(Bild: picture alliance / SZ Photo | Sebastian Gabriel)



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Lufthansa droht: Wir lassen Flieger leerstarten

Die EU pocht darauf, dass Fluggesellschaften ihre Slots auch nutzen. Den fehlen jedoch noch immer die Passagiere. Wollen sie die wertvollen Streckenrechte nicht verlieren, müssen sie ohne Fluggäste starten - aus Klimaschutzsicht ein Desaster. Die Lufthanse will es trotzdem machen und gibt die Schuld der EU. Hält die sich nicht an ihren Green Deal?

An sich ist die Sache ganz hoch eingeflogen: Der „Green Deal“, zu dem sich die EU verpflichtet hat, ist der große Wurf von Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen. Alle 27 EU-Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, bis 2050 eine klimaneutrale Wirtschaft zu schaffen. Sie vereinbarten hierzu, die Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu senken. Der hehre Anspruch zerschellt jedoch an der Wirklichkeit. Manchmal sogar unter tatkräftiger Mithilfe der EU selbst.

Das jüngste Beispiel sieht so aus: Die Kommission will im Rahmen des „Green Deal“ natürlich auch den Luftverkehr schadstoffärmer machen. Der CO2-Preis soll steigen und sie schlägt außerdem die Förderung nachhaltiger Flugkraftstoffe vor – mit der Vorgabe, dass Flugzeuge bei allen Abflügen von EU-Flughäfen mit nachhaltigen Kraftstoffgemischen betankt werden müssen. Soweit die Theorie. In der Praxis allerdings sorgt die EU gerade dafür, dass die Luft dreckiger wird als nötig: Sie hat jüngst die Slot-Regeln für die kommende Winterflugperiode festgelegt, die im Oktober beginnt. Und die könnten dafür sorgen, dass Flugzeuge in den nächsten Wochen komplett ohne Passagiere abheben. Das wäre nicht nur für die betroffenen Airlines ein wirtschaftliches Desaster, es wäre auch das Gegenteil von dem, was die EU mit ihrem Green-Deal erreichen will.

Fluggesellschaften, wie die Lufthansa müssen Slots erwerben um bestimmte Strecken und Flughäfen benutzen und ansteuern zu können. In normalen Zeiten gibt es ein Gedränge, um die begehrten Slots. Und die Fluggesellschaften versuchen regelmäßig, der Konkurrenz die besten Slots abzujagen. Um Hauen und Stechen zu verhindern gilt normalerweise: Wer einen Slot besitzt, ihn aber nicht regelmäßig nutzt, verliert ihn an die Konkurrenz. Bindend ist dabei die sogenannte 80/20-Regel, das heißt: Die Rate zur verpflichtenden Nutzung (sogenannte Grandfather-Rights) liegt bei 80 Prozent, nur 20 Prozent dürfen ungenutzt bleiben. Ansonsten verliert die Fluggesellschaft den wertvollen Slot.

In der Pandemie funktionierte das nicht, die meisten Flugzeuge blieben am Boden, weil keiner fliegen wollte. Manche Strecken wie die Verbindungen in die USA waren weitgehend gekappt, weil entsprechende staatliche Verbote den Flugverkehr lahmlegten. Die EU hatte ein Einsehen und setzte die 80/20-Regel aus. Jetzt zieht die EU-Kommission auf Druck der Flughäfen und einiger Billigairlines jedoch die Zügel wieder an. Europas Airlines müssen im Winter fast so fliegen, als sei alles normal: Sie sollen mindestens die Hälfte ihrer Start- und Landerechte nutzen, ansonsten verfallen sie. Dabei gilt für die USA noch immer weitgehend das Corona bedingte Einreise-Verbot. Und auch in Europa hat sich der Flugverkehr längst nicht normalisiert. Nach Schätzungen des Airline-Verbandes Iata wird der internationale Reiseverkehr bis Ende 2021 nur 34 Prozent des Niveaus von 2019 erreichen.

Lufthansa-Chef Carsten Spohr, der die Fluglinie nur dank staatlicher Kredite und einer Staatsbeteiligung in der Luft halten konnte, ist alles andere als begeistert. „Da der Luftverkehr sich nach wie vor nicht normalisiert hat, sind auch für den Winterflugplan weitergehende Ausnahmeregelungen für die Slotvergabe nötig“, sagt ein Unternehmenssprecher auf Anfrage. Die Ankündigung der EU-Kommission von 50 Prozent reiche nicht aus. Aufgrund der Entwicklung neuer Virusvarianten und daraus folgenden Reiserestriktionen bleibe die Situation volatil. Und dann fügt er warnend hinzu: „Die verabschiedete Regelung birgt die Gefahr, dass Airlines mit leeren Flugzeugen fliegen müssen, nur um ihre Slots zu sichern. Das schadet Klima und Airlines.“

Wie sehr es dem Klima schadet, berechnen Organisationen wie Atmosfair: Nach deren Angaben werden auf der Strecke Düsseldorf-London und zurück mehr als 300 Kilogramm CO2 freigesetzt – pro Person. Auch ein Leerflug erzeugt damit mehrere dutzend Tonnen CO2, die dem Klima ohne die Initiative der EU-Kommission erspart blieben.

Allerdings steht die Kommission unter Druck von anderer Seite. An den Flughäfen herrscht vielerorts Totentanz, seit die Slots nicht mehr bedient werden müssen. Start- und Landgebühren sowie die Kosten für die Flugsicherung entfallen, wenn nicht geflogen wird. Die Einnahmen sind eingebrochen. Die Fraport-Aktie hat zwar seit Jahresbeginn zugelegt, ist aber im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten ein Schatten ihrer selbst. Die neue EU-Regelung könnte ihr Schub verleihen. Auch Billigflieger wie Ryanair und Wizz Air sprechen sich für die Wiederherstellung des Slot-Wettbewerbs aus – beide Airlines sehen sich in Expansionsplänen durch den bislang erleichterten Bestandsschutz ausgebremst. Sie hatten in der Pandemie die Praxis der Freihaltung von „Zombie“-Slots als „illegal“ angeprangert.

Oliver Stock

23.08.2021 | 10:55

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