(Bild: WMG)



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Macher der Woche: Claus Weselsky

Der Mann ist wahlweise eine Nervensäge, ein Totengeräber der Wirtschaft – oder ein Kämpfer für die Arbeiter bei der Bahn. Claus Weselsky, Chef der Lokführergewerkschaft GDL steuert die Bahnstreiks und wirkt mit seiner Klassenkampfrhetorik aus der Zeit gefallen. Doch er ist ein knallharter Stratege.

Da ist dieses leicht gemeine Lächeln, als Claus Weselsky das erste Mal in diesem Jahr vor die Kameras tritt. Es ist an diesem 24. Juni klar: Der nächste Bahnstreik kommt, die Menschen werden ihre Ferien verschieben müssen, andere kommen nicht zur Arbeit, Chaos an den Bahnhöfen bricht aus. Dann verkündet der Chef der Lokführer-Gewerkschaft GDL knallhart mit der üblichen, etwas befremdlichen, weil unzeitgemäßen Klassenkampf-Rhetorik: Man werde erst einmal alle Mitglieder in einer Urabstimmung befragen. Damit war klar: Gestreikt wird, aber es dauert noch mal ein paar Wochen, bis ausgezählt ist. Anfang August ging es dann zur Sache: einige Tage Streik zum Ende einer Woche, dann ein paar Tage Streik am Anfang einer Woche. Inzwischen läuft die dritte Streikrunde – diesmal fast eine ganze Woche lang.

Dass in einigen Bundesländern der Ferienverkehr noch rollt, dass Deutschland nach den Einschränkungen der Corona-Pandemie gerade wieder aufatmet, die Wirtschaft sich langsam erholt, dass Regionen im Westen im Hochwasser zerstört wurden – für Claus Weselsky kein Grund, nicht zu streiken. Wenn man danach ginge, sagt er, sei nie der richtige Zeitpunkt für einen Streik.

Der Gewerkschaftschef geht systematisch vor. Kleine Schritte, nerven, dabei immer klar machen, dass noch mehr drin ist. Zermürbungstaktik nennen es die einen, Erpressung eines Staatskonzerns die anderen. Die GDL fordert ein besseres Angebot. Die Bahn bessert nach. Weselsky lehnt ab. Dann Streik und Forderung nach einem besseren Angebot. Und so weiter.

Der Gegner muss kapitulieren

Kompromisslos in der Sache sei Weselsky, hört man immer wieder. Das bedeutet: Er will gewinnen. Das bedeutet auch, dass er erst aufhört, wenn die Gegenseite, von Tarifpartnern würde er wohl eher nicht reden, kapituliert. Wobei: Weselsky würde vermutlich sagen, der Bahnvorstand habe endlich eingesehen, dass man nur ohne Vorbedingungen verhandeln könne. Alles deutet also daraufhin, dass der aktuelle nicht der letzte Streik ist.

Wie das läuft, konnten Bahnfahrer und Konzern bereits 2014/15 erleben. Schon damals hat Weselsky gnadenlos die Züge, Personen- wie Güterverkehr, gestoppt. In elf Monaten gab es insgesamt neun Streikwellen, 765 Stunden insgesamtt. Eine gute halbe Milliarde Euro, rechneten Ökonomen vor, kostete der Arbeitskampf die deutsche Volkswirtschaft. Weselsky war es vielleicht nicht egal, aber er nahm es in Kauf, schließlich ging es um die Lokführer, die er als GDL-Chef vertreten hat. Und um die Zugbegleiter, die er vertreten wollte. Und das Überleben der GDL neben der weitaus größeren Eisenbahnergewerkschaft EVG.
Weselsky war jedes tarifpolitisch effiziente Mittel Recht, und das bedeutete: Streik bis zum letzten. Auch wenn man angefeindet wird, als Buhmann der Nation dasteht. Wenn man bedroht wird. Wenn man mehrere Kilo Gewicht verliert während des Ausstands, wie Weselsky der „Süddeutschen Zeitung“ erzählte, der er vor Jahren sein privates Fotoalbum öffnete. Dabei blieb Weselsky immer souverän. Geradezu legendär, wie er reagierte, als die Telefonnummer der GDL während der Streiks 2014/15 in der „Bild“ veröffentlicht wurde. Der Gewerkschaftschef schaltete die Rufumleitung ein – zum damaligen Bahnchef Rüdiger Grube.

Weselsky wurde im Februar 1959 in Dresden als drittes Kind einer Arbeiterfamilie geboren. Aufgewachsen ist er in Kreischa bei Dresden. Er lernte Triebfahrzeugschlosser und wurde Lokführer für Diesel- und E-Loks bei der Reichsbahn. Die letzte steuerte er 1992 – durchs Elbtal bei Bad Schandau, für ihn eine der schönsten Strecken Deutschlands.

Den Vorgänger vergrault

1990 arbeitete Weselsky als Personal- und Betriebsrat, stieg dann in der GDL auf, 2006 wählten ihn die Mitglieder zum Vize-Vorsitzenden. Beim ersten Bahnstreik 2007/2008, als die GDL einen eigenen Tarifvertrag für die Lokführer erstritt, arbeitete er an der Strategie im Hintergrund, nach außen trat sein GDL-Chef Manfred Schell auf. Die harte Linie stammte von Weselsky, der dann 2008 Schells Nachfolger wurde.

Seither hat er die Gewerkschaft auf sich zugeschnitten, manche sagen, er regiere autokratisch. Mit Schell hat er sich überworfen, der ehemalige Ehrenvorsitzende wurde aus der Gewerkschaft ausgeschlossen, ebenso einige weitere hohe Funktionäre. Je nach Seite ging es um nicht gezahlte Mitgliedsbeiträge und Intrigen oder das Entfernen störender Mitglieder. Schell jedenfalls verglich Weselskys Führungsstil mit dem von Diktatoren wie Assad und Mao. Dann kam der Streik 2014/2015. Und jetzt also die nächste Runde GDL gegen Bahn.

Vordergründig geht es um mehr Gehalt, Tarifvertragslaufzeiten, Altersvorsorge und Corona-Boni. Tatsächlich geht es aber auch um den Anspruch der GDL, mehr als nur Lokführer und Zugbegleiter zu vertreten. Nach dem Tarifeinheitsgesetz, übrigens entstanden wegen einer Streikwelle der GDL, gilt in einem Betrieb der Tarifvertrag jener Gewerkschaft, die dort die meisten Mitglieder hat. Die Bahnführung sieht das für die GDL bei 16 der gut 300 Betrieben im Konzern erfüllt. Die GDL wertet diese Zahl als eine Art Kriegserklärung. Und hofft, dass angesichts ihrer Schlagkraft viele Mitarbeiter neu eintreten oder von der EVG wechseln.

Unfassbar hartnäckig

Weselskys Truppe, die GDL, war die erste Gewerkschaft, die sich in der zerfallenden DDR 1990 wieder bildete. Die Lokführer schlossen sich ihr gern an. 1993 mit der Fusion von Reichsbahn (Ost) und Bundesbahn (West) kam die GDL zur Deutschen Bahn. Besonders hoch ist der Organisationsgrad im Osten. Und die Gewerkschaft hat den entscheidenden Vorteil einer Spartengewerkschaft: Ohne Lokführer steht die Bahn. Arbeiten sie nicht, geht nichts mehr. Zu dieser Macht kommt das Talent Weselskys, unfassbar hartnäckig in der Sache zu sein. Seiner Sache, also die der GDL.

Er vertrete nur die Mitglieder seiner Gewerkschaft, sagte Weselsky auch jetzt wieder. Und das klang sachlich korrekt. Aber irgendwie auch schräg. Dass es Weselsky nur um bessere Bedingungen für die Lokführer und Zugbegleiter geht, nimmt man ihm nicht recht ab. Das liegt vor allem daran, wie er sich äußert. Da ist diese leicht übersteigerte, komplett aus der Zeit gefallene Klassenkampfrhetorik, in der er „die da in der Vorstandsetage, die sich mit Boni die Taschen voll machen“ angreift, während die Lokführer ausgebeutet werden. Dann ist er immer korrekt im Anzug gekleidet, das Haar gestutzt, der ergraute Oberlippenbart auch. Und: Er sächselt, mit Abstand der unbeliebteste Dialekt in Deutschland. Der Eindruck ist der eines Apparatschiks aus vergangener Zeit, der sich im Ton vergreift.

Dabei ist Weselsky nichts ferner als sozialistische Politik. Er ist stolz, niemals in der SED gewesen zu sein, der Einheitspartei der DDR. Und 2007 trat er in die CDU ein, gilt als wertkonservativ. Da eine Nähe zu Querdenkern zu sehen, geht auch zu weit. Weselsky ist in dem, was er sagt, klar auf das konzentriert, was er erreichen will: mehr Geld für die Mitglieder, mehr Macht für die Gewerkschaft.

Im kommenden Jahr sind übrigens Vorstandswahlen. Weselsky tritt noch einmal an. Er wäre dann 63. Er hat angedeutet, dass er, sollte er gewählt werden, nicht die volle Amtszeit machen will – mit 65 reicht es ihm dann wohl auch.         

Wobei: Man hat fast das Gefühl, die GDL würde auch noch streiken, wenn die Deutsche Bahn alle Forderungen der Gewerkschaft ohne Gespräche annehmen würde. Einfach, weil man streiken kann, fast alles steht oder fährt, wenn Claus Weselsky es befiehlt.

Björn Hartmann

03.09.2021 | 13:49

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