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Macher der Woche: Juergen Maier

Der gebürtige Deutsche berät die britische Regierung und steuert staatliche Digitalisierungsprogramme für die Wirtschaft. Jetzt hilft er Wirtschaftslenkern, sich stärker in öffentliche Debatten einzubringen. Bisher scheuen sie davor zurück – wegen eines folgenschweren Auftritts 1991.

Schluss mit nichtssagendem Gelaber und Worthülsen: Britische Manager sollen öffentlich mehr Klartext reden, um die Akzeptanz ihrer Unternehmen zu erhöhen und Gesellschaft und Politik mitgestalten zu können. Das findet jedenfalls Juergen Maier, bis vor gut zwei Jahren Chef von Siemens UK, dem Bereich, der den deutschen Industriekonzern auf der britischen Insel vertritt. Er will mit einer Initiative gegensteuern. Ihn stört, dass viele Manager lieber nichts sagen, als womöglich durch unbedachte Worte das eigene Ansehen und das des jeweiligen Unternehmens zu beschädigen. Maiers Idee könnte auch für deutsche Manager interessant sein, denn auch sie halten sich meist besonders bei politischen Themen zurück.

Die Briten haben da eine Art Trauma seit 1991, als Gerard Ratner sein gleichnamiges Unternehmen mit zwei kurzen Episoden in einer Rede an den Rand der Pleite brachte. Der Schmuckhändler sagte vor den Spitzen der britischen Wirtschaft, ein paar Ohrringe in seinem Angebot seien billiger als ein Krabbensandwich bei der gehobenen Kette Marks & Spencer und das Sandwich würde wohl auch länger halten. Und: Er könne sechs Gläser und eine Karaffe auf einem silbernes Tablett für nur 4,95 Pfund verkaufen, weil sie Schrott seien. Ratner nannte es Ironie, die Anleger und Kunden seiner Billigjuwelierkette sahen das nicht so. Und viele Manager reden seither lieber nur leere Formeln über das Unternehmen und sagen schon gar nichts über Politik. Außer vielleicht Ryanair-Chef Michael O’Leary – aber der ist zum einen eine schamlose Marketingmaschine, zum anderen Ire.

„Es ist die Angst, einen Fehler zu machen und etwas zu sagen, was die eigene Marke betreffen kann“, sagte Maier kürzlich dem Guardian. „Aber ich sehe nicht, wie wir die Herausforderungen lösen können, ohne ein deutlich stärkere Verbindung zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und öffentlichem Sektor.“ Die Wirtschaft müsse Verantwortung und Führung für einige der Themen übernehmen. Die Herausforderungen in Großbritannien sind zum Teil ähnlich wie in Deutschland. Wichtigstes Thema: Klimawandel und Klimawende mit teils starken Eingriffen in das gesellschaftliche Leben, die Corona-Pandemie. Und dann sind da noch die überwiegend negativen Folgen des Brexit, gegen den sich Maier mehrfach vehement ausgesprochen hat.

Maier ist nicht irgendwer. Auf seiner Internetseite bezeichnet er sich als Industrieller und Unternehmensberater. Es stimmt, ist aber etwas untertrieben: In Großbritannien ist der 58-Jährige praktisch Mr. Industrie 4.0. Gemeinsam mit Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng sitzt er dem Make-Smarter-Programm der Regierung vor, das Großbritanniens Hersteller in die vernetzte Zukunft bringen soll. Maier hat das Programm mitentwickelt. Er ist Mitglied des Industrial Strategy Council, das die Regierung berät. Und er sitzt im Verwaltungsrat der staatlichen britischen Innovationsagentur Digital Catapult, die die Digital- und Softwareindustrie fördern soll. Und er arbeitet mit daran, den Jahrzehnte vernachlässigten britischen Norden zu Reindustrialisieren – mit grünen Technologien. Die Queen verlieh Maier für seine Arbeit einen CBE, die dritthöchste Stufe der britischen Version des Bundesverdienstkreuzes.

Geboren wurde Maier in Deutschland, lebte in Karlsruhe, zog aber bereits mit zehn Jahren nach Großbritannien. Er besitzt einen österreichischen und einen britischen Pass. der Produktionsingenieur arbeitete 33 Jahre in verschiedenen Positionen bei Siemens, bevor er 2019 freiwillig ausschied, um sie mehr darum zu kümmern, die britische Wirtschaft durch Digitalisierung fit zu machen. Und dazu sollen sich die Wirtschaftslenker des Landes mehr öffentlich einbringen.

Maier und einige Gleichgesinnte haben eine Plattform entwickelt, auf der sich Topmanager austauschen können. Vorgesehen ist, nachfolgende Managergenerationen mehr Mut zu machen, sich zu äußern. Etwa 150 hochrangige Entscheider beteiligen sich bereits. Topmanager sollten aufhören, Angst vor öffentlichen Aussagen zu haben, sagte Initiator Maier. Sie müssten erkennen, dass es die öffentliche Debatte beschädigen könne, wenn sie nicht offen über Politik und Wirtschaft sprächen. Es überlasse das Feld den Kritikern.

Gerade in der aktuellen Cancel Culture haben es Unternehmen nicht leicht. Die Devise ist, eher nichts zu sagen oder zu veröffentlichen, als sich – und sei es nur aus Versehen – einen Shitstorm bei Twitter einzufangen und öffentlich an den Pranger gestellt zu werden – auch in Deutschland. Selbst die Chefs von jungen Unternehmen aus der Start-up-Branche wie Delivery Hero, Hellofresh und Zalando äußern sich nicht zu politischen Themen, obwohl dort viele Menschen der Generation Z arbeiten, die als besonders engagiert bei Klimawandel, Umweltschutz und fairen Arbeitsbedingungen gelten. Anfragen zu derartigen politischen Themen werden mehr oder weniger rigoros abgelehnt, öffentliche Auftritte gibt es praktisch nicht.

Einer, der sich in den vergangenen Monaten häufiger zu Wort meldete, ist Leonhard Birnbaum. Der Chef des Energiekonzerns Eon sieht die Energiewende als Chance und redet gern und viel darüber: Gaskraftwerke, Finanzierung der Wende, Probleme, die angegangen werden müssten. So richtig politisch wird er nicht, was vielleicht auch daran liegt, dass sein Unternehmen sich nach einem großen Umbau vor allem auf das Stromverteilnetz und Endkunden konzentriert und zu den Gewinnern der Energiewende zählen dürfte.

Stärker in die Öffentlichkeit wagt sich auch Herbert Diess. Der VW-Chef bleibt bei Twitter und dem Jobnetzwerk Linkedin allerdings sehr nah am Wandel seines Konzerns vom Verbrennerhersteller zum E-Autobauer. Politische Einwürfe? Eher nicht, mal abgesehen von Aussagen zur Bedeutung des chinesischen Marktes.

In Deutschland besonders aktiv war bis zu seinem Abschied als Siemens-Chef Joe Kaeser, der sich öffentlich zur ganz großen deutschen Politik äußerte – mit Russland, China und dem Iran, alles auch große Absatzmärkte des Siemens-Konzerns. Seine Twitter-Nachricht an die AFD, ihm seien Kopftuchmädel lieber als der Bund deutscher Mädel gilt als legendär. Allerdings führte der Versuch, der Fridays-For-Future-Aktivistin Lisa Neubauer einen Beraterposten zu geben, ins PR-Desaster. Sie wollte sich von der Industrie nicht einspannen lassen.

Ob die britische Regierung den Wirtschaftslenkern zuhört, wenn sie sich vermehrt auch politisch äußern? Womöglich. Ob sie ihr Handeln ändert? Eher nicht. Beispiel Brexit, den Maier für einen Fehler hält. Noch im September fragte er sich in einem Interview auf Sky News, wann die Regierung endlich pragmatisch werde und sich dem gemeinsamen EU-Markt wieder annähere. Bisher läuft eher das Gegenteil. Zuletzt wollte Premierminister Boris Johnson tausende Regeln noch aus EU-Zeiten kurzerhand abschaffen.  

Björn Hartmann

04.02.2022 | 14:31

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