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Macher der Woche: Scheich Tamim Bin Hamad Al Thani

Anstelle des Kremlherrschers Putin rückt der Scheich von Katar als Hoffnungsträger in den Mittelpunkt derjenigen Politiker, die die weitere Gasversorgung organisieren müssen. Deutschland begibt sich in Sachen Energielieferungen in eine neue Abhängigkeit. Wie zuverlässig ist der neue Partner?

Er hat sein Amt geerbt, wie sein Vater vor ihm und wie dessen Vater vor ihm. Er öffnet sein Land gerade so weit, dass die Verhältnisse nicht ins Wanken kommen. Er ist ein frommer Muslim, der stets einen Schnurrbart trägt und mal im wehenden Gewand der Araber und mal im geschneiderten dunkelblauen Anzug westlicher Geschäftsleute auftritt. Er hat zwölf Kinder und drei Ehefrauen. Und er ist derzeit einer der gefragtesten Männer in Deutschland: Scheich Tamim Bin Hamad Al Thani, der regierende Emir von Katar wird in Berlin jederzeit mit offenen Armen empfangen. Mit Wirtschaftsminister Robert Habeck unterzeichnet er einen Vertrag über die Lieferung von Flüssiggas, mit Kanzler Olaf Scholz verhandelt er über eine langjährige Energiepartnerschaft, und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lädt ihn zum Empfang ins Schloss Bellevue.

Größter Flüssiggas-Exporteur

Der Emir genießt die Aufmerksamkeit, die ihm hierzulande zuteilwird, seit sein Land eines ist, das helfen kann, Deutschlands Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu lindern. Anstelle des russischen Machthabers soll nun der katarische Scheich liefern, was die Deutschen so dringend brauchen. Ob das eine gute Idee ist, weiß niemand in der Bundesregierung, aber eine andere Idee hat eben auch niemand. Katar ist einer der weltweit größten Exporteure von verflüssigtem Erdgas (LNG). Doch wenn der Scheich nach Deutschland kommt, redet er nicht nur über Gas, sondern auch um weitere Milliarden-Investitionen in deutsche Unternehmen. Mit Engagements bei Volkswagen, der Deutschen Bank, Siemens Energy, dem gescheiterten Impfstoffhersteller Curevac oder Hapag-Lloyd ist Katar bereits der größten arabischen Investoren in der deutschen Wirtschaft.

Wer ist also dieser wohlhabende Onkel aus dem Nahen Osten? Der Scheich regiert den schwerreichen Golfstaat Katar seit 2013. Als er die Führung übernahm, war er gerade einmal 33 Jahre alt. Seitdem hat er den Einfluss der kleinen Halbinsel stark ausgebaut. Als bekennender Fußball-Fan holte er die Weltmeisterschaft in den Wüstenstaat und nahm hin, dass sein Land fortan von all denen wie unter einem Brennglas betrachtet wurden, die diese Entscheidung der immer ein wenig undurchsichtigen Fußballorganisation FIFA nicht nachvollziehen konnten.

Katar führt Mindestlohn ein

Herauskam dabei das, was inzwischen alle wissen: Es gibt Menschenrechtsverstöße und Ausbeutung von Arbeitsmigranten, die beim Bau der WM-Stadien helfen. Die Regierung in Doha weist die Vorwürfe zurück und verweist auf zahlreiche Reformen, die die Lage der ausländischen Arbeiter verbessert hätten. Als Habeck jüngst Katar besuchte, um für Gaslieferungen zu werben, sprach er diplomatisch von einem „schwankenden Boden". Es sind Bauarbeiter vor allem aus Indien, Bangladesch, Nepal und Pakistan – deren schwierige Arbeitsbedingungen Habeck nach eigenen Worten bei seinem Treffen mit dem Scheich ansprach. Die katarische Seite habe gesagt, sie wisse, was zu tun sei: „Es ist inakzeptabel, dass Menschen hier in Armut leben und ausgebeutet werden." Katar sei das erste arabische Land, das einen Mindestlohn eingeführt habe, Arbeitnehmer müssten nicht mehr in der prallen Mittagshitze in der Hitze arbeiten. In dem Land leben nur etwa rund 300.000 Einheimische - aber fast zehnmal so viele Ausländer. Die allermeisten von ihnen kommen in den Wüstenstaat der Arbeit wegen.

Der Scheich übernimmt auch andere Rollen als die des vorsichtigen Reformers. Er ist ein wichtiger Vermittler für den Westen im Umgang mit den Taliban. Als die im vergangenen Sommer erneut die Macht in Afghanistan an sich rissen, half das Emirat bei der Evakuierung von Ausländern und afghanischen Ortskräften. Weil der Emir damit Verbindungen zu islamistischen Kräften unterhalten muss, ist er unter seinen Nachbarn im Nahen Osten eher isoliert. Eine Reihe von Nachbarstaaten unter Führung Saudi-Arabiens verhängten sogar mehrere Jahre eine vollständige Blockade gegen Katar. Auch Ägypten schloss sich an. Die Staaten hatten dem Emirat unter anderem Terrorunterstützung und zu enge Beziehungen zum schiitischen Iran vorgeworfen. Erst im vergangenen Jahr wurde der Konflikt unter Vermittlung der USA beigelegt.

Militärisch erzogen

Scheich Tamim wurde in Großbritannien erzogen und besuchte unter anderem die berühmte Militärakademie Sandhurst. Danach hatte er verschiedene Aufgaben im Emirat: Unter anderem war er Präsident des Nationalen Olympischen Komitees und stellvertretender Armeechef. Noch unter der Regentschaft seines Vaters trat 2005 eine neue Verfassung in Katar in Kraft. Sie sieht eine Beratende Versammlung vor, deren Mitglieder zu zwei Dritteln gewählt und zu einem Drittel vom Emir ernannt werden sollen. Im Oktober 2021 fanden erstmals Wahlen von zwei Drittel der Mitglieder statt. Parteien existieren nicht, gewerkschaftliche Aktivitäten unterliegen strengen Reglementierungen. Meinungs- und Pressefreiheit werden in der Verfassung garantiert, katarische Medien üben jedoch das, was man hierzulande Selbstzensur nennen würde. Ein kritisches Wort gegenüber dem Emir findet sich dort sehr selten.                                   

Oliver Stock


24.06.2022 | 12:07

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