Einer, der im Einzelhandel die Fundamente grundsätzlich erneuern will: Boris Hedde.



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Macher der Woche: Stadtretter Boris Hedde

„Das Weihnachtsgeschäft wird kritisch“, lautet die Vorhersage des Konsumforschers Boris Hedde. Allerdings will sich der Geschäftsführer des Kölner Instituts für Handelsforschung damit nicht abfinden. Er hat gemeinsam mit anderen die Initiative „Stadtretter“ ins Leben gerufen. In den ersten vier Monaten haben sich ihr bereits 400 Kommunen angeschlossen.

Erst läuft es nicht so, und dann kommt auch noch Pech hinzu. Die Zustandsbeschreibung trifft derzeit auf einige Branchen zu: Die Autohersteller und ihre Zulieferer, die die Veränderung in Richtung Elektromobilität zu spät erkannt haben.  Die Medienindustrie, die noch am ausschließlich linearen Fernsehen und Nachrichten auf Papier festhielt, als Netflix und Google bereits erfolgreichere Alternativen auf den Markt gebracht hatten. Und sie trifft auch auf die Einzelhändler zu, die noch ihre Sortimente im Regal schichteten, als Amazon bereits alles fixfertig nach Hause lieferte. In der Coronakrise wird jetzt in all diesen Branchen wie unter einem Brennglas sichtbar: Der Strukturwandel hat die Fundamente unterspült, und mit bloßen Ausbesserungsarbeiten am Geschäftsmodell ist es angesichts eines massiven Gebäudeschadens nicht getan.

Milliardenverluste im Einzelhandel

Einer, der im Einzelhandel die Fundamente grundsätzlich erneuern will, sitzt in Köln, ist Chef des Instituts für Handelsforschung und hatte mit zwei Kollegen zusammen eine so gute Idee, dass er in diesen Tagen mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier über das weitere Vorgehen verhandelte: Boris Hedde. Der 46jährige ist Mitgründer der seit Juli existierenden digitalen Plattform „Stadtretter“, auf der die Verantwortlichen aus Städten und Städtchen Ideen austauschen, wie der in die Krise geratenen innerstädtische Einzelhandel wieder so auf die Beine kommen kann, dass er zur Belebung der Innenstädte und nicht zu ihrer Verödung beiträgt. Dabei ist die Situation dramatisch: „Strukturwandel und Coronakrise summieren sich bundesweit auf einen Verlust von 40 Milliarden Euro für die Händler in den Innenstädten, 20 Milliarden davon allein im Fashionbereich“, hat Hedde errechnet. Und er sieht auch für die unmittelbare Zukunft eher schwarz als rosarot: „Der Druck auf den Einzelhandel ist ungebrochen. Das Weihnachtsgeschäft wird kritisch.“

Hedde ist allerdings das Gegenteil eines Pessimisten. Als studierter Sportwissenschaftler, ins Wechselbad der Gefühle getauchter FC-Köln-Fan und als bekennender passiver Karnevalist, der in dieser Session nichts zu lachen hat, kennt er sich ganz privat aus mit den Wechselbädern, die das Leben bereithält. Seine Lösungen sind keine kurzen Bastelanleitungen, sondern entstehen in mühevoller Kleinarbeit. Wie zum Beispiel bei den „Stadtrettern“. Das Portal ist gedacht, als Austauschplattform für Ideen dazu, wie es gelingen kann, Innenstädte attraktiv zu gestalten. Vor vier Monaten ist es gestartet, bereits jetzt haben sich mehr als 400 Kommunen darauf registriert – eine Erfolgsgeschichte also. „Überall, wo sich jemand der Sache annimmt, passiert auch etwas“, sagt Hedde und es ist nicht ausgeschlossen, dass er sich selbst damit beschreibt. Es komme, fügt er dann aber hinzu, in den Innenstädten auf das Zusammenspiel von Kommune, Immobilienwirtschaft, Kultur und Handel an.

Einzelhändler denken um

Er nennt damit die Zutaten, die aus seiner Sicht zur Lösung der Krise beitragen können: Eine Kommune, in der sich jemand kümmert. Immobilien, deren Preis der Entwicklung im Einzelhandel Rechnung trägt. Kultur und Gastronomie, die nicht erst kommt, wenn der Einzelhandel für Frequenz sorgt, sondern, die von sich aus so attraktiv ist, dass sie dem Einzelhandel Frequenz bringt. Und schließlich der Handel selbst, der zumindest eine Veränderung bereits vollzogen hat: „Die Strategie der Einzelhändler hat sich geändert“, stellt Hedde fest, „von produktorientierte Denke zu kundenorientierter Denke.“ Offenbar, so viel hat der Austausch der „Stadtretter“ untereinander bisher ergeben, hilft ein gemeinschaftliches Bespielen der Innenstädte bei der Wiederbelebung des Patienten. So wie in Paderborn: Dort zog die Uni in ein leerstehendes Warenhaus, was die Gastronomen rechts und links außerordentlich erfreute.

Fondslösungen, bei denen Kommunen letztlich mit Steuergeld einspringen, leerstehende Immobilien anmieten und günstig weitergeben, hält Hedde allenfalls für eine Überbrückungshilfe in Corona-zeiten. Auf Dauer müsste die Organisation der Innenstädte privatwirtschaftlich gesteuert bleiben, meint er und argumentiert damit auf der gleichen Linie, wie der Wirtschaftsminister. Allerdings bedarf es eben der Kümmerer vom Schlage eines Stadtretters wie Hedde. Innenstädte, sagt er, sollten gesellschaftliche Mittelpunkte bleiben. Es gehe darum, die Abwärtsspirale zu durchbrechen.

oli



 




23.10.2020 | 12:35

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