Krypto kaputt: „Du hast gewonnen. Gut gespielt“
Die Pleite der Kryptobörse FTX ist ein Desaster. Die Schockwelle, die davon ausgehen, sind gewaltiger als nach dem Zusammenbruch von Wirecard. Wieder einmal stehen krumme Machenschaften im Licht der Öffentlichkeit – diesmal in der Welt der virtuellen Währungen. Die Frage ist: Wer ist der Nächste? Und: Welche Rolle spielt China in dem undurchsichtigen Geschäft?
Von Reinhard Schlieker
Die Anhänger unabhängiger, virtueller und damit angeblich todsicherer Währungen erleben derzeit ein Desaster. FTX, die 2021 gegründete Handelsplattform mit Sitz zunächst in Hongkong, dann auf den Bahamas, ist in die Knie gegangen, als zu viele Kunden auf einmal ihre milliardenschweren Guthaben abziehen wollten. Sechs Milliarden Dollar sollten innerhalb von drei Tagen abgehoben werden, und damit ging FTX die Puste aus. Kundengelder von etwa zehn Milliarden Dollar soll FTX außerdem verschoben und veruntreut haben – die Gelder gingen offenbar an die mit FTX verbandelte Alameda Research, die sich dem computergesteuerten Handel nach mathematischen Methoden und Algorithmen verschrieben hat („quantitativer Handel“). Zusammen mit FTX schlitterte Alameda in die Insolvenz. Damit steht fest: Dort also sind die Milliarden auch nicht mehr. Gründer und Ex-CEO von FTX wie auch zuvor Alameda war Sam Bankman-Fried („SBF“), der sich nun offenbar in die Karibik zurückgezogen hat. Er sieht sich dem Vernehmen nach als Opfer eines anderen Gurus der Krypto-Welt: Changpeng Zhao.
Der 45jährige Sino-Kanadier gründete 2018 die Krypto-Handelsbörse Binance, mittlerweile die größte ihrer Art weltweit. Das Vermögen des Binance-Chefs schwankt wie der Wert des Bitcoin, momentan wird es auf 17 Milliarden Dollar geschätzt. Noch vor einem halben Jahr sollen es 65 Milliarden gewesen sein. In der Welt der virtuellen Währungen ist die Wertschwankung weiterhin Erkennungsmerkmal. Kryptisch sind natürlich auch die Bezeichnungen und Wege des Geldes. Changpeng Zhao, genannt „CZ“, wollte offenkundig den Aufstieg des Konkurrenten FTX stoppen – sei es durch eine Übernahme, sei es durch den Ruin. So geht jedenfalls der Plot des Wirtschaftskrimis. Am 8. November bekundete CZ die Absicht, FTX zu übernehmen. Nur Stunden später zog er sein „Angebot“ wieder zurück und ließ durchblicken, dass die Geldnöte bei FTX zu groß seien, um durch Binance geschultert zu werden. Gleichzeitig wurde bekannt, dass Binance sich von Werteinheiten, sogenannten Tokens, ausgegeben von FTX, getrennt hatte. Wert dieser Token: zwei Milliarden Dollar. Das löste einen klassischen Bank Run aus. Sogar wenn kein Betrug vorliegt und keine Veruntreuung, kann eine Finanzinstitution nicht die Auszahlung aller Guthaben an alle Kunden gleichzeitig schultern. Es kommt zur Pleite.
Mittlerweile ist die Stimmung zwischen den ehemaligen Geschäftspartnern, gar Ex-Freunden, auf dem Gefrierpunkt. Geleakte Dokumente aus dem Reich der Informatik-Spezialisten gehen hin und her und lassen Übles vermuten. Bankman-Fried deutete auf der Sozial-Media-Plattform Twitter an, intimere Kenntnisse über seinen „Sparringspartner“ Changpeng Zhao bekanntmachen zu können, fürs erste aber: „Du hast gewonnen. Gut gespielt.“ CZ nannte Bankman-Fried daraufhin einen Psychopathen: „Nur ein Psychopath kann einen solchen Tweet schreiben“, so CZ bei einer Veranstaltung des amerikanischen Thinktanks Milken Institute in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Changpeng selbst erhielt dort die Zulassung für seine Binance-Plattform, was wiederum auf herbe Kritik stieß. Diesmal von Nouriel Roubini. Der prominente US-Ökonom mit dem Spitznamen „Dr. Doom“ (Dr. Untergang) bezeichnete Binance als „tickende Zeitbombe“. Und: „Das ist alles ein völlig korruptes Ökosystem“, so Roubini: „Diese Leute sollten verschwinden!“ Binance hat in der Tat Handelszulassungen in mehreren Ländern am Persischen Golf, aber bis heute keinen festen Firmensitz. Changpeng ist der Auffassung, ein Unternehmen wie seines brauche so etwas nicht. Man sei eben virtuell. Die Regulierungsbehörden aus mehrerlei Weltgegenden sind da allerdings anderer Ansicht. Binance sieht sich Verfahren in den USA und Großbritannien gegenüber, es gibt den Verdacht der Marktmanipulation, Sanktionsvergehen und anderer Verstöße. Eine ladungsfähige Anschrift für Vernehmungen ist natürlich nicht auszumachen. Changpeng selbst ist nach Jahren in Kanada allerdings längst wieder nach China zurückgekehrt und hat sich in Schanghai niedergelassen, obwohl seine Kryptobörse angeblich in China nicht wohlgelitten ist - ein weiteres Rätsel um die Hintergründe des Mannes, der wohl kaum ohne stillschweigende Duldung durch die chinesische KP sein Geschäft betreiben könnte. Womöglich also sind die Vorgänge auch Zeugnis eines weiteren Versuchs durch Peking, einen Wirtschaftszweig der Zukunft in sein Herrschaftsgebiet zu bringen. Eine offizielle Firmenniederlassung von Binance gibt es dort allerdings auch nicht.
Die Geschichte von zwei Freunden und Partnern, die sich entzweien, jeder dem anderen versucht, ein sinnbildliches Messer in den Rücken zu rammen, hat unterdessen jenseits der Merkmale einer antiken Tragödie weitreichende Folgen. Mit dem Crash von FTX ist Bankman-Fried angeblich ein armer Mann geworden, was aber natürlich nicht nachweisbar sein dürfte. Sollte es sich bei seinen beiden Firmen um ein Schneeballsystem gehandelt haben, ist jedenfalls davon auszugehen, dass SBF einiges gebunkert haben könnte. Sein Erzfeind Changpeng zahlt ebenfalls einen hohen Preis für die Chance, den Niedergang des Rivalen mit ansehen zu dürfen. Da auch CZ den größten Teil seines Vermögens in Kryptowährung hält, sind die Verlustwellen rund um den Globus auch in seinem Portfolio mehr als spürbar.
Zunächst einmal hat der gesamte Sektor nochmals Vertrauen verloren, nachdem der letzte Crash ja erst einige Monate her ist – „Stablecoin“ hieß ausgerechnet die virtuelle Münzgattung, die zuletzt durch die Pleite der Plattform „Terraform Labs“ ihre Versprechungen nicht halten konnte, durch Bindung an den US-Dollar praktisch absolut sicher zu sein. Diese Bindung jedenfalls hielt nicht. Weiter wird bezweifelt, inwiefern Kryptowährungen überhaupt eine Währung im üblichen Sinne sein könnten – angesichts der Wertschwankungen. Spekulatives Investment mit Totalverlustrisiko beschreibt es nach Ansicht führender Ökonomen wohl besser. In der Tat geht es seit gut einem Jahr überwiegend und deutlich bergab, denn Kryptowährungen reagieren ebenso wie andere Investments, meist sogar stärker, auf die Vorgänge in der realen Weltwirtschaft.
Mit ihrer zumindest offiziell verkündeten Skepsis gegenüber den Kryptos liegt die chinesische Regierung momentan wohl richtig. Andererseits: Die Chinesen beschlagnahmten bereits Unsummen Bitcoins im Zuge von Betrugsfällen – das Vermögen fiel an den Staat, dann verliert sich seine Spur. Der chinesische Kryptoanalyst Ki Young Ju twitterte kürzlich: „Government of China is a crypto whale”. Er geht davon aus, dass der Staat Bitcoins und andere Kryptos wie Ether im Wert von sechs Milliarden Dollar unverändert im Besitz hat.
Sollte China auf diese Weise tatsächlich ein heimlicher Großanleger in Bitcoins geworden sein, könnte das Land den Markt der Kryptowährungen nach Belieben manipulieren. In dem Falle käme der KP die räumliche und sonstige Nähe eines Changpeng Zhao wohl gerade recht. Dessen Verbindungen und Expertise für eigene Interessen nutzbar zu machen, dürfte Peking zu gegebener Zeit nicht schwerfallen. Das Kryptodrama ist nicht zu Ende geschrieben.
21.11.2022 | 22:33