Volkswirt mit kontroverser These: Dirk Ehnts.



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Macher der Woche: Dirk Ehnts

Er hat die schwäbische Hausfrau ermordet. Der Berliner Ökonomie-Star vertritt eine neue Geldtheorie, wonach der Staat unbegrenzt Schulden machen darf.

Die Szene bei der regelmäßigen Pressekonferenz der Europäischen Zentralbank (EZB) hat sich den Zuschauern eingeprägt. Der frühere EZB-Chef Mario Draghi wähnte sich schon ganz am Ende der Veranstaltung und räumte seine Sprechzettel zusammen, als ein schwedischer Journalist hinten aus dem Raum seine Frage stellte: „Kann der EZB jemals das Geld ausgehen?“ Draghi blickte auf, zögerte etwas und raunte dann ins Mikrofon: „Technisch gesehen nicht.“

Einer, der diese Szene bereits mehrfach im Netz angeschaut und irgendwie auch genossen hat, ist Dirk Ehnts. Der Berliner Ökonom ist Vorsitzender der Samuel Pufendorf-Gesellschaft, einer Gemeinschaft von Ökonomen, die sich dem intellektuellen Erbe dieses deutschen Philosophen verpflichtet fühlen, der im 17. Jahrhundert als Wegbereiter der Aufklärung galt. Und Ehnts, 43 Jahre alt, jugendliches Gesicht, flinke Augen hinter einer eckigen Hornbrille, Schnellsprecher und mehr der Jeans- als der Anzugtyp hält viel von Aufklärung. Vor allem von ökonomischer Aufklärung. Seine wichtigste Tat war bislang die Ermordung der schwäbischen Hausfrau. Mit seinem kurzen Satz am Ende der Presskonferenz bekannte sich Draghi dabei als sein Komplize.

Niemand kümmern die Schulden

Doch der Reihe nach: In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelte der US-Ökonom, Sportwagenbauer und Rekord-Segler Warren Mosler eine ökonomische Theorie, die das Verhalten von Regierungen in Krisen erklären sollte. Sie geben in der Regel Geld aus, von dem keiner weiß, woher es kommt. Es soll Krisen finanziell abfedern. Am Ende stehen die spendierfreudigen Politiker vor einem Haufen Schulden, was aber niemanden so recht kümmert. Künftige Generationen werden belastet, heißt es dann, aber die Politiker zucken nur mit den Schultern. Corona lässt grüßen.
„Richtig so“ sagte Mosler damals. Denn Regierungen und dazugehörige Notenbanken verfügen über unbegrenzte Geldreserven. Sie können Geld auf Knopfdruck erzeugen und müssen nicht warten, bis der Steuerzahler ihnen etwas rüberreicht. Die „Modern Monetary Theorie“ (MMT) war geboren. Sie macht seither in Wissenschaftskreisen die Runde, Mosler wurde damit berühmt und Professor in der Schweiz, Ehnts ist sein fleißigster deutscher Apostel mit eigenem Forschungsschwerpunkt, und Draghi hat mit seiner hingeworfenen Bemerkung die Richtigkeit der Theorie in der Praxis bestätigt.

Gegen eine Politik der schwarzen Null

Hierzulande allerdings, im Land der Denker und Sparer, wo die schwäbische Hausfrau dafür geradesteht, dass ein jeder nur ausgeben kann, was er anderswo einnimmt, hat einer wie Ehnts keinen leichten Stand. „Die Begrenzung des staatlichen Geldes ist eine politische Frage, keine ökonomische“, sagt Ehnts im Gespräch mit dem WirtschaftsKurier und deutet damit an, dass der öffentliche Haushalt über unbegrenzte Geldreserven verfügt, wenn die Politik es so will. Sie seien jedenfalls völlig unabhängig vom Steueraufkommen. Ökonomisch sei eine Begrenzung der Geldmenge nicht sinnvoll. „Die Politik der schwarzen Null erzeugt vor allem eines: Arbeitslosigkeit“, fügt er hinzu und watscht damit die Bundesregierung gründlich ab. Das oberste Ziel, das mit Hilfe der MMT zu erreichen sei, heiße Vollbeschäftigung. Dazu komme Preisstabilität und eine Nachhaltigkeit bei den Investitionen.

Der Ökonom geht sogar noch weiter. Die Fähigkeit, Geld zu drucken, sei Merkmal einer funktionierenden Demokratie. Nur Diktaturen begrenzten die Geldmenge, weil sie nicht über die Legitimation verfügen, Geld sinnvoll zu investieren. Einwände kontert Ehnts in Sekundenschnelle: die Unabhängigkeit der Notenbank? „Gibt es nicht. Christine Lagarde ist nur EZB-Präsidentin geworden, weil Merkel und Macron sich auf sie geeinigt haben.“ Geldknappheit als Treibmittel für Erfindungsgeist? „Niemand zwingt den Staat mit seinem frisch gedruckten Geld, Industrien zu fördern, deren Zeit abgelaufen ist“, sagt Ehnts. Und dann setzt er noch einen gewichtigen Satz obendrauf, der alle Vertreter einer ausgabenfreudigen Politik in der Corona-Krise gefallen muss: „Es macht überhaupt keinen Sinn, wenn im Kapitalismus während einer tiefen Krise alle Unternehmen gleichzeitig pleitegehen.“

Kein Widergänger Lafontaines

Dem Berliner Ökonomen könnte mit dieser Theorie eine Karriere als Politik-Berater bevorstehen. Ist er eine Art Widergänger von Oskar Lafontaine, dem ausgabefreudigen Altlinken, der einst das Amt des Finanzministers hinwarf, als er merkte, dass seine Gefolgschaft zusammengeschmolzen war? Ehnts lacht sein Lausbubenlachen. „Ich komme weder aus einer linken noch aus einer rechten Ecke“, sagt er. Er habe studiert, ohne je von der MMT gehört zu haben. Seit er jedoch die MMT verstanden habe und selbst in dem Bereich forsche, stelle er fest: „Es ist so ziemlich alles falsch, was ich zuvor gelernt habe.“

04.09.2020 | 13:15

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