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Milliarden im Schlaf verdienen

Der menschliche Schlaf ist einer der wenigen, nicht kommerzialisierten Lebensbereiche. Das ändert sich gerade.

Von Anke Henrich

Haben Sie gut geschlafen in der Nacht vom 19. auf den 20. März? Nein? Sollten Sie aber: Das war der World Sleep Day, der Tag des Schlafes.

Dafür sind Sie als Kurzschläfer aber Teil einer großen Gemeinschaft. Die Deutschen sind müde. Sehr müde. 80 Prozent der Deutschen schlafen schlecht, fünf Millionen leiden unter krankhaftem Schlafmangel. Seit der Covid-19 Pandemie wälzen sich noch mehr Kinder, Jugendliche und Erwachsene die halbe Nacht von links nach rechts. 54 Prozent wachen morgens gerädert auf. Weniger Fahrten zur Arbeit, Home Schooling und Medienkonsum bis in die Puppen seien die Gründe, so eine Studie.

Des einen Leid, des anderen Freud: StartUps, Mittelständler und Weltkonzerne verdienen damit Milliarden in Deutschland. Tendenz: steil steigend. Nachdem über die vergangenen Jahrzehnte erst der vermeintlich selbstverständliche Feierabend-Drink, dann die kommunikativen Zigaretten und seit einigen Jahres ungesundes Essen abgeräumt wurde, wird jetzt der Schlaf optimiert.  
Selbst Matratzen werden digitalisiert. Echte Hilfe und teurer Tand gehen dabei oft Hand in Hand.  Nicht nur der Schlafmediziner Christoph Schöbel, Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums der Uniklinik Essen, sieht das kritisch: „Das in Leistungsgesellschaften häufig vorzufindende chronische Schlafdefizit beziehungsweise stressbedingte Schlafstörungen werden ökonomisch ausgenutzt von kommerziellen Ein- und Durchschlafhilfen.“ Nicht umsonst wird diese Industrie Sleeponomics genannt.

Smarte Nächte


Weich, mittel, hart - das war einmal. Matratzen können jetzt auch smart. Oder wie es Dennis Schmoltzi, CEO und Gründer des Matratzenherstellers Emma, euphorischer formuliert: „Mit der Emma Motion heben wir die Art zu schlafen auf ein neues Level, denn diese smarte Matratze passt sich während der gesamten Nacht an die individuellen Schlafpositionen an.“ Künstliche Intelligenz soll mit Hilfe von 360 Sensoren und in Echtzeit unterschiedliche Schlafpositionen erkennen, ‚Silent Move IQ Technologie‘ soll sicherstellen, dass sich die verkabelte Matratze durch Kompression und Dekompression an jeden Positionswechsel anpasst. Selbstredend kommt die 2500 Euro teure Schlafstätte mit eigener App. Emma hat in der Corona-Krise den gesamten Umsatz um 170 Prozent auf 405 Millionen Euro gesteigert. Gewinn im zweistelligen Bereich. Mehr sagt das Unternehmen, übrigens im Besitz des Familienunternehmens Haniel, nicht.

Wenn schon kein Urlaub, dann wenigsten den Schlaf der Gerechten. Darüber grübelte mancher zwischen drei und vier Uhr in der Nacht und investierte seine Reisekasse ins eigene Wohlbefinden.

Wo es mit KI und Daten Geld zu verdienen gibt, ist Google nicht weit. Gerade eben verkündeten der Konzern, sein neuer „Nest Hub2“, sorge nun per Radarüberwachung auch für besseren Schlaf. KI, ein Temperatursensor, ein Mikrofon und ein ins Display eingebauter Miniradar sollen es möglich machen. Dafür muss das bettnahe Gerät den Schlafenden anpeilen. Am Morgen liefert der kleine Datenanalyst dem Schläfer dann seinen Erkenntnisgewinn über die vergangene Nacht. Allein, besser schlafen wird der dadurch noch nicht.

Mediziner finden die neue Aufmerksamkeit für eine erholsame Nachtruhe dennoch erfreulich. So wie Dr. Alfred Wiater: „Das Thema hat zuvor in der gesellschaftlichen Diskussion eine untergeordnete Rolle gespielt, obwohl Schlafstörungen eine hohe gesellschaftliche Relevanz haben - beispielsweise bei den vielen Unfällen durch Übermüdung und Sekundenschlaf. Schlafstörungen haben aber auch körperliche Folgen, wie z.B. Herz- Kreislauf- und Stoffwechselstörungen“. Der Somnologe der Gesellschaft für Schlafmedizin (GSM) warnt eindringlich: „Im psychischen Bereich kommt es gehäuft zu Depressionen und Angststörungen. Länger anhaltende Schlafstörungen im Alter erhöhen das Risiko für dementielle Erkrankungen.“

Diese Störungen verstärken sich nicht nur wegen der Pandemie. „Ursächlich sind sie die Folgen der globalen Digitalisierung, die eine 24/7-Gesellschaft generiert, ohne Rücksicht auf den individuellen täglichen Schlafbedarf und den von unserem inneren Uhrensystem vorgegebenen Schlaf-wach-Rhythmus“, schilt der Mediziner.

Auch teure Fitness- und Schlaftracker boomen. Rund 26 Prozent der Deutschen nutzen sie, so der Digitalbranchen-Verband Bitkom. Meist muss das Smartphone nahe dem Kopfkissen schlummern, um über die Bewegungen der Matratze oder nächtliche Geräusche Länge und Qualität der Nachtruhe als schicke Grafik auszuweisen. So verdienen die Anbieter viel Geld im Schlaf.

Doch all' die Müh’ und all’ die Kosten können auch zum gegenteiligen Ergebnis führen. Der Daten-Freak schläft nicht besser, sondern schlechter, warnt Christoph Schöbel. „Eine zu starke Beschäftigung und Vermessung des Schlafes durch Apps, Wearables und Co. weckt Erwartungshaltungen, die wider der Natur des Schlafes sind.“ Auch das Thema Datensicherheit treibt ihn um: „Was mit unseren Daten passiert, die einige Apps und Schlaftracker an internationale Tech-Konzerne senden, können wir bestenfalls erahnen“.

So speichert die beliebte Mediations- und Schlaf-App Headspace - während Corona verdoppelten sich die deutschen Downloads  - die Nutzerdaten in den USA. Unter den geruhsameren Datenschutzauflagen als in Europa und mit freundlicher Weiterleitung an Facebook und Google. Das gilt auch für die gerade gehypte App Endel, die ihre User mit Hilfe sanfter Klänge in den Schlaf wiegen will. „Zudem ist bei den meisten auf dem Markt verfügbaren Trackern völlig unklar, ob sie in der Tat das messen, was sie vorgeben – denn häufig fehlt ein wissenschaftlicher Abgleich gegen den medizinischen Standard der Schlaflabormessung“, sagt Schöbel. Qualitätsgeprüft ist einzig die verschreibungspflichtige App „Somnio“ für Menschen mit schweren Schlafstörungen. Weil sie aufgrund ihrer wissenschaftlich fundierten Methoden aus der Schlafmedizin eine der neuen sogenannten Digitalen Gesundheitsanwendungen ist, tragen die Krankenkassen die Kosten.

Von Pillen und Pulvern

Vor den Tresen der Apotheke stehen die Unausgeschlafenen Schlange. Die Nachfrage steigt seit Corona sowohl bei verschreibungspflichtigen Medikamenten als auch bei der Selbstmedikation. Gerade bei den frei verkäuflichen Produkten rollt der Rubel. Nur Senioren und Ärzte orderten mehr Medikament per Rezept als gegen Bares. Bei Managern und Schichtarbeitern kaufen jeweils zwei Drittel ihre Schlafhelfer selbst. Bei Eltern sind es verständliche 90 Prozent und bei Jugendlichen erschreckende 78 Prozent.

Harte Schlafmittel, meist Benzodiazepine, sind aus gutem Grund verschreibungspflichtig. Experten schätzen, dass weit mehr als die bekannten rund eine Million Menschen in Deutschland abhängig von Schlafmitteln sind. Solche Hilfen dürfen nur nach ärztlicher Verordnung und in der Regel nicht länger als bis zu vier Wochen eingenommen werden. Diese Hürde ist hoch. Umso beliebter sind seit Corona so genannte OTCs, frei verkäufliche „Over the Counter“-Produkte - plus 17 Prozent zum Vorjahr. Der Umsatz mit solchen echten oder vermeintlichen Schlafmitteln und Stimmungsaufhellern lag schon in den ersten neun Monaten 2020 bei rund 145 Millionen Euro. Hochgerechnet für 2020 sind das fast 200 Millionen Euro. Als einer der Top-Gewinner gilt „Lasea“, ein seit der Pandemie noch heftiger beworbener „pflanzlicher Ruhestifter“ gegen Ängste und Schlafstörungen. Die violette Kapsel verkauft sich trotz leichtem Lavendel-Beigeschmack und stolzem Preis wie geschnitten Brot. Sie gilt als einer der erfolgreichsten Blockbuster mit einem zweistelligen Millionenumsatz.

Immer erfolgreicher wird auch Cannabidiol, kurz CBD, als natürlicher Helfer gegen Schlafstörungen und dünne Nerven. Und immer selbstverständlicher: Rund 53 Prozent der 16- bis 29-Jährigen glauben an die Wirksamkeit von CBD für die Nachtruhe, so eine Studie.

Weil der Pfanzenextrakt aus Hanf keine psychoaktive Wirkung hat, dürfen ihn Apotheken und Online-Shops legal verkaufen. Noch ein überschaubares Geschäft für Pharmaanbieter. Interessant ist die Perspektive. Experten schätzen das Potential verschreibungspflichtigen Medizinalcannabis’ auf bis zu 13 Milliarden Euro im Jahr 2028 - so denn die Politik und Ärzte mitspielen. Harmlosere CBD-Produkte sorgen währenddessen schon für ein besseres Cannabis-Image in der Öffentlichkeit.

Mein Freund, der Roboter

Die Liste neuer, umsatzstarker Schlafhelfer ließe sich beliebig verlängern. Heiße Milch zum Einschlafen trinken nur noch Boomer, Hipster goutieren Relaxation-Drinks wie Sleep.Ink („Der natürliche Schlafdrink mit Melatonin zur Linderung von Jetlag“) oder ’Tyme Out’ („Tickt am Puls der Zeit und gibt dir deinen Entschleunigungskick“).  Marketingmäßig sind sie die logische, nächtliche Ergänzung zu den erfolgreichen Energy-Drinks, die tagsüber aufputschen. In Amerika sind Schlafdrinks mit hoch dosiertem Melatonin oder Baldrian schon ein Hype, in Deutschland auf dem Vormarsch. Mediziner warnen: Die Wirkstoffe können unabhängig von Packungsangaben stark variieren. Sinnvoller sei: ein Tässchen Baldrian-Tee. Alternativ sollen auch 12 Kilo schwere Gravitydecken für 150 Euro zur Seelenruhe führen. Kostengünstiger sind Heilsteine fürs Schlafzimmer, kostenlos Meditationen auf YouTube.

Und dann wäre da noch der neue Bettgenosse Somnox, ausgezeichnet mit dem Red Dot Award für Design. Somnox ist ein Roboter, sieht aber aus wie ein weiß bezogenes Kuschelkissen in Bohnenform. Dieser Hausfreund kann KI und Multitasking. Er soll den Atem seines lebenden Gegenübers regulieren, mit entspannenden Klänge wie Herztönen oder Schlafliedern Stress abbauen. Rund 600 Euro sollte er den Übermüdeten schon wert sein, hofft Hersteller Auping. Immerhin: Er schnarcht nicht, er brummt nur.

20.04.2021 | 11:33

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