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Schuldenexplosion: Haben wir uns übernommen?

Die Corona-Pandemie treibt die Schuldenquoten vieler Staaten in absurde Höhen. Der Kontrollverlust droht, noch aber ist es nicht zu spät: Vier Faktoren werden entscheidend.

Wachstum auf Pump. Diesem Mittel zum Zweck bedienen sich viele Volkswirtschaften nicht erst seit heute. Seit Jahren explodieren weltweit die Staatsschulden. Die Corona-Pandemie hebt die globalen Verbindlichkeiten nun jedoch auf ein völlig neues Level. Vielerorts scheint sich so etwas wie ein endgültiger Kontrollverlust anzubahnen. Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) legen nahe, dass die Verschuldung einiger Länder in absurde Höhen klettern könnte. Die Kombination aus Konjunktureinbruch und steigenden Haushaltsdefiziten lässt grüßen.

Im Schnitt rechnet der IWF für die entwickelnden Volkswirtschaften bis 2021 mit einem Anstieg der Verbindlichkeiten um 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Für die Vereinigten Staaten gehen die Wirtschaftsexperten mit einem Plus von 23 auf 132 Prozent von einer besonders stark steigenden Schuldenquote aus. Für die Eurozone rechnen die Volkswirte mit einem Anstieg um elf auf 96 Prozent. Einzelne Länder wie Italien oder Griechenland stechen jedoch mit weit höheren Quoten hervor.

Um die Tilgung geht es schon lange nicht mehr

Fakt ist: Die globale Schuldenlast wird immer erdrückender. Und ein Ende des Anstiegs ist nicht in Sicht. Dass die Verbindlichkeiten irgendwann einmal wieder zurückgezahlt werden können oder nennenswert schrumpfen, gilt dazu als ein einigermaßen aussichtsloses Unterfangen.

Wie Volkswirte aber gerne betonen, reicht es ja, sie bedienen zu können. Am Beispiel Japan zeigt sich, dass hohe Schulden allein eine Volkswirtschaft nicht in aussichtslose Schwierigkeiten bringen. Schließlich lag die Schuldenquote dort bereits 2019 bei 237 Prozent und könnte in diesem Jahr auf 251 Prozent steigen. Zum Vergleich: Die von Italien könnte 2020 155 Prozent erreichen.

„Neben der Entwicklung der Schuldenquote ist das Währungsregime entscheidend für die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung. Anders als Italien verfügt Japan über eine eigene Währung und eine eigene Notenbank, die derzeit sogar Obergrenzen für die Marktrenditen festlegt.“, erklärt Christian Kopf, Leiter Portfoliomanagement Renten bei Union Investment. „Dadurch sind japanische Staatsanleihen die sicherste Anlage in Landeswährung und bleiben dies auch bei steigender Staatsverschuldung. In der Coronakrise sind die Renditen italienischer Staatsanleihen markant gestiegen, bei Japan war dies nicht der Fall.“

Kontrolle der Schuldenquote: Diese vier Faktoren sind entscheidend


Am Ende entscheidet die Entwicklung von vier Faktoren darüber, ob da gerade etwas vollends aus dem Ruder läuft oder sich die Schuldenlast noch bändigen lässt: Die Wachstumsrate des BIP, die Inflation, die Zinsen und eine sparsame Haushaltsführung der Staaten.

Von letzterer seien „die meisten Staaten weit entfernt“, stellt Kopf von der Union Investment fest. „Wenn der IWF mit seinen Prognosen recht behält, wird es auch in zwei Jahren kaum ein Land geben, dessen Staatshaushalt vor Zinszahlungen einen Überschuss ausweist.“ Auch für Deutschland zeichne sich ein leichtes Defizit ab.

Ein hohes Wirtschaftswachstum dürfte in den Industriestaaten zunächst einer Utopie gleichkommen. „Dafür fehlen wegen der alternden Bevölkerung und des bereits sehr hohen Produktivitätsniveaus die Voraussetzungen“, weiß Kopf. Überdies rechnet der IWF  in Folge der Corona-Pandemie mit der größten globalen Rezession seit fast hundert Jahren und korrigierte seine bereits pessimistischen Schätzung aus dem April im Juni nochmals nach unten. So könnte die weltweite Wirtschaftsleistung 2020 nun um 4,9 Prozent schrumpfen. Im Januar hatten die Experten noch ein Plus von 3,3 Prozent vorausgesagt. Für die Eurozone könnte es mit einem Minus von 10,2 Prozent statt dem zu Jahresbeginn anvisierten Wachstum in Höhe von 1,3 Prozent noch bitterer kommen.

Die Inflationsrate ist ebenfalls im Keller. In der Eurozone lag sie im Mai bei 0,1 Prozent. In zwölf von 19 Mitgliedsländern der Währungsunion war sie Zahlen der Statistikbehörde Eurostat nach sogar negativ. Im Juni dürfte sie für den gesamten Euroraum ins Minus rutschen. Immerhin erwarten einige Experten langfristig steigende Inflationsraten. Das wäre gut für die Staatskasse, käme jedoch – sollte die Rate über das Zwei-Prozent-Ziel hinausschießen – dem Sparer teuer. Schließlich stiege so bei weiter niedrigen Zinsen die Geldentwertung sprunghaft an.

Entscheidend ist das Zinsniveau

Was bedeutet das nun? Steuern wir geradewegs auf das Platzen einer gigantischen Schuldenblase inklusive flächendeckender Geldentwertung zu? „Die gute Nachricht ist, anders als noch vor zwanzig Jahren brauchen wir keine hohen Wachstumsraten mehr, um das Monster steigender Staatsverschuldung zu bändigen“, sagt Kopf. Im Durchschnitt lägen die Zinsen, die Industrieländer auf ihre Staatsschulden leisten müssten, derzeit bei zwei Prozent oder weniger. „Der deutsche Staat zahlt im Schnitt sogar nur 0,6 Prozent Zinsen auf den Gesamtbestand der umlaufenden Bundesanleihen.“
Entsprechend braucht es keine exorbitanten Sparmaßnahmen um eine Schuldenexplosion zu verhindern. Fast alle entwickelten Volkswirtschaften hätten zwar eine „Tragfähigkeitslücke“ in ihrer Staatsverschuldung, weshalb diese Länder ihr Steueraufkommen erhöhen oder ihre Staatsausgaben senken müssten, um einen weiteren Anstieg ihrer Verschuldung zu verhindern, erklärt der Experte der Union Investment. Doch aufgrund der niedrigen Zinsen liege die notwendige Sparanstrengung zur Schuldenstabilisierung für die meisten Länder nur bei zwei Prozent des BIP, bei Italien sogar nur bei einem Prozent.

Noch scheint die Kontrolle also nicht verloren. Doch die Corona-Pandemie hat eine ohnehin schon große Aufgabe zu einem Herkules-Manöver gemacht. Und nicht nur das Überleben der Eurozone, das der gesamten Weltwirtschaft steht in vollendeter Abhängigkeit zu einer ultra-niedrigen Zinspolitik.

OG

30.06.2020 | 19:30

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