(Bild: picture alliance/dpa/FDP/instagram | Volker Wissing)



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Lindner und Habeck: Ist doch egal, wer unter ihnen Kanzler wird

Christian Lindner und Robert Habeck verstehen sich gut und sind eine Generation. Neben ihnen sieht jeder Kanzler alt aus. Das Machtzentrum im politischen Berlin hat sich Richtung gelb-grün verschoben. Das erinnert an längst vergangene Zeiten.

In der ersten Woche nach der Wahl hat sich das Machtzentrum in Berlin erkennbar verschoben. Es liegt nicht mehr im Konrad-Adenauer- oder Willy Brandt Haus, sondern es entsteht auf der Achse zwischen den Parteizentralen von Liberalen und Grünen. Das Duo Christian Lindner und Robert Habeck ist dabei, das politische Gefüge der Bundesrepublik, das mehr als 70 Jahre Bestand hatte, aufzubrechen. Während Olaf Scholz die rot-rot-grüne Option als Druckmittel verloren hat, während die Union wie ein Airbag nach dem Unfall schlapp danieder hängt und in internen Machtkämpfen verglüht, während Annalena Baerbock als Gefangene eine Genderdebatte Kanzlerkandidatin wurde und es vermasselt hat, verbünden sich Habeck und Lindner, um die neuen Leitplanken der Politik für die nächsten Jahre einzurammen. Selbstbewusst greifen sie nach der Macht und erinnern dabei an ein ähnliches Politikduos, das sich in der Vergangenheit aufmachte, die Geschicke des Landes zu ändern.

Habeck spielt dabei seine Rolle als Philosoph, Menschenfreund und grüner Weltveränderer. Er ging 2002 zu den Grünen, und weil gerade niemand anders Lust hat, wird er prompt Kreisvorsitzender, zwei Jahre später Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein. Noch einmal fünf Jahre später übernimmt er den Fraktionsvorsitz im Kieler Landtag. Habeck war Agrar- und Umweltminister sowie Vize-Ministerpräsident einer Jamaika-Koalition in seinem Bundesland. Seit 2018 ist der 51-Jährige zusammen mit der einst von ihm geschätzten Annalena Baerbock Bundesvorsitzender der Grünen. Inzwischen ist das Verhältnis zwischen beiden abgekühlt. Manche sagen sogar frostig.

Habeck, der Sohn eines Apothekers aus der Buddenbrook-Stadt Lübeck hatte ein Leben vor der Politik. Als Doktor der Philosphie schreibt er gemeinsam mit seiner Frau Andrea Paluch Romane: „Hauke Haiens Tod“, „Ruf der Wölfe“ sind solche Werke, die sich knapp unter der Bestseller-Grenze gut verkaufen. Auch ein Buch über sein Verhältnis zu Deutschland ist dabei, dass seine Kritiker aufscheucht. „Patriotismus. Ein linkes Plädoyer“ heißt es und darin schreibt Habeck im Jahr 2010: „Patriotismus, Vaterlandsliebe also, fand ich stets zum Kotzen. Ich wusste mit Deutschland nichts anzufangen und weiß es bis heute nicht. Er wirbt stattdessen für einen Verfassungspatriotismus, für das Gemeinwohl. Wenn er jetzt Vizekanzler werden sollte, werden diese Sätze erneut nachhallen. Habeck wird es überstehen. „Ich bin frei von Angst“, sagt er in einem Interview. „Ich hatte ein Leben vor der Politik, und ich weiß darum, dass es auch ein Leben nach der Politik geben kann. Das gibt mir eine innere Freiheit.“

Habeck steht für eine neue Generation der Grünen. Mit Joschka Fischer, Jürgen Trittin, Renate Künast oder Claudia Roth hat er noch das Parteibuch gemeinsam, ansonsten ist er aber eher ein Darsteller eines grünen Politikers, als ein durch und durch beseelter Grüner. Das muss nicht schlecht sein, weil es die Begegnung mit Nicht-Gleichgesinnten erleichtert. Zum Beispiel mit Christian Lindner.

Der Lehrersohn aus Wermelskirchen im Bergischen Land tritt als 18-Jähriger in die FDP ein. Zwei Jahre später sitzt er im Mai 2000 als jüngster Abgeordneter aller Zeiten im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Parteichef Jürgen Möllemann verpasst ihm damals den Spitznamen „Bambi“. Aus diesen Jahren existiert ein Comedy-reifer Film im Netz, in dem der gerade volljährige Lindner am Steuer eines Mercedes über sein „Business“ als Unternehmensberater doziert. „Probleme sind dornige Chancen“ sagt er und lacht heute selbst darüber. Das Unternehmen fuhr gegen die Wand, Lindner aber machte Karriere.

2009 macht ihn der damalige Bundesvorsitzende Guido Westerwelle zum jüngsten Generalsekretär der FDP – Lindner ist 30 Jahre alt. Doch es nützt nichts: Das Wahlvolk schmeißt die FDP und ihren Parteichef Philipp Rößler 2013 einfach aus dem Bundestag. Lindner wird Parteivorsitzender und nutzt geschickt seine Rolle als Abgeordneter im Düsseldorfer Landtag, um von hier aus Bundespolitik zu machen. Er allein ist es, der die Liberalen zurück in den Bundestag führt - allerdings 2017 dann doch nicht in die Regierung. Die Koalitionsverhandlungen damals lässt er platzen und Deutschland bekommt erneut die ungeliebte große Koalition. Neben Linder kommt in der Partei erstmal eine ganze Weile nichts, was dazu führt, dass selbst Lindners Fehler ihm keiner aus den eigenen Reihen lautstark ankreidet. Zum Beispiel als er nur zeitverzögert, dem Thüringer Spitzenkandidaten riet, sich nicht von der AfD zum Ministerpräsidenten wählen zu lassen. Er steht für Liberalismus als ein Modell, in der die Menschen Verantwortung für sich selbst übernehmen. Die Digitalisierung von Verwaltungsabläufen ist ein FDP-Thema. Wenn Habeck für Nachhaltigkeit steht, dann Lindner für Digitalisierung.

Beide haben sie noch in der Wahlnacht die Koalitionsverhandlungen auf den Kopf gestellt. Nicht mehr die Union oder die SPD sondieren, sondern Lindner und Habeck telefonieren und verabreden, die Koalitionsgespräche zunächst unter sich zu führen. Baerbock ist zu diesem Zeitpunkt allenfalls noch die Nummer zwei in ihrer Partei. Habeck hat sie rechts überholt und soll nun Vizekanzler werden. Er duzt den Christian und Christian duzt den Robert. Sie sind die Polit-Ikonen einer neuen Generation, und damit so etwas wie 1966, als Franz-Josef Strauß als Finanzminister und Karl Schiller als Wirtschaftsminister ein Duo bildete. Die beiden überstrahlten schnell den schwachen Kanzler jener Jahre, der damals Kurt Georg Kiesinger hieß, und beide brachten mit dem gemeinsamen Projekt einer aktiven Konjunkturpolitik tatsächlich neuen Schwung ins Land.

Oliver Stock

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30.09.2021 | 09:11

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