Macher der Woche: Ertan Özdil
Deutschland hinkt in Sachen Digitalisierung hinterher. Und seit SAP ist hierzulande nichts neues unter der Sonne geboren worden. Diese Analysen nerven. Umso erfrischender ist es, einen Gründer wie Ertan Özdil zu erleben. Er will seine Softwareschmiede noch in diesem Jahr an die Börse bringen.
Was Deutschland und die Digitalisierung angeht, gibt es drei Mythen, die beispielsweise im gerade einsetzenden Wahlkampf eine Rolle spielen. Mythos 1 lautet: Alles Gute kommt aus dem Silicon Valley. Jede Pilgerreise deutscher Delegationen ins kalifornische Tal der unbegrenzten Möglichkeiten stützt diese These. Mythos 2 heißt: Seit SAP hat Deutschland keine Softwareschmiede von Weltrang mehr hervorgebracht. Wer sich auf die einschlägigen Listen der wertvollsten Unternehmen der Welt verlässt, muss zu diesem Ergebnis kommen: SAP findet sich als eines der wenigen deutschen Unternehmen immerhin noch unter den Top 100. Und Mythos 3 ist: In Zukunft dreht sich alles nur noch um die Software. Selbst deutsche Autobauer räumen inzwischen ein, dass ihre neuesten Produkte an sich nur so etwas sind, wie Software auf Rädern.
Es gibt jedoch Menschen, die diesen Mythen nicht einfach so folgen, weil sie sich auskennen. Menschen wie Ertan Özdil, Sohn türkischstämmiger Einwanderer, 47 Jahre alt und möglicherweise noch in diesem Jahr einer derjenigen, den die Börse wohlhabend macht. Nicht weil er dort spekuliert, sondern weil er das Unternehmen, das er aufgebaut hat, aufs Frankfurter Parkett bringen will und damit sein bisheriges Lebenswerk aufs erste krönen wird.
Sein Lebenswerk, es nennt sich weclapp, gegründet 2008, entwickelt Software für kleine und mittelgroße Unternehmen, mit der sich alle kaufmännischen Prozesse wie Bestellungen, Lagerhaltung und Auslieferungen steuern lassen. Die Software ist cloudbasiert, die Daten allerdings liegen alle bei weclapp, was Datenschützer aufatmen lässt. Auch Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz und Blockchain-Anwendungen lassen sich integrieren, verspricht Özdil. Auf die Frage, ob weclapp so etwas wie das SAP für den Mittelstand sei, sagt Özdil schlicht „genau“ und plant nun folgerichtige gemeinsam mit dem jahrzehntelangen Investor hinter weclapp, der börsennotierten Marburger Beteiligungsgesellschaft 3U Holding, den Sprung aufs Parkett. Bis Ende des Jahres soll es so weit sein. 25 Prozent der Anteile sollen an andere Investoren gehen. Das Geld will weclapp für weiteres Wachstum nutzen. Es geht um Zukäufe, Neuentwicklungen und neue Märkte: „Wir werden auch wieder ein Office in den USA eröffnen. Für die Zukunft kommen wir am US-Markt nicht vorbei“, stellt Özdil fest. Er spricht ruhig, unaufgeregt, Euphorie hat in dieser Phase des Lebens des Softwareentwicklers und Gründers keinen Platz. Klar ist aber: Der Schritt kommt 13 Jahre nach der Gründung, das Startup steckt längst in der Pubertät, denkt man es 13 Jahre weiter, könnte es durchaus SAP den Rang ablaufen und Mythos 2 hätte sich erledigt.
Bleiben 1 und 3. Die Sache mit dem Silicon Valley sieht Özdil ausdrücklich anders. Wer mit ihm diskutiert, dem erklärt er folgendes: „Wir kriegen das hier unglaublich gut hin. Ich brauche nicht ins Silicon Valley. Der einzige Vorteil ist, dass, wenn Sie dort auf einer Bank sitzen, neben Ihnen garantiert ein Investor Platz nimmt. Das Problem ist, dass die dann schnell viele Anteile kaufen wollen.“ Zwei Vorteile berge der Standort Deutschland für Software-Schmieden: Er sei wegen seiner „hohen Standards nicht zuletzt im Datenschutz“ ideal. Wer als Hersteller diese Standards erfülle, sei bestens gewappnet für den Rest der Welt. Und: „Hierzulande herrscht nicht die Mentalität: Software darf nichts kosten“ – eine Einstellung, die einem Unternehmer wie Özdil das wirtschaftliche Überleben einfacher macht. Natürlich gibt es auch Schattenseiten: „Deutschlands Problem ist die Schufa-Auskunft. Wenn darin steht, Du hast eine Insolvenz hingelegt, bist Du erledigt. In den USA ist das eine Auszeichnung.“
Bleibt noch Mythos Nummer 3: die Bedeutung von Software. Özdil spielt sie nicht herunter, das wäre schädlich fürs Geschäftsmodell. Aber er sortiert sie ein: „Software ist ein Werkzeug für Menschen, das im täglichen Geschäft in den Hintergrund rücken muss.“ Im Idealfall höre und sehe man von weclapp nichts – einfach, weil es geräuschlos das tut, wofür es da sei: den kaufmännischen Alltag in den Griff zu bekommen.
Es wird deutlich: Özdil ist kein Revolutionär, der in Quantensprüngen denkt. Was er aber ist: ein ständiger Verbesserer, einer der nicht aufgibt: „Wir hatten viele Momente bei weclapp, bei denen wir nicht wussten, ob wir den morgigen Tag noch erleben.“ Weclapp hat überlebt und es sieht danach aus, als stünde die wahre Blüte sogar noch bevor.
Oliver Stock
21.05.2021 | 14:10