Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident und CSU-Parteivorsitzender: „Wir müssen in Deutschland überhaupt mal überlegen, was unsere Interessen und Ziele sind.“ (Foto: Picture Alliance - Sven Simon)



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Markus Söder: „Wir geraten international in immer mehr Abhängigkeiten“

Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder über die Beziehungen des Freistaats zu Großbritannien, den USA und China, die Grünen als neuen Hauptkonkurrenten und warum es jetzt Zeit wird für eine große Autooffensive.

Wirtschaftskurier: Herr Söder, im Januar haben sich die Briten aus der Europäischen Union verabschiedet, der Brexit ist da. Und Sie suchen genau jetzt für Bayern nach einem Büro in London.

Markus Söder: Einen besseren Zeitpunkt als jetzt gibt es gar nicht. Wir werden erhebliche wirtschaftliche Nachteile durch den Brexit haben, denn Großbritannien ist einer unserer wichtigsten Exportpartner. Und gerade weil es unabsehbar ist, wie die Anbindung Großbritanniens an Europa auf Dauer aussehen soll, ist es wichtig, dass Bayern in London präsent ist. Wir wollen ein Büro als Brückenkopf für unsere bayerische Wirtschaft.

Wenn die Schotten und die Nordiren nach einem Unabhängigkeitsreferendum in die EU wollten, würden Sie dann den Daumen heben oder senken?

Beide sind, wenn sie in die EU wollen, herzlich willkommen. Wir müssen ohnehin schauen, dass wir die richtigen neuen Partner finden und nicht zu viele Partner verlieren. Ich wäre auch sehr dafür, dass wir im Westbalkan die Perspektive setzen – aus Sicherheitsgründen und für einen großen funktionsfähigen Binnenmarkt.

Als Exportmarkt für Bayern noch wichtiger als Großbritannien sind die USA. Wäre es nicht angebracht, auch den USA endlich mal einen Besuch abzustatten? Seit 15 Jahren war kein bayerischer Ministerpräsident mehr dort. Der letzte, der die USA bereiste, hieß Edmund Stoiber. Franz Josef Strauß war offenbar alleine in seiner Zeit als Ministerpräsident neun Mal in den USA, insgesamt als Politiker sogar 32 Mal.

Als Finanzminister war ich öfters dort, sowohl im Silicon Valley als auch in New York. Insofern habe ich eine enge Bindung zu den USA. Das Problem ist, dass der Kontakt mit der Politik in den USA heute schwieriger geworden ist. Gleichwohl will ich im April in die USA reisen. Dabei werden wir ein Programm zusammenstellen, das wirtschaftlich, wissenschaftlich und politisch interessant ist. Wir brauchen einen sehr engen Draht zu den Amerikanern. Aber ich gebe zu: Zu Zeiten von Franz Josef Strauß war das Verständnis größer und die transatlantische Gemeinschaft stärker.

Auch China ist von enormer Bedeutung für die weiß-blaue Wirtschaft. Sie haben sich dafür ausgesprochen, das chinesische Telekommunikationsunternehmen Huawei trotz Spionage-Vorwürfen nicht von den Vergaben für 5G-Technik auszuschließen.

Natürlich gibt es erhebliche Bedenken – und die muss man mehr als ernst nehmen. Aber in so einer Frage muss man klug vorgehen: Zunächst einmal müssen wir für uns die Sicherheitsstandards definieren, die wir im 5G-Netz wollen. Dann gilt es zu schauen, ob die Unternehmen, die die Technologie dafür liefern, auch belastbare Sicherheitszusagen geben können.

Die USA erwarten etwas anderes von uns...

Es gibt intensivste bayerisch-chinesische, aber auch deutsch-chinesische wirtschaftliche Beziehungen. Ein politischer Ausschluss von Huawei hätte eine Rückwirkung. Deswegen plädiere ich dafür, dass wir im Verhältnis zu China immer klar unsere Werte definieren, aber gleichzeitig auch eine vernünftige Gesprächskultur erhalten. Ein einfaches Ausgrenzen von China halte ich für falsch.

Das China von heute ist schwer mit dem der 70er oder 80er Jahre zu vergleichen. Braucht es inzwischen nicht einen neuen, einen anderen Umgang?

Das Wichtigste wäre, dass wir in Deutschland überhaupt mal überlegen, was unsere Interessen und Ziele sind. Das Kernproblem besteht doch darin, dass wir international in immer mehr Abhängigkeiten geraten. Wir sind abhängig von den Amerikanern in der Sicherheitsfrage, wir sind abhängig von den Russen in der Energiefrage, wir sind abhängig von China in der Wirtschaftsfrage und, wenn wir ehrlich sind, auch von der Türkei in der Migrationsfrage. Die Aufgabe ist, endlich zu definieren, was denn unsere europäischen Interessen sind.

Und Bayern?

Für Bayern heißt das, Brückenbauer zu sein. Das bedeutet, klassische Diplomatie zu beleben, anstatt nur große Politikshow zu machen. Im Gespräch zu bleiben, anstatt nur zu belehren. Die Politik von Angela Merkel ist richtig, mit vielen Gesprächen und kleinen Schritten Verbesserungen zu erreichen. Reden ist die Grundvoraussetzung. Wer redet, der schießt nicht.

Großbritannien, die USA und China sind auch für Bayerns Autoindustrie von enormer Bedeutung, die vor enormen technologischen Herausforderungen steht. Wie groß ist Ihre Angst vor Bremsspuren in Bayern?

Es wird zu Veränderungen kommen, aber Angst ist ein schlechter Ratgeber. Man muss das als Herausforderung verstehen, nur so kann man gewinnen. Wir müssen die geistige Blockade lösen. Es ist doch absurd, dass alle über Tesla-Gründer Elon Musk jubeln und gleichzeitig die eigenen Autos schlechtreden. Wir brauchen Vorfahrt für das Wohlstandsmodell Auto. Und wir brauchen einen Innovationssprung, der viel größer ist als bislang. Mir sind die bisherigen Automobilstrategien auf nationaler Ebene zu wenig. Nur mit ein paar Ladesäulen oder ein paar Ermäßigungen für Elektroautos kommen wir nicht voran.

Wie dann?

Wir müssen in größerem Stil denken. Wir brauchen eine echte Autooffensive – im Geist, beim Geld und in den Entscheidungen. Elektromobilität und alternative Antriebe müssen in den Innenstädten Vorrang bekommen. Wir müssen die Zulassungsverfahren in Deutschland für unsere Kraftfahrzeuge deutlich beschleunigen. Ich höre immer wieder von den Automobilbauern, wie lange es dauert, bis innovative und für den Weltmarkt wichtige Modelle, die bei uns eigentlich genehmigungsfähig wären, in Deutschland zugelassen werden. Und fragwürdige Entscheidungen wie die, die nationale Batterieforschung ausgerechnet in Münster anzusiedeln, wo weit und breit keine namhaften Automobilhersteller sitzen, sollten wir in Zukunft ändern. Deswegen müssen die Autoländer mehr Einfluss bekommen.

Nun stellt die CSU seit mehr als zehn Jahren den Bundesverkehrsminister…

...Das Bundesverkehrsministerium hat seit langer Zeit entsprechende Vorschläge gemacht. Klimaschutz und CO2-Reduktion sind zentrale Zukunftsaufgaben – und dabei ist der Diesel nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung. Zugleich muss man aber auch klar sagen, dass leider die Automobilindustrie selbst ihren Beitrag geleistet hat, dass die Situation heute so ist, wie sie ist. Es hat schon einen Grund, dass bei den Autokonzernen heute kein einziger Vorstandsvorsitzender von vor zwei Jahren noch im Amt ist. Und auch der Verband der Automobilhersteller organisiert sich derzeit grundlegend neu. Nun braucht es einen Innovationssprung – zu neuen Motoren, neuen Antrieben, neuen Modellen. Es geht um Technologieweltführerschaft. Die zu halten, das geht nicht von selbst. In der Champions League zu bleiben ist okay, aber sie immer gewinnen zu wollen, das ist anstrengender als alles andere.

Der Druck auf den Standort Bayern nimmt auch von einer anderen Seite zu: Spätestens Ende nächsten Jahres wird das Kernkraftwerk „Grundremmingen C“ und Ende übernächsten Jahres „Isar 2“ vom Netz gehen. Teilen Sie die Zuversicht Ihres Wirtschafts- und Energieministers Hubert Aiwanger, dass nirgends das Licht ausgeht und dass auch die Energiepreise nicht absurde Höhen annehmen?

Ich hoffe, dass es so sein wird. Natürlich wagen wir in Deutschland gerade ein gewaltiges Zukunftsexperiment: Kein anderes Land der Welt steigt gleichzeitig aus zwei Energieträgern, Kernkraft und Kohle, aus. Wir haben bislang noch keinen ausreichenden Ersatz. Das Modell, das Deutschland derzeit hat, lautet: Wir wollen zwar zu 100 Prozent Öko-Strom herstellen, aber wir produzieren weniger Strom in Deutschland als früher und den Rest müssen wir importieren. Ich plädiere für eine neue Form der Ehrlichkeit: Wenn wir am Ende nur AKW-Strom aus anderen Ländern importieren, dann ist das keine gute Energiepolitik. Wir müssen schauen, dass neben der Versorgungssicherheit auch die Preissicherheit gewährleistet bleibt. Wir brauchen dringend einen Neustart im Energiekonzept in Deutschland.

Wie soll der aussehen?

Wir brauchen eine Beschleunigung des Netzausbaus, und zwar so bürgerverträglich, wie es nur geht, aber beschleunigt. Wir brauchen eine sinnvolle Alternative für Gaskraft – wir haben Gaskraftwerke, die können auch mit „grünem“ Wasserstoff betrieben werden. So könnten wir die Versorgungssicherheit auf Dauer gewährleisten und verhindern, dass zwei Preiszonen zwischen Nord und Süd entstehen. Und wir müssen weiter EEG-Umlage und Stromsteuer senken. Die Preise sind nicht mehr wettbewerbsfähig, um auf Dauer Industriestandort bleiben zu können.

Es werden Stimmen laut, die anstatt von Kohle- und Gaskraftwerken wieder mehr Atomkraft fordern…

Es ist das Privileg jeder neuen Generation, die Dinge für sich neu zu bewerten. Die Frage ist, was man am Ende als entscheidend ansieht. Ich glaube, dass der Klimaschutz die große ethische Aufgabe und Bewährungsprobe unserer Generation sein wird. Und jeder, der glaubt, das Thema hätte sich bald wieder erledigt, der täuscht sich. Vor dem Klimawandel die Augen zu verschließen wäre unsittlich und unmoralisch. Die Kunst ist nun, das richtige Konzept zu entwickeln, damit der Klimawandel nicht automatisch zu Wohlstandsverlust führt.

Ihre Lösung?

Die einen sehen die Lösung alleine im Verzicht, ich sehe sie vor allem in der Innovation. Wir müssen auf der einen Seite die natürlichen CO2-Speicher wie Wald und Moore weiterentwickeln. Aber auf der anderen Seite steht die Innovation. Denn eine Weltbevölkerung, die wächst, wird mit Verzicht wenig anfangen können. Und Innovation funktioniert: In Deutschland haben wir das Waldsterben mit Katalysatoren behoben. Es geht besser mit Technologie. Die muss man fördern – und zwar mit mehr Geld als bislang. Wir haben in Bayern mit der Hightech Agenda bewusst einen Akzent gesetzt auf Cleantech. Da kann Deutschland noch mehr leisten.

Wie wird der Klimawandel Bayern verändern?

Bayern wird südländischer werden. Wir werden wegen des Klimawandels unsere Wälder umbauen müssen. Und natürlich wird sich auch die Landwirtschaft weiterentwickeln. Dabei werden wir helfen.

Gegengesteuert wird in Berlin durch allerhand Maßnahmen. Eine davon ist das Klimapaket, das CO2 teurer macht – also vor allem herkömmliches Autofahren und Heizen. Warum soll ausgerechnet jetzt klappen, was zuvor mit der Ökosteuer nicht geklappt hat?

Der Unterschied zwischen Steuern und Emissionshandel ist, dass mit Zertifikaten auf Dauer tatsächlich der Verbrauch bepreist wird. Am Anfang hat es zwar noch eine ähnliche Wirkung wie eine Steuer, weil man die Korridore festsetzt, aber mit der Zeit ändert sich das und es entsteht ein ganz anderes Bewusstsein. Sinn machen die Korridore, weil sie Zeit geben für die notwendige technologische Innovationsleistung. Ich halte das für ein seriöses Konzept. Parallel dazu gibt es Entlastungen wie die Förderung beim Umstieg auf umweltfreundlichere Heizungen und die Reduktion der EEG-Umlage.

Hat die Bundespolitik damit ihre Schuldigkeit getan?

Es wird sich noch so viel ändern, dass die Maßnahmen, die wir jetzt beschließen, eher der Anfang sind. Das muss jedem klar sein. Wenn sich die schlimmsten Klima-Prognosen nur im Ansatz bewahrheiten sollten, dann werden noch ganz andere Maßnahmen beschlossen werden müssen. Und zwar nicht nur bei uns, sondern in der ganzen Welt. Und wenn das alles nicht so stattfindet, dann haben wir zumindest einen Beitrag geleistet, unser regionales Klima zu schützen. In beiden Fällen ist das also eine vernünftige Sache.

Kein anderes Industrieland besteuert so hoch wie Deutschland. Ihre Partei hat von Wahlkampf zu Wahlkampf versprochen, die Steuern signifikant zu senken.

Wir haben eine vernünftige Erbschaftsteuer auf den Weg gebracht und so verhindert, dass die zu einem echten Exit für mittelständische Familienbetriebe wird. Wir haben eine Regionalisierung der Grundsteuer auf den Weg gebracht – und so verhindert, dass es zu einer explosionsartigen Entwicklung der Steuern für Grund- und Hausbesitzer, aber auch für die Mieter kommt. Der Soli wird für über 90 Prozent der Zahler abgebaut. Noch nicht für alle, aber das ist auch eine Riesenentlastung. Dass es nicht reicht, liegt am internationalen Wettbewerb. Es braucht also eine Senkung der Unternehmensteuer auf ein internationales WettbewerbsmaІ, weil auch Frankreich und die USA ihre Steuern stark gesenkt haben. Wir brauchen eine Senkung der Stromsteuer, um die Energiepreise zu stabilisieren. Und wir brauchen eine dringende Lösung für die Nullzinsthematik. Denn das ist finanziell wie emotional für viele Menschen, die nur kleine Vermögen haben, eine echte Belastung. Zudem führt die Nullzinspolitik am Ende zu einem Verdorren unserer Sparkassen und Genossenschaftsbankenkultur im ländlichen Raum.

Welche Relevanz für die Zukunft sehen Sie in den Grünen? Und welche Rolle wird die AfD in Zukunft spielen?

Die nächste Regierung wird nach heutigem Ermessen entweder Schwarz-Grün oder Grün-Rot-Rot sein. Insofern dreht sich alles mehr oder weniger um die Grünen. Sie sind damit unser neuer Hauptkonkurrent – denn der Platz eins im politischen Spektrum wird mit den Grünen ausgefochten. Feind bleibt die AfD – weil sie die demokratische Grundsubstanz kontaminiert.

Wie interessant ist in diesem Zusammenhang das Modell Österreich?

Man wird am Ende sehen, was das Modell Österreich bringt, auf das viele jetzt hoffen. Auffällig ist, dass die österreichischen Grünen vieles beschlossen haben, das für die Grünen in Deutschland völlig undenkbar wäre – von Abschiebehaft bis zum Kopftuchverbot für Kinder unter 14 Jahren. Stattdessen fordern deutsche Grüne, wie unlängst in Hamburg, Vermummungsverbote aufzuheben, Drogen freizugeben oder Schwarzfahren zu erlauben. Eines darf man bei Österreich auch nicht übersehen: Es ist ein kleineres Land. Es hat weniger Einwohner als Bayern. Deswegen geht manches leichter.

09.04.2020 | 11:32

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