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Macher der Woche: Pawel Durow

Er sollte schon fast verboten werden, der Messenger-Dienst Telegram, der hierzulande auch eine Plattform für Verschwörungsliebhaber und Kriminelle ist. Im Ukraine-Krieg wird jedoch klar: Telgram überbringt lebenswichtige Nachrichten. Hinter dem Dienst steckt eine schillernde Figur.

Erst Teufelszeug und jetzt Heilsbringer? Der Messenger-Dienst Telegram kann beides: In Deutschland nutzen ihn mit Vorliebe solche, die schon aus Prinzip niemals glauben, was alle andere sagen und sich deswegen den Ruf von Querdenkern und Verschwörungstheoretikern eingehandelt haben. Sogar Drogen und gefälschte Impfausweise werden über die Plattform gehandelt, die wegen ausgeklügelter Sicherheitssysteme für Ermittler schwer einsehbar ist. Der Attentäter des Anschlags auf dem Berliner Weihnachtsmarkt 2016 verriet seine Pläne ebenfalls in Telegram-Chats. Man sollte Telegram verbieten, hatte Bundesinnenministerin Nancy Fraser (SPD) zeitweise gefordert.

Und dann das: Sowohl in Russland als auch in der Ukraine hat sich Telegram in den vergangenen Wochen zur wichtigsten Nachrichtenquelle überhaupt entwickelt. Seit Kriegsausbruch kommen täglich durchschnittlich 2,5 Millionen neue Benutzer zu Telegram, heißt es vom Unternehmen selbst – das entspricht einem Anstieg von etwa 25 Prozent gegenüber den Wochen zuvor. Selbst in deutschen Sendern, die sich eben noch an der Telegram-Verbotsdiskussion beteiligt hatten, wird nun Nachrichtenmaterial gezeigt, das von der verpönten Plattform stammt. In der Ukraine sendet Präsident Selenskyj täglich Updates in seine Gruppe – 1,5 Millionen Menschen folgen ihm. Einwohner und Flüchtende berichten, dass sie über Telegram deutlich schneller über Angriffe informiert würden als über klassische Nachrichtenquellen – die Plattform ist ihr überlebenswichtiges Werkzeug geworden.

Damit geht auf, woran Pawel Durow immer geglaubt hat. Der russische Unternehmer, 37 Jahre alt, ist einer der wenigen Milliardäre russischer Herkunft, der nicht zum Kreis der Oligarchen um Putin zählt. Im Gegenteil: Für Moskau ist er ein Staatsfeind. Die Amerikaner sehen in ihm eine Art Mark Zuckerberg aus Leningrad und er selbst bezeichnet sich als digitalen Nomaden, der drei Staatsbürgerschaften – die russische, die französische und die des Antillen-Staates Saint Kitts und Nevis – hat. Manchmal sagt er auch unverblümt, er sei ein Freiheitskämpfer.

Seine bekannteste Geschichte ist die von dem Tag, als Spezialkräfte vor seiner Tür standen und er sie über einen Monitor beobachtet habe. Da sei ihm, so hat er es einem Journalisten der New York Times erzählt, klargeworden, dass seine Zukunft nicht in Russland liege. In einem von Durows Instagram-Posts ist Mel Gibson als Freiheitskämpfer in dem Film „Braveheart“ zu sehen. Gibson sagt, sie mögen uns das Leben nehmen, aber niemals die Freiheit. Durow schreibt: „Sie können uns unsere IPs wegnehmen, aber nicht unsere Freiheit.“

Mit „sie“ meint er das Putin-Regime, das er verabscheut. Aufgewachsen in Italien, Linguistik Student in Sankt Petersburg gründet er 2006 zusammen mit seinem Bruder Nikolai das Soziale Netzwerk VKontakte, eine Art russisches Facebook. 2011 verlangt die russische Regierung, dass Durow bei VKontakte die Seiten von Oppositionspolitikern löschen soll. Sein „Njet“ führt zu der Szene mit den Sicherheitskräften. Als er daraufhin seinen Bruder anrufen will, wird ihm klar, – so jedenfalls stellt er es dar - dass er keine Möglichkeit hat, über eine sichere Verbindung mit ihm Kontakt aufzunehmen. Er verkauft seine Anteile an VKontakte, verlässt Russland und entwickelt mit seinem Bruder Telegram inklusive einem bis dahin einmaligen Verschlüsselungskonzept.

Der Dienst wird fertig, als sich Facebook 2014 Marktführer WhatsApp einverleibt. Millionen, die mit Facebook nichts zu tun haben wollten, landen daraufhin bei Telegram. Jede Sekunde seien 100 neue Mitglieder hinzugekommen, erinnert sich Durow an damals. Seit seinem Umzug aus Russland residiert der Star-Unternehmer mal hier, mal da. Gerad ist es Dubai. Der Messenger-Dienst war zwischenzeitlich aber auch mal in Berlin zu Hause.

Mit seinem Heimatland legt sich Durow immer wieder an. 2018, als sich Telegram weigerte, den russischen Behörden nach einem Terrorangriff in Sankt Petersburg entschlüsselte Chats mutmaßlicher Attentäter zu übergeben, wollte die Aufsichtsbehörde Roskomnadsor Telegram abschalten – was nicht glückte. Durow wechselte blitzschnell IP-Adressen, und die Aufsichtsbehörden blockierten beim radikalen Sperren dieser Adressen auch sich selber, was zu hohen Schäden führte. Telegram-Fans nutzten dagegen eine Funktion in dem Messenger-Dienst mit deren Hilfe, Blockade umgangen werden können. Im Juni 2020 gab sich der Staat geschlagen und stellte die Versuche, Telegram abzuschalten, ein. Durow, dessen Mutter aus Kiev stammt, hatte gewonnen. Für ihn ist Telegram lediglich eine Plattform, es kommt auf die Nutzer an, ob damit gutes oder schlechtes bewirkt wird. Möglicherweise ist die Haltung konsequenter als beispielsweise die von Durow-Konkurrent und Twitter-Gründer Jack Dorsay. Twitter hatte dem unberechenbaren US-Präsidenten Donald Trump zeitweise den Zugang gesperrt, ihn aber gleichzeitig für die afghanischen Taliban offengehalten.

Durows Kritiker in Deutschland sind jedenfalls verstummt. Zu ihnen hatte auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gehört, der in der ARD laut über Einschränkungen für den Messenger-Dienst in Deutschland, „wenn nicht gar ein Verbot“ nachgedacht hatte. Hätte er weiter in diese Richtung gedacht, wären die letzten authentischen Livenachrichten aus der Ukraine nicht mehr zu hören gewesen.        

Oliver Stock

31.03.2022 | 13:19

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