
Yvonne Catterfeld bei der Premiere der Mystery-Crime-Serie „Oderbruch“ – abseits des roten Teppichs sorgt die Künstlerin mit einem ehrlichen Statement zur Tourabsage für Diskussionen über die prekäre Lage im Live-Musikgeschäft. (Foto: picture alliance)
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Live, aber nicht lukrativ: Warum selbst bekannte Künstler Tourneen absagen müssen
Von außen betrachtet wirkt die Bühnenwelt wie ein Ort des Glanzes und der Emotionen – doch hinter den Kulissen zieht ein Sturm auf. Yvonne Catterfeld hat ihn benannt. Mit einem offenen Instagram-Post sprach die Sängerin aus, was viele in der Branche längst spüren: Live-Musik ist in der heutigen Zeit schwer finanzierbar.
In ihrem Post sagte die Sängerin zwei ihrer geplanten Konzerte im Rahmen der „Move“-Tour ab – und begründete das offen mit wirtschaftlichen Gründen. Die Nachfrage sei zu gering, die Kosten zu hoch. „Ich müsste bei dieser Tour draufzahlen“, schrieb sie. Eine bemerkenswerte Ehrlichkeit, in einer Branche, die wirtschaftliche Schwierigkeiten sonst eher im Verborgenen austrägt.
Die Entscheidung der Künstlerin ist kein Einzelfall, sondern ein Symptom einer Branche im Wandel. Steigende Fixkosten, preissensible Konsumenten, wachsender Konkurrenzdruck und ein neues Bewusstsein für Nachhaltigkeit setzen das Live-Geschäft zunehmend unter Druck. Selbst etablierte Namen müssen heute genau kalkulieren, ob sich ein Auftritt rechnet.
Kostenapparat im Wandel
Wer heute eine Tour plant, muss sich auf eine Vielzahl neuer Herausforderungen einstellen. Die pandemiebedingte Unterbrechung des Live-Betriebs hat nicht nur Fachkräfte aus der Branche gedrängt, sondern auch Preise an vielen Stellen in die Höhe getrieben
- Materialpreise: Bühnenbau, Traversen, Technik – Rohstoffe wie Aluminium, Holz und Stahl sind spürbar teurer geworden.
- Logistik: Transportkosten haben sich mancherorts verdoppelt, Spediteure schlagen höhere Energiepreise direkt auf.
- Personal: Techniker, Bühnenbauer und Rigger sind rar – wer gut ausgebildetes Personal will, muss höhere Löhne zahlen.
- Energie: Stromkosten, insbesondere für große Hallen oder Open-Air-Festivals, haben sich massiv erhöht.
- Versicherungen & Auflagen: Sicherheitsanforderungen und wetterbedingte Risiken treiben die Kosten für Genehmigungen und Policen nach oben.
- Inflation: Von Catering über Unterkunft bis Reinigung – alles wird teurer
Gerade mittelgroße Tourneen wie die von Catterfeld sind hiervon besonders betroffen: zu klein für große Sponsorenpakete, zu groß für den Low-Budget-Charme von Club-Gigs.
Wenn sich Idealismus nicht mehr rechnet
Für viele Musikerinnen und Musiker wird damit der Traum von der Bühne zur betriebswirtschaftlichen Gratwanderung. Was früher mit Leidenschaft und einem guten Team umsetzbar war, ist heute ein Spagat zwischen Kunst und Kalkulation. Selbst etablierte Künstlerinnen wie Catterfeld müssen heute abwägen, ob sich eine Tour finanziell lohnt. Und was passiert mit Newcomerinnen und Newcomern, die sich diese Fragen gar nicht leisten können?
„Ich wollte faire Ticketpreise anbieten“, schrieb Catterfeld. Doch 55 Euro pro Ticket reichen längst nicht mehr, um Technik, Crew und Logistik zu finanzieren.
Publikum zwischen Preissensibilität und Prioritäten
Auch das Verhalten des Publikums spielt eine Rolle. Viele Menschen sind durch Inflation und gestiegene Lebenshaltungskosten preissensibler geworden. Die Konkurrenz um Freizeitbudgets ist groß – und das kulturelle Angebot reich, wenn auch zunehmend virtuell. Warum ein Konzert besuchen, wenn Musik jederzeit gestreamt werden kann? Das Live-Erlebnis, so einzigartig es ist, steht im Wettbewerb mit bequemem Entertainment zu Hause. Die Folge: weniger verkaufte Tickets – und noch weniger Planungssicherheit.
Strukturwandel mit Folgen: Wer kann sich Kultur noch leisten?
Was hier passiert, ist kein temporäres Tief, sondern ein tiefgreifender Wandel. Die Veranstaltungswirtschaft, jahrzehntelang geprägt von Improvisation und Flexibilität, wird von globalen Krisen, Lieferkettenproblemen und wachsender Komplexität eingeholt. Und während Megastars mit Stadiontouren ganze Städte lahmlegen, verschwinden kleinere Festivals still und leise. Das Melt Festival zum Beispiel – einst Vorzeigeprojekt der deutschen Festivalkultur – hat nach 27 Jahren aufgegeben. Die Gründe? Zu hohe Kosten, zu wenig Sicherheit, zu viele Risiken.
Die Schere geht weiter auf: Hier der perfekt inszenierte Popzirkus mit Millionenbudget, dort die freie Kulturszene, die langsam verstummt. Wer Kosten senkt, spart an Qualität. Wer Preise erhöht, verliert Publikum. Und wer aufgibt, hinterlässt Lücken – kulturell wie wirtschaftlich.
Beispielhafte Kostensteigerungen:
- Ton- & Lichttechnik: +20–40 % in manchen Bereichen.
- Bühnenbau/Traversen: +30–50 % je nach Material.
- Mitarbeiterkosten (Technik, Aufbau, Sicherheit): +20 % oder mehr.
- Transport/Logistik: tw. Verdopplung - insbes. bei internationalen Acts
13.04.2025 | 16:16