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Mehr Strom aus Kohle: Deutsche Energiewende dreht plötzlich um

Weil in diesem Jahr weder der Wind kräftig geblasen, noch die Sonne ausreichend geschienen hat, ist Kohle wieder Deutschlands wichtigster Energieversorger. Das stellt die Pläne zur Energieversorgung auf den Kopf, lässt die Gefahr eines Blackouts steigen und erhöht kurzfristig die Kohle- und Gaspreise.

Die Energiewende in Deutschland hat sich in diesem Jahr umgekehrt: Von einer Energieerzeugung, die sich im ersten Halbjahr 2020 schon mehrheitlich auf erneuerbare Energieträger verlagert hatte, ist sie im ersten Halbjahr 2021 wieder deutlich zurückgeschwenkt: Statt knapp 52 Prozent des verbrauchten Stroms stammten nur noch 44 Prozent aus erneuerbaren Quellen. Der deutlich größere Teil kam aus Kohle, Kernenergie und Erdgas. Unter diesen drei Energieträgern machte die Kohle mit 27 Prozent den stärksten Anteil aus. Kohlekraftwerke sind die mit Abstand größten Erzeuger des klimaschädlichen Gases CO2.

Die Daten stammen vom Statistischen Bundesamt. Sie sind vor dem Hintergrund brisant, dass die Parteien mit Blick auf das Hochfahren alternativer Energieträger mehrheitlich vor rund zehn Jahren zunächst den Atomausstieg und im vergangenen Jahr den Ausstieg aus der Kohleverstromung beschlossen haben. Zudem wurde unter den Parteien bis vor zwei Monaten kontrovers über die Fertigstellung der Gaspipeline Nordstream II diskutiert. Die Grünen hatten dazu aufgerufen, einen Appell gegen die Fertigstellung zu unterzeichnen, weil die Pipeline „eine Wette gegen die europäischen Klimaziele“ sei und niemals realisiert werden dürfe. Die Pipeline ist inzwischen fertig gestellt. Einer Inbetriebnahme stehen allerdings noch EU-Regeln im Weg, die eine Entflechtung zwischen Gaslieferanten und Pipeline-Betreibern verlangen. Die Union hatte im Wahlkampf in der vergangenen Woche ebenfalls ein Konzept vorgestellt, wonach Deutschland so schnell wie möglich seinen Stromhunger aus erneuerbaren Energien stillen soll.

Durch das schrittweise Abschalten der Kraftwerke, die mit fossilen Energieträgern arbeiten, erhöht sich das Risiko eines Blackouts – also eine totalen Stromausfalls – deutlich, wenn die alternativen Energiequellen gerade nicht liefern können. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz in Bonn hat deswegen in seiner aktuellen Übersicht die Wahrscheinlichkeit, dass in Deutschland eine durch einen Stromausfall verursachte Katastrophe eintritt, höher als jede andere Gefahr bewertet. Auch die Schäden bewerten die Bevölkerungsschützer höher als beispielsweise einer neuerlichen Pandemie oder von Regenfluten, wie sie im Hochsommer Westdeutschland heimsuchten. Das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag warnt seit Jahren vor einem Blackout: „Die Folgenanalysen haben gezeigt, dass bereits nach wenigen Tagen im betroffenen Gebiet die flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen nicht mehr sicherzustellen ist. Die öffentliche Sicherheit ist gefährdet, der grundgesetzlich verankerten Schutzpflicht für Leib und Leben seiner Bürger kann der Staat nicht mehr ge- recht werden.“

Derzeit führt der flauten- und regenbedingte bedingte Rückgang der Produktion von Strom aus Sonnen- und Windenergie aber zunächst zu steigenden Preisen bei Gas und Kohle. Besonders die Versorgung mit Gas bereitet den Experten Kopfzerbnrechen. Die Vorräte sind vor Beginn der Heizperiode jetzt Ende September viel zu knapp. Nach Angaben des Vergleichsportals Verivox haben 32 regionale Gasanbieter für September und Oktober Preiserhöhungen von durchschnittlich 12,6 Prozent angekündigt. Beim Beheizen eines Einfamilienhauses führe das zu Mehrkosten von 188 Euro im Jahr. Allein zwischen Januar und Juli betrug der Anstieg der Importpreise, die vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ermittelt werden, rund 42 Prozent.

Ähnlich sieht es bei Kohle aus. Der Weltmarktpreis für Kohle hat sich seit September 2020 auf zwischenzeitlich bis zu 177 Dollar pro Tonne mehr als verdreieinhalbfacht. Das ist der höchste Preis seit zehn Jahren. Damit ist der Rohstoffpreis für Kohle deutlich stärker gestiegen als die beiden bisher am stärksten wachsenden Vermögensklassen: Immobilien und Aktien. Unterbrechungen bei der Lieferkette, eine Dürre in China und vor allem der höhere Energiebedarf aufgrund des Wiederanziehens der globalen Konjunktur haben den Kohlepreis nach oben schnellen lassen und „einen der weltweit unbeliebtesten Rohstoffe zu einer der besten Anlagen gemacht“, stellen britische Rohstoffhändler fest.

Oliver Stock

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21.09.2021 | 09:37

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