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Olaf Scholz: Zwei Probleme, keine Lösung und trotzdem ein Gewinner

Vier Wochen vor der Wahl hat SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz die Chance, an der Spitze einer Koalition tatsächlich Kanzler zu werden. Skandale haben ihm nichts anhaben können, und die Partei schweigt und folgt ihm. Wie hat er das gemacht?

Die Geschichte, die gerade alle über Olaf Scholz erzählen, geht so: Der Mann hat zwei Probleme. Das eine ist seine Vergangenheit und das andere ist seine Partei. In der Vergangenheit hat er bewiesen, dass er oft mal daneben lag. Zu den unschönen Erinnerungen gehört seine völlig falsche Einschätzung der Krawalle rund um den G20-Gipfel während seiner Zeit als Oberbürgermeister in Hamburg, und es gehören seine Misserfolge als Finanzminister beim rechtzeitigen Erkennen von Schwindeleien rund um Wirecard oder Steuertricksereien dazu. Und in seiner Partei, so lautet der andere Teil der Erzählung, steht er auf verlorenem Posten. Die wahren Gesichter nämlich seien der ehemalige Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert, sowie die beiden SPD-Co-Chefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Das Trio verkörpere den Linksdrall der SPD und verhalte sich wie eine Truppe, die weiß, dass sie ohne ihren General nicht gewinnen kann. Wenn der Sieg aber eingefahren ist, werde man ihm jeglichen Spielraum für eine gemäßigte Politik nehmen.

Die Erzählung zieht sich derzeit durch all diejenigen Schilderungen, die Scholz am Ende nicht gut aussehen lassen. Was an ihnen fehlt, ist eine Erklärung für die Tatsache, dass es für Scholz derzeit gut aussieht. Es läuft sogar so gut, dass der Erfolg den Erfolg nährt: Nach der jüngsten Diskussionsrunde mit Armin Laschet und Annalena Baerbock, die er eher nach dem Motto bestritt: „Wenn Du schweigst, bist Du ein Philosoph geblieben“, galt der 1958 geborene und im Arbeiterviertel Hamburg-Altona aufgewachsene Sohn eines Eisenbahners als Gewinner des medialen Dreikampfs. Der spröde norddeutsche Scholz - er kann zwar nicht begeistern, aber er kann darauf setzen, dass sich nach dem Abgang einer unaufgeregten Kanzlerin eine Mehrheit der Deutschen nach einem unaufgeregten Kanzler sehnt.

Woran liegt das? Warum können den SPD-Kanzlerkandidaten seine früheren Skandale nicht schaden? Und warum zündet auch die Erzählung von den Linken in der eigenen Partei nicht, die ihn eher gering schätzen und bald die Beinfreiheit rauben werden? Bei den Skandalen verhält es sich so: Der G20-Gipel ist mehr als vier Jahre her – in der politischen Zeitrechnung ist das eine gefühlte Ewigkeit. Natürlich hatte Scholz da nicht gut ausgesehen: Während er als Hamburger Oberbürgermeister mit US-Präsident Donald Trump, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und Kanzlerin Angela Merkel beim Konzert in der Elbphilharmonie saß, begannen im alternativen Hamburger Schanzenviertel die schlimmsten Ausschreitungen, die die Stadt je erlebt hatte. Und als er schließlich das Konzert hinter sich hatte, sagte er „Ich bin sehr besorgt über die Zerstörungen. Ich appelliere an die Gewalttäter, mit ihrem Tun aufzuhören.“ Nach diesem Satz kamen die Sondereinsatzkommandos. Doch Trump ist vorerst Geschichte und Merkel gerade dabei, Geschichte zu werden. Das G20-Format gilt als überholt und das Schanzenviertel kämpft derzeit mehr mit St.Pauli für den fußballerischen Aufstieg, als gegen die Großmächte. Die Sache lässt sich nicht aufwärmen.

Die Finanzskandale sind da von anderer Güte. Sie sind zumindest deutschlandweit noch nicht ausgestanden. Doch Scholz kann sie abschüttelt, indem er wahlweise wie im Fall Wiredard, andere dafür opfert, oder wie im Fall Cum-Ex darauf setzen kann, dass das Thema sowieso an der Mehrheit aller Wähler vorbeizielt. Wirecard gehörte auch für den Finanzminister lange zu den deutschen Vorzeigekonzernen – und zwar auch dann noch, als schon längst zu lesen war, dass es bei der Betrugsfirma womöglich nicht mit rechten Dingen zuging. Am Ende mussten deswegen Chef und Co-Chefin der Finanzaufsicht gehen, deren Dienstherr Scholz war. Ihm selbst blieb bis auf peinliche Auftritte im Untersuchungsausschuss, die er mit der Routine eines politischen Schlachtenbummlers über sich ergehen ließ, Ungemach erspart. Der Cum-Ex-Skandal schließlich, in den sich auch die Hamburger Warburg-Bank verstrickt hat und Scholz deswegen um Hilfe rief, konnte ihm bis heute nichts anhaben, weil hinter diesem Betrug an Finanzämtern ein derart kompliziertes Verfahren steckt, dass nur Spezialisten das ganze Ausmaß des angerichteten Schadens verstehen.

Die zweite offene Flanke des Kandidaten, so geht die Erzählung, ist die gestörte Beziehung zur Partei. Warum auch sie Scholz derzeit nicht ernsthaft gefährdet, hat einen einfachen Grund: Die Analyse, dass die SPD einen Linksruck vollzogen hat, ist falsch. Sie war auf dem Weg dahin, es hat geruckelt, aber am Ende nicht geruckt. Es sah einige Zeit nur so aus, als strebten die Sozialdemokraten nach links: In einer Mitgliederbefragung hatten sich zwei Außenseiter gegen den Finanzminister und ehemaligen Verkünder von Gerhard Schröders Agenda 2010 behauptet: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wollten Schluss machen mit der „neoliberalen Pampa, wie Walter-Borjans bei Wahlveranstaltungen zur Kür der Vorsitzenden seinen Zuhörern entgegen schleuderte. In einem Interview wurden die Co-Vorsitzenden nach ihrer Wahl 2019 gefragt, ob sie lieber Olaf Scholz oder den SPD-Linken Detlev Kühnert zum Kanzlerkandidaten machen wollten. Ihre klare Antwort: Detlev Kühnert. Plötzlich gab es mit Esken eine SPD-Vorsitzende, die es wagte, den Begriff „Sozialismus“ zu verwenden, Walter-Borjans knüpfte derweilen an SPD-Übervater Willy Brandt an und schwor, die SPD wieder zu einer Friedenspartei zu machen.

Doch auf die Worte folgten keine Taten. Tatsächlich blieb Lars Klingbeil, ebenfalls einst ein treuer Anhänger der Schröderschen Reformen, auf seinem Posten als Generalsekretär und Scholz konnte sich auf ihn verlassen. Dazu kam: Die beiden Vorsitzenden agierten hilflos, weil sie nicht ein Thema, sondern gleich einen Strauß von Themen präsentierten: Aufnahme von Geflüchteten Vermögensabgabe, keine digitale Überwachung. Wofür sie im Kern stehen, bleibt bis heute verschwommen, was bei bundespolitischen Newcomern, wie es das Gespann Walter-Borjans und Esken noch immer ist, schnell zu Leerlauf führt. In der SPD verpuffte der Linksruck und die Partei setzte auf Bewährtes: Sie kürte Scholz als ihren Kandidaten, obwohl der sich gerade in zwei Finanzuntersuchungsausschüssen für sein Handeln rechtfertigen musste. „Die Tragik der Entwicklung um Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans liegt darin, dass kein Vorsitz der SPD zuvor jemals mit einem größeren demokratischen Votum ausgestattet war. (…) Vielleicht waren sie mit der Aufgabe der Parteiführung überfordert. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass linke Idealisten, die tatsächlich etwas auf Werte wie Solidarität geben, seltener zu Mitteln innerparteilicher Auseinandersetzung greifen“, analysiert der jüngst aus der SPD ausgetretene Berliner PR-Manager und Publizist Daniel Reitzig in einem lesenswerten Kommentar. Die Folge: Die beiden sind nicht einmal mehr Stichwortgeber im Wahlkampf, sondern nur noch Claqueure, die sich zum Beispiel wie jüngst Saskia Esken vor der Dreier-Diskussion zwischen Scholz und den anderen beiden Kandidaten darauf beschränken, auf Twitter zu verkünden, dass sie gleich zum Auftritt von Scholz fahren, dass sie jetzt da sind, dass Scholz wirklich eine gute Figrur abgegeben habe, und sie deswegen nun stolz wieder nach Hause fahren.

Scholz wiederum ist wendig genug, um in der SPD das Bündnis mit den Parteilinken zu suchen. Er weiß: Sollte die Wahl gut für ihn ausgehen, wird es heißen, er habe trotz der linken Vorsitzenden gewonnen. Wenn er verliert, dann wird es wegen der Parteilinken sein. Seine Botschaften sind schnörkellos und jeder weiß, was gemeint ist: Rente gibt es weiter ab 65 und der Mindestlohn steigt auf 12 Euro. Damit sind die beiden wichtigsten Wählergruppen der SPD angesprochen: die alten und die schlechtverdienenden Menschen. Aufbruch sähe anders aus, aber damit lässt sich keine Wahl gewinnen. Die Abteilung Attacke überlässt Scholz  deswegen den Grünen, die Veränderung zu ihrem Thema gemacht haben, aber eben damit auch an Zuspruch verlieren. Er weiß: Die Kanzlerschaft der nächsten Koalition muss nicht der übernehmen, der vorne liegt, sondern der, der vor die Grünen rückt, ohne sie als möglichen Koalitionspartner zu vergraulen. Er muss auf Distanz gehen, ohne die Nähe zu verlieren – das genau ist ein Spiel, das Scholz prächtig beherrscht.

Oliver Stock

31.08.2021 | 14:19

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