Dr. Christoph Niering, Vorsitzender des Verbands Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID)



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„Mir wäre als Banker nicht wohl in meiner Haut“

Privatleute stunden Kredite, überschuldete Unternehmen wurschteln weiter – die Leidtragenden sind die Banken: Haben sie nicht genügend Geld zurückgelegt, können Kreditausfälle ihre Bilanzen verhageln.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) überraschte vergangene Woche mit einer Ankündigung: Sie will überschuldete Unternehmen wegen der Corona-Epidemie noch länger von der Pflicht zum Insolvenzantrag befreien. „Um pandemiebedingt überschuldeten Unternehmen Zeit zu geben, sich durch das in vielen Branchen wieder anziehende Wirtschaftsgeschehen oder staatliche Hilfsangebote zu sanieren, werde ich vorschlagen, die Insolvenzantragspflicht für diese Unternehmen weiterhin bis Ende März 2021 auszusetzen“, sagte die Ministerin in einem Interview.

Einer, der damit gar nicht einverstanden ist, heißt Christoph Niering. Er ist Chef des Verbandes der Insolvenzverwalter, selbst seit mehr als 25 Jahren als Insolvenzverwalter in der Branche unterwegs und Sachverständiger bei Anhörungen im Bundestag, wenn es um Insolvenzen geht. Sein Argument: Je länger, die Antragspflicht ausgesetzt bleibt, desto schwieriger wird es für die Gläubiger, dem Unternehmen noch zu vertrauen. Am Ende könnte eine enorme Welle von Insolvenzen nicht zuletzt die Banken massiv in Mitleidenschaft ziehen. Das Thema entwickelt sich zum Fall für den neuen Kanzlerkandidaten der SPD, Olaf Scholz, sagt Niering im Interview mit dem WirtschaftsKurier.

Herr Niering, die Insolvenzantragspflicht ist in Zeiten von Corona ausgesetzt, die Zahl der Insolvenzen sinkt stark auch im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten. Offenbar nutzen es viele Unternehmen aus, dass sie nicht gezwungen sind, Insolvenz anzumelden. Was passiert, wenn die Anträge wieder gestellt werden müssen?

Wenn die Antragspflicht wiedereinsetzt, werden wir einen sprunghaften Anstieg der Insolvenzen zu verzeichnen haben. Auf die Insolvenzgerichte und Insolvenzverwalter wird dann viel Arbeit zukommen. Diese Arbeit wird man auch bewältigen können, da wir zuletzt im Jahr 2004 sogar eine doppelt so hohe Zahl von Insolvenzen bewältigen konnten. Insolvenzverwalter sind heute in der Regel keine Einzelkämpfer mehr, sondern können auf einen großen Mitarbeiterstamm zurückgreifen. Wenn aber die vom Einzelhandelsverband prognostizierten 50 000 Insolvenzen auf einen Schlag kommen, könnte das auch für Insolvenzgerichte und Insolvenzverwalter schwierig werden. Damit rechne ich aber nicht. Ich glaube vielmehr, es werden viele still aus dem Markt gehen: Der Frisör, der Gastronom oder das kleine Reisebüro macht zu, schließt ab, zahlt seine Restschulden und das ohne Insolvenz.

Bislang wird die Aussetzung der Antragspflicht im SPD geführten Justizministerium behandelt. Ist das Thema eines, dem sich auch der Finanzminister und Kanzlerkandidat Olaf Scholz annehmen müsste?


Das Ganze ist ein großes, politisches Thema geworden, dem sich niemand entziehen kann. Olaf Scholz muss sich schon deshalb dazu äußern, weil jetzt wieder neue Forderungen nach Staatshilfen laut werden. Als Finanzminister kann er nicht lange zuschauen, wie Unternehmen, die eigentlich zahlungsunfähig oder überschuldet sind, auf Kosten ihrer Gläubiger weitermachen. Denn das führt am Ende auch zu Ausfällen in der Steuerkasse. Als Kanzlerkandidat hat er aber ein Interesse, dass eine Insolvenzwelle das Wahljahr nicht negativ beeinflusst. Setzt die Antragsfrist erst im nächsten Jahr wieder ein, werden die mit den Insolvenzen einhergehenden Arbeitsplatzverluste kurz vor der Wahl eintreten. Und Arbeitnehmer sind Wähler, eigentlich ja Stammwähler der SPD.

Also soll das Insolvenzrecht so schnell wie möglich wieder so funktionieren wie früher und jeder muss seine Pleite eingestehen, sobald er überschuldet ist?

Ja, denn die Überschuldung ist ein Frühwarnsystem. Nicht erst wenn die Kassen völlig leer sind, sollte ein Antrag gestellt werden. Nur wenn ein Unternehmen frühzeitig den Insolvenzantrag stellt, kann eine Sanierung über ein Insolvenzverfahren gelingen. Bestes Beispiel ist doch gerade Galeria Karstadt Kaufhof. Sind die Kassen hingegen leer, kann man die Unternehmen nur noch abwickeln. Daher muss man allen Gedankenspielen an einer Abschaffung der Überschuldung als Insolvenzgrund eine konsequente Absage erteilen.

Warum?


Weil sonst die Schäden auf die Gläubiger verlagert werden. Sie bekommen ihr Geld nicht und könnten in der Folge ebenfalls in wirtschaftliche Schieflage geraten. Zudem beruht unser Wirtschaftsleben auch auf Vertrauen. Wenn Gläubiger nicht mehr darauf vertrauen können ihr Geld zu bekommen, werden sie Zahlungsziele streichen und auf Vorkasse umstellen. Die dramatischen Konsequenzen liegen dann auf der Hand.

Sie meinen für die Banken?


Ich meine für die Lieferanten, die Vermieter und natürlich auch die Banken.

Müssen sich die Banken Sorgen machen?

Es wird deutlich mehr Kreditausfälle geben. Ob die erhöhte Risikovorsorge auch für eine solche Pandemiesituation ausreicht, kann ich nicht beurteilen. Auf der Hand liegt aber, dass auch klassische Banksicherheiten unter Druck stehen. Was ist die Sicherheit an einer Hotelimmobilie noch wert, wenn die Gäste ausbleiben und die Auslastungsquoten dauerhaft im Keller sind? Mir wäre als Banker derzeit nicht wohl in meiner Haut. Es gibt einfach zu viele Unsicherheiten: Wann kommt der Impfstoff? Was passiert, wenn das Virus im Winter massiv zurückkehrt? Werden erneut Aussetzungen von Kredit-Tilgungen möglich sein? Was passiert, wenn die Pandemie und ihre Auswirkungen lange anhalten?

12.08.2020 | 18:02

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