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Warum es der neuen Regierung nicht gelingt wird, genügend Wohnungen zu bauen

Die Ampelkoalition will 400 000 Wohnung im Jahr bauen und so dafür sorgen, dass es auch in Großstädten wieder bezahlbaren Wohnraum gibt. Sie schafft sogar ein eigenes Ministerium dafür. Doch vier Punkte sprechen dagegen, dass dieses Vorhaben gelingen kann.

Es ist eines der heißesten Themen für die neue Regierung: Bezahlbarer Wohnraum in Großstädten ist knapp. Die Folge: Immobilienpreise und Mieten steigen schneller als es sich die Bewohner leisten können. In den Großstädten machen allerorten Bürgerinitiativen mobil, die bezahlbaren Wohnraum fordern und anderenfalls Enteignungen der Wohnungsunternehmen durchsetzen wollen. In Berlin hat sich sogar bei einem Volksbegehren eine Mehrheit für diesen Weg ausgesprochen. Vor allem die wachsende Zahl der Single-Haushalte ist verantwortlich für die steigende Nachfrage nach Wohnungen. Es herrscht also Mangel, oder um es mit den Worten des künftigen Kanzlers Olaf Scholz (SPD) zu sagen: „Soziales Wohnen ist ein Grundrecht, das es in Deutschland immer geben muss. Dass in Deutschland in den vergangenen Jahren zu wenig gebaut worden ist, ist ein Fakt."

Die Ampelkoalition hat sich deswegen in ihren Vertrag geschrieben, 400 000 neue Wohnungen zu bauen, das ist rund ein Viertel mehr, als derzeit jährlich fertig wird. Ein größeres Angebot, so die Hoffnung der Koalitionäre, soll zu niedrigeren Preisen insbesondere bei den Mieten führen. Ein eigens geschaffenes Ministerium soll sich darum kümmern. Allerdings könnte sich das Ziel als Wunschtraum erweisen. Es gibt vier Gründe, warum der ambitionierte Plan zu scheitern droht.
 
Erstens: Keiner da zum Bauen

Die Baubranche leidet wie keine zweite unter dem Fachkräftemangel. Wer versucht einen Handwerker zu bekommen, weiß, wovon die Rede ist. Das Problem ist nicht kurzfristig zu beheben, sondern die Ausbildung von Fachkräften dauert Jahre. In der Bauwirtschaft insgesamt und in einzelnen Teilbereichen wie etwa da, wo es ums Wände hochziehen und Keller ausheben geht, klagen laut aktueller Erhebung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) mehr als 70 Prozent der Unternehmen darüber, dass sie zahlreiche offene Stellen nicht besetzen können. Über alle Gewerke hinweg werden bei 66 Prozent der Bauunternehmen Handwerker gesucht aber nicht gefunden. Die Baubranche ist hier ähnlich aufgestellt, wie der Gesundheitsbereich in der Corona-Krise: Arbeit gibt es jede Menge, aber es fehlt an helfenden Händen. Die Folge: „Viele private wie öffentliche Bauvorhaben können damit ausgebremst werden, selbst wenn die Finanzierung für solche Vorhaben gesichert ist“, schreibt der DIHK.

Zweitens: Verloren im Vorschriftendschungel

Die Bundesarchitektenkammer hatte es mal ausgerechnet: Seit dem Jahr 2000 sei allein die Energieeinsparverordnung für Neubauten viermal überarbeitet worden und habe die Kosten um 6,5 Prozent hochgetrieben. Das war 2017. Inzwischen ist die Verordnung ganz gekippt und durch das Gebäudeenergiegesetz abgelöst worden. Jede Änderung habe das Bauen verteuert, klagen die Architekten, weswegen es eigentlich ein hehres Vorhaben der Koalitionäre war, hier abzuspecken. Tatsächlich aber satteln sie drauf: Jedes öffentliche Haus muss und jedes private soll künftig ein Solardach bekommen und noch besser gedämmt werden. Das Vorhaben hemmt nicht nur den Häuserbau, es ist auch unter Klimagesichtspunkten fragwürdig.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) veröffentlicht jährlich seinen „Wärmemonitor“: Darin messen die Ökonomen, wieviel Heizenergie die Deutschen pro Quadratmeter brauchen. Jüngstes Ergebnis: Mit jährlich durchschnittlich 130 Kilowattstunden pro Quadratmeter beheizter Wohnfläche liegt der Energiebedarf in Mehrparteienhäusern nun lediglich wieder auf dem Niveau von 2010. Die CO2-Emissionen sind auch nach zwei Jahrzehnten, in denen viel gedämmt wurde, bei weitem nicht so stark gesunken, wie sie müssten, um die Klimaziele 2030 zu erreichen: temperaturbereinigt nur um 2,6 Prozent seit dem Jahr 2010. „Die nüchterne Bilanz von zehn Jahren Gebäudesanierung zeigt: Energetische Sanierung führt nicht automatisch zu weniger CO2“, kommentiert Thomas Zinnöcker, Chef des Energie- und Immobiliendienstleisters ista, die Ergebnisse der Studie. So gesehen sind die neuen Vorgaben ein kleiner Beitrag zum Klimaschutz, aber voraussichtlich ein großer Beitrag dazu, dass der Wohnungsmangel nicht abnimmt.

Drittens: Billiges Geld

Düsseldorf Glasmacherviertel: Hier befindet sich auf der ehemaligen Fläche einer Glasfabrik eines der größten innerstädtischen Bauflächen in einer deutschen Großstadt. Als 2008 ein Investor kam, sollten hier 600 Wohnungen und Häuser entstehen. Inzwischen hat sich der Buchwert der Industriebrache vervielfacht. Immer neue Immobilienunternehmen kauften von ihren Vorgängern die Fläche ab und zahlten mehr. Ihren Investoren wiederum verkauften sie das Projekt auf dem Papier, in dem sie immer mehr Häuser darauf errichten wollten, was sich dann auch noch mehr lohnen sollte. Die angeschlagene Adler-Gruppe, der vorletzte Investor, plante bereits mit 1700 Wohneinheiten. Allein: Gebaut ist bisher nicht einmal eine Straßenlaterne.

Das Beispiel zeigt: Schuld daran sind explodierende Immobilien- und Baulandpreise, die es für Investoren attraktiv machen, Flächen zu kaufen, zu halten und wieder zu verkaufen, ohne auch nur in einen Stein zu investieren. Die Preise explodieren, weil Geld nichts kostet, solange die Europäische Zentralbank bei ihrer Nullzinspolitik bleibt. Sie wiederum kann aber nicht anders, weil sich die Länder in der EU erst in der Finanzkrise und jetzt in der Corona-Krise hoch verschuldet haben. Würde sie die Zinsen jetzt anheben, dann müssten die EU-Länder so hohe Lasten für die Finanzierung ihrer Schulden aufbringen, dass kein Geld mehr zum Investieren da wäre. Also bleibt alles wie es ist. Die Ampelkoalition kann an den Zinsen nichts ändern, im Grunde genommen will sie es auch nicht, weil auch auf Deutschland eine deutlich höhere Schuldenlast zukäme.

Viertens: Achtung Dinosaurier

Die Immobilienpolitik der neuen Bundesregierung soll wesentlich von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) gestaltet werden. Die Bonner Dinosaurier-Behörde mit ihren rund 7000 Mitarbeitern kümmert sich um die Immobilien und den Grundbesitz des Bundes: Behördenkomplexe, Kasernen, Wald. Hier arbeiten Hausmeister und Förster. An ihrer Spitze steht mit Christoph Krupp ein alter Weggefährte von Olaf Scholz, der in dessen Jahren als Hamburger Oberbürgermeister, das Bezirksamt im schönen Stadtteil Bergedorf leitete. Krupp ist allerdings gerade freigestellt, weil er auf Vorschlag von Scholz zum Sonderbauftragten für die Impfstoffversorgung berufen worden ist. Kommt er zurück nach Bonn, sollen er und seine Truppe zum Kern einer neuen Immobilienstrategie des Bundes werden: „Wir werden der BImA mehr Freiheiten verschaffen und ihr die Aufnahme von Krediten ermöglichen. Die BImA soll künftig selbst investieren und bauen sowie weiterhin kommunales Bauen unterstützen können“, heißt es im Koalitionsvertrag. Das klingt nach einer neuen staatlichen Wohnbaugesellschaft. Bei der BImA herrscht darüber Freude: Der Ansatz sei richtig, der BImA die Freiheit zu geben, selbst bauen zu können, sagt ein Sprecher. „Damit kann der Bund seine Bauaufgaben besser erfüllen, neue Wohnungen zu bauen und die Bundesimmobilien in die Klimaneutralität zu führen.“
 
Anderenorts ist man von dem Ansatz nicht so begeistert. Die Behörde wirke schon jetzt mit ihrer Aufgabe völlig überfordert, sagen Bonner Bundestagsabgeordnete, denen die Klagen von Mietern zu Ohren gekommen sind, die sich über die schlechte Erreichbarkeit der Behörde und Verzögerungen bei Sanierungen beklagen. Mitarbeiter berichten auf dem Bewertungsportal Kununu von „internen Brandbriefen“ und nicht abnehmenden Beschwerden der Mieter. „Die Aufsicht der BImA, die im Bundesfinanzministerium sitzt, handelt nicht“, schreibt einer aus der Belegschaft. Ob die Behörde die richtige ist, die Immobilienstrategie der neuen Bundesregierung voranzutreiben, ist damit alles andere als eine ausgemachte Sache.

Oliver Stock

02.12.2021 | 15:36

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