„Ohne die AfD würde es vielerorts einen politischen Stillstand geben“
Eine aktuelle Studie belegt: Die Zusammenarbeit mit der AfD in Städten und Gemeinden ist längst keine Ausnahme mehr. Und sie beschränkt sich auch nicht auf die CDU und auf Ostdeutschland. SPD-Ratsmitglieder haben sogar schon gemeinsam mit der AfD einen Bürgermeister zu Fall gebracht.
Von Oliver Stock
Die CDU, aber auch andere Parteien arbeiten auf kommunaler Ebene längst intensiv mit der AfD zusammen. Dies ist das Ergebnis einer Studie, die die von den Grünen finanzierte Heinrich-Böll-Stiftung in diesem Jahr publiziert hat. (https://kommunalwiki.boell.de/index.php/Beispiele_kommunaler_Zusammenarbeit_zwischen_CDU_und_AfD) Sie listet insgesamt 16 Fälle auf, in denen die Alt-Parteien mit der AfD zwischen 2019 und 2023 gemeinsame Sache gemacht haben. Meistens geht es dabei um CDU-AfD-Konstellationen und meistens geschieht dies in den ostdeutschen Bundesländern. Aber auch Linke und SPD scheuen die Zusammenarbeit nicht in jedem Fall und das politische Phänomen ist nicht nur auf Kommunen in den ostdeutschen Bundesländern beschränkt.
Die Studie ist vor dem Hintergrunde der Äußerungen von CDU-Chef Friedrich Merz über eine Zusammenarbeit mit der AfD in den Kommunen interessant. Er hatte gesagt, dass es zwar im Bundestag sowie in Landesparlamenten keine Kooperation mit der AfD gebe, dies aber in Kreisen und Gemeinden nicht vermeidbar sei. Nach einer Welle der Kritik ruderte Merz zurück und erklärte: „Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben.“ Die Studie zeigt: Dieses zweite Versprechen ist nicht zu halten, während die erste Aussage, mit der Merz ins Kreuzfeuer auch aus der eigenen Partei geraten war, richtig ist.
Zu lesen sind in der Untersuchung zahlreiche Beispiele aus Sachsen. So verhinderten Ende März 2021 die Christdemokraten, dass das in Plauen beheimatete „Bündnis für Demokratie, Toleranz und Zivilcourage" 8000 Euro aus der Stadtkasse erhielt. Die CDU votierte gemeinsam mit AfD und der Neonazi-Partei „Dritter Weg" gegen den Zuschuss. Im Dezember 2022 stimmte die große Mehrzahl der CDU-Kreistagsmitglieder in Bautzen, darunter auch Landrat Udo Witschas, einem Antrag der AfD-Fraktion zu, wonach abgelehnte und ausreisepflichtige Asylbewerber keine Sprachkurse oder andere Integrationsleistungen erhalten sollten. Ein Kreistagsmitglied der Grünen nannte den Vorgang auf Twitter einen „Dammbruch". In Chemnitz erreichte die CDU mit Unterstützung von Abgeordneten der FDP, AfD und der Lokalpartei „Pro Chemnitz", dass Vertreter von freien Trägern oder Wohlfahrtsverbänden keine Sitze mehr im örtlichen Jugendhilfeausschuss bekamen. AfD-Stadtrat Lars Franke schrieb dazu auf Facebook: „Es ist gut, dass die konservativen demokratischen Kräfte im Chemnitzer Stadtrat konspirativ und nicht gegeneinander arbeiten."
Dass es unter ostdeutschen Christdemokraten Sympathisanten einer formellen Zusammenarbeit mit der AfD gibt, ist spätestens durch die im Sommer 2019 vorgelegte „Denkschrift“ zweier CDU-Abgeordneter im Landtag von Sachsen-Anhalt bekannt, in der es hieß: „Es muss wieder gelingen, das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen." Der stellvertretende Vorsitzende des CDU-Kreisverbandes im sächsischen Meißen, Sven Eppinger, brachte seine Ansicht so auf den Punkt: "Mauern fallen immer. Und auch so sieht man im Konrad-Adenauer-Haus manches an den Realitäten vorbei."
Ins Auge springt aber auch der von der Heinrich-Böll-Stiftung aufgegriffene Fall im thüringischen Hildburghausen, wo Anfang dieses Jahres ein interner Konflikt in der SPD ausgebrochen war, nachdem zwei SPD-Stadtratsmitglieder gemeinsam mit den Stadträten der AfD für die Einleitung eines Abwahlverfahrens gegen den amtierenden Bürgermeister Tilo Kummer von der Linken gestimmt hatten. Für die Abwahl hatten auch alle anderen Stadträte außer denen der Linken selbst gestimmt. Einige Mitglieder der SPD - darunter die Landtagabgeordneten Diana Lehmann und Denny Möller sowie die Bundestagsabgeordnete Elisabeth Kaiser - beantragten ein Parteiordnungsverfahren gegen die beiden SPD-Stadträte. Der Kampf gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit seien grundlegende Positionen der Sozialdemokratie. Es dürfe keine Form der Zusammenarbeit mit Rechtsextremen geben. Die SPD-Stadträtin Carolin Seifert war darauf einem Parteiordnungsverfahren mit ihrem Austritt aus der SPD zuvorgekommen. Sie finde es inakzeptabel, wenn von der Parteispitze ein Abstimmungsverhalten vorgegeben werde, argumentierte sie.
Gemeinsam erwirkten anschließend die SPD-Stadträte, die AfD-Fraktion und ein Stadtrat der Wählervereinigung Bündnis-Zukunft-Hildburghausen, die im Verfassungsschutzbericht 2019 als „führende rechtsextremistische Vereinigung im Landkreis Hildburghausen“ bezeichnet worden war, einen Bürgerentscheid zur Abwahl des Bürgermeisters. Die Abstimmung verlief für die Antragsteller erfolgreich, Bürgermeister Kummer wurde im Februar abgewählt. Die Initiatoren sahen darin „gelebte Basisdemokratie". Der SPD-Fraktionschef im Rat Ralf Bumann beklagte öffentlich, dass es nicht um Sachthemen, sondern um die Frage gegangen sei: „Wie kann denn die SPD hier zusammen mit der AfD arbeiten?" Er kenne die Leute von der AfD aber „seit zig Jahren, das sind Nachbarn, die sind im Sportverein. Ich sehe damit auch keinen Angriffspunkt." Die thüringische Landes-SPD bewertete den Vorgang gegenteilig.
Zusammenarbeit ist auch aus westdeutschen Städten bekannt. Für Furore sorgte eine damalige Christdemokratin der Gemeinde Frankenstein in Rheinland-Pfalz, die mit einem AfD-Mitglied - mit dem sie verheiratet ist - im September 2019 eine gemeinsame Fraktion bildete. In Emmerthal in Niedersachsen konnte die AfD mit zwei Abgeordneten das Zünglein an der Waage spielen. SPD und Grüne sowie CDU und Freie Wähler bildeten zwei Gruppen mit jeweils elf Stimmen. „Die CDU scheut sich nicht, etwas mit der AfD durchzusetzen", klagte darauf der frühere SPD-Bürgermeister Andreas Grossmann. Der ehemalige CDU-Fraktionschef Rüdiger Welzhofer hielt die Aussage für unfair. „Wenn es nicht weitergeht, dann kriegen wir immer die AfD-Keule übergezogen", sagte er. Ins gleiche Horn stößt jetzt Matthias Jendricke, SPD-Landrat im thüringischen Nordhausen. Er sagte in einem Gespräch mit der Bildzeitung: „Der Merz hat recht, ansonsten würden es einen politischen Stillstand geben. Er hat die Realität beschrieben, wie sie sich vielerorts aufgrund der Wahlentscheidungen der Bürger widerspiegelt.“ Alle Fraktionen stimmten regelmäßig mit der AfD. Es werde nicht geschaut, von wem welche Hand hochgeht. „Kommunalpolitik war noch nie so, dass Parteiinteressen höher als Regionalinteressen wie Schulsanierung, Straßenbau und Radwege gewichtet werden.“
25.07.2023 | 16:23