnet“, blickt LBBW-Chefvolkswirt Moritz Kramer auf den Ausbruch des Krieges zurück.
 
Doch dann plötzlich die Kehrtwende. Christian Lindner und alle die anderen hatten ganz offenbar die Rechnung ohne Russlands Zentralbankchefin Elwira Nabiullina gemacht. Sie hatte einst schon bei der Annexion der Krim den wetslichen Sanktionen mit einer geschickten Geldpolitik die Spitze genommen. Vom Magazin „Euromoney“ wurde sie 2018 sogar zur Notenbankerin des Jahres gewählt. Damals entschied sich Nabiullina für den Verkauf von Devisen und erhöhte die Zinsen, das stützte die russische Währung.  
Und so ähnlich machte sie es auch diesmal. Der Rubelkurs begann auf einmal gegenüber US-Dollar und Euro aufzuwerten. Daraus wurde über den Mai hinweg eine regelrechte Rally. Anfang März, also in etwa zu dem Zeitpunkt, zu dem Christian Lindner twitterte, war ein Euro rund 145 Rubel wert. Anfang Juni waren es nur noch 64 Rubel.  
 
Rubel auf Rekordhoch
 
Ausgehend von seinem Tiefpunkt infolge des Kriegsausbruchs hat sich der Rubelkurs inzwischen wieder verdoppelt. Zum Euro steht der Rubel nun auf einem Sieben-Jahres-Hoch, zum Dollar ist er so viel wert, sie seit vier Jahren nicht mehr. Derweil dürfte das russische Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um bis zu zehn Prozent sinken. Das finanz- und wirtschaftspolitische Fazit nach rund dreieinhalb Monaten Krieg lautet also: Die westlichen Sanktionen schwächen Russlands Ökonomie, den Rubel haben sie hingegen so stark werden lassen, wie lange nicht.  
 
Die Ursachen dafür sind vielschichtig und geben einmal mehr Zeugnis darüber ab, wie Finanztheorie von Finanzpraxis abweicht. Die Theorie schließlich folgt marktwirtschaftlicher Logik. Wird diese jedoch aufgrund eines extremen Ereignisses wie einem Krieg ausgehebelt, taugt sie nicht mehr zwingend als Ratgeber.  
 
Die Überlegung des Westens jedenfalls ging so: Wird Russland durch Sanktionen wirtschaftlich geschwächt, wertet der Rubel ab. In der Regel würde die Zentralbank dann erneut beginnen Fremdwährungen zu verkaufen, wovon die Bank Rossii umgerechnet in etwa 640 Milliarden US-Dollar in ihrem Besitz weiß. Große Teile dieses Devisenschatzes, der größtenteils bei westlichen Banken liegt, hat man deshalb eingefroren. Doch Elwira Nabiullina wusste erneut eine Antwort.
 
Die Antwort der Notenbankchefin
 
Sie hob unter anderem den Leitzins in den ersten Kriegswochen drastisch von 9,5 auf 20 Prozent an. Das führte dazu, dass die Russen selbst in Rubel anlegten und nicht in Fremdwährungen investierten. Viele Geldhäuser in Russland bieten aktuell Jahreszinsen von bis zu zehn Prozent auf Anlagen in Rubel, während Anlagen in Euro oder Dollar so gut wie nichts abwerfen. Zudem sind einheimische Unternehmen dazu verpflichtet worden, 80 Prozent ihrer im Ausland erzielten Gewinne, in Rubel umzutauschen. Energielieferungen müssen zum Teil von den Empfängerländern in Rubel gezahlt werden. Das erzeugt eine neue, künstliche Rubel-Nachfrage, die vor allem von Russlands Energie- und Rohstoffverkäufen getrieben wird. Diese übersteigen klar den Wert der Importe, schließlich verkauft kaum noch ein westliches Unternehmen Waren nach Russland. Das führt zu einem Leistungsbilanzüberschuss, der ebenso die eigene Währung stärkt. Weiter bleibt durch den sowohl vom Westen, als auch von Russland eingeschränkten Zahlungsverkehr mehr Geld als sonst im Land. Unter anderem viele vermögende Russen können ihr Geld nicht mehr so leicht ins Ausland bringen und dort beispielsweise Immobilien kaufen. Das erhöht den Exportüberschuss. Ausländischen Investoren wurde dazu noch verboten, russische Wertpapiere zu verkaufen, womit zumindest ein Stück weit eine groß angelegte Kapitalflucht verhindert werden konnte.  
 
„Der Westen hatte sicher auch auf einen abgewerteten Rubel, steigende Preise und damit auf eine zunehmende Unzufriedenheit in Russland spekuliert. Diese Strategie ist vorerst gescheitert“, fällt deshalb das Fazit von Stefan Grothaus, Währungsanalyst bei der DZ-Bank, aus. Die russische Geldpolitik funktioniert offenbar so gut, dass Zentralbankchefin Nabiullina den Zins schon wieder senken konnte, auf aktuell 14 Prozent.  

Die Geldpolitik funktioniert

Nabiullina ist seit 2013 im Amt, machte Russlands Finanzsektor fit und drückte die Inflation auf den niedrigsten Stand seit dem Ende der Sowjetunion. Mit ihrer unkonventionellen und agilen Geldpolitik rettet sie Putin nun die Unterstützung im eigenen Land. Inzwischen aber wohl nicht mehr ganz freiwillig. Offenbar hatte Nabiullina nach Putins Einmarsch in die Ukraine zurücktreten wollen, was ihr aber von Putin verboten wurde, der ihr sogleich eine dritte Amtszeit nahelegte. Die 58-jährige Notenbankerin genießt international ein hohes Ansehen. EZB-Chefin Christine Lagarde lobte sie eins als „Dirigentin“. Nun allerdings dirigiert Nabiullina ein Land im Krieg und sorgt dafür, dass Putin unbeirrt weitergehen kann. Das dürfte ihr, die von 2007 an bis zu ihrer Ernennung als Zentralbank-Gouverneurin Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung war, kaum gefallen. Alles, was sie in der Vergangenheit erreicht hat, muss sie nun so gut es geht verteidigen. Auch des russischen Volkes wegen, wie sie immer wieder betont. Zum Krieg selbst hat sie sich bis dato nicht öffentlich geäußert.  
Was ihren Job angeht, hat Nabiullina jedenfalls Erfolg. Auch die Inflation scheint vorerst im Griff. Pro Woche steigen die Verbraucherpreise nur noch um 0,25 Prozent. Zu Beginn des Krieges waren es 2,2 Prozent. Auch das liegt am starken Rubel. „Wenn der Rubel nicht so stark wäre, läge die Inflation nicht bei 20 Prozent, sondern bei 30 bis 40 Prozent“, zitiert die Internetzeitung „Meduza“ den russischen Volskwirt Sergej Suwerow. 

Oliver Götz

10.06.2022 | 12:31

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