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Sieben Gründe, warum wir diese Krise überstehen

Der Krieg in der Ukraine mit seinen Folgen für die Menschen und seinen Auswirkungen auf die Energiepreise deprimiert uns. Die Inflation galoppiert, der Arbeitsmarkt schwankt zwischen Fachkräftemangel und Entlassungswelle und die Lieferketten sind immer noch unterbrochen. Die Zahl der schlechten Nachrichten ist unübersehbar. Wirklich? Es gibt Hoffnung.

Von Reinhard Schlieker


Es sieht eher so aus, als befinden sich Deutschland und die Deutschen in einem Stimmungstief, das es unmöglich erscheinen lässt, auch die Hoffnungszeichen wahrzunehmen. Wie ein psychisch kranker Patient, der unter Depression leidet, klammern die Deutschen die guten Nachrichten aus. Da sind sie inzwischen unübersehbar. Krise und Rezession sind zwar da, aber sie gehen zu Ende. Darauf gibt es sieben handfeste Hinweise:

1)    Der Gaspreis hat seinen Höhepunkt überschritten

Die Gaspreise, die lange Zeit nur eine Richtung kannten, nämlich in schwindelerregende Höhen zu klettern, sinken wieder. Auslöser für die rasant steigenden Preise ist vor allem der Krieg in der Ukraine, mit Lieferkürzungen durch den Hauptexporteur Russland. Im Sommer bewegte sich die Kosten für eine Kilowattstunde atemberaubend nach oben – private Verbraucher mussten mit ruinösen Energiepreisen für den Winter rechnen. Inzwischen wendet sich trotz andauerndem Krieg das Blatt: Anfang November kostet die Kilowattstunde Gas für Endkunden „nur“ noch 21 Eurocent. Das ist zwar immer noch erheblich mehr als die durchschnittlichen Kosten eines Haushalts, der in der Vergangenheit etwa sechs bis acht Cent zu zahlen hatte, und das auch je nach Vertragslaufzeit bis heute so macht. Der gerade aufgerufene Preis muss aber noch nicht das letzte Wort sein: Hauptgrund für einen weiteren Rückgang sind die ungewöhnlich gut gefüllten Gasspeicher in Europa. Füllstände über 90 Prozent sind die Regel, Belgien hat 100 Prozent erreicht, da geht kein Tropfen Flüssiggas mehr hinein. Dazu kommt die Aussicht auf eine zusätzliche Versorgung durch Flüssiggas) das per Tanker in den europäischen Häfen ankommt und mehr ist als erwartet – die Entladekapazitäten werden derzeit schon knapp. Die spanische Enagas hält es sogar für denkbar, in Kürze Gastanker zurückweisen zu müssen. „Angebot übersteigt Nachfrage“, das könnte die nächste verbraucherfreundliche Schlagzeile werden. Entsprechend sinken die Preise.

2)    Zahl der existenzbedrohten Betriebe bleibt überschaubar

In dieser Woche hat das Münchner ifo-Institut eine Umfrage veröffentlich, die fast im Schatten geblieben ist, weil sie ganz offenbar nicht in die allgemeine Depression passt. Die Forscher ermittelten die Stimmungslage bei Unternehmen mit Blick auf ihre Zukunftschancen. Ergebnis: Sie wurde in jüngster Zeit als düsterer beschrieben als sie wirklich ist. Nur 7,5 Prozent der Firmen in Deutschland sehen sich in ihrer Existenz bedroht, das sind deutlich weniger als zu den Hochzeiten der Corona-Pandemie. Im Sommer 2020 waren es noch 21 Prozent gewesen. Der verblüffende Rückgang überrascht sogar ifo-Wirtschaftswissenschaftler Klaus Wohlrabe: „Angesichts der kräftigen konjunkturellen Abkühlung zeigen sich die Unternehmen sehr robust“, so der Umfrageleiter. Eine leicht erhöhte Zukunftsangst konstatiert die Studie bei den besonders energieintensiven Unternehmen, etwa in der Metallbranche. Aber auch dort dürften die sinkenden Gaspreise, und mit ihnen im Gefolge die daran hängenden Strompreise, für Erleichterung sorgen. Effizienzsteigerungen und Sparerfolge zahlen sich dann doppelt aus. Und ein Stimmungsaufheller ist ja noch in der Pipeline: Die staatlichen Hilfsmaßnahmen in Sachen Gaskosten dürften ihre Wirkung tun, Industrie und auch die Verbraucher entlasten, so dass deren Konsumenthaltung nicht von allzu langer Dauer bleiben sollte. Zu den mutmachenden zahlen der Ifo-Wissenschaftler passen auch die zum Insolvenzgeschehen in Deutschland: Von Galeria bis Hakle gibt es spektakuläre Einzelfälle, aber eine Insolvenzwelle bleibt bisher aus. Im Gegenteil, die Zahl der Unternehmensinsolvenzen ist genauso wie die der Verbraucherinsolvenzen im September deutlich zurückgegangen.

3)    Höhepunkt der Inflation in Sichtweite

Zu den Angstmeldungen in diesen Tagen zählt die hohe Inflation in der Eurozone. Mit 10,7 Prozent ist sie deutlich zweistellig. Das allerdings sollte fast das Ende des Schreckens sein, folgt man den Experten des Großinvestors Pimco. Die zur Allianz gehörende Investmentgesellschaft konzentriert sich auf den Handel und die Anlage mit Anleihen und ist daher mit Zins- und Inflationsprognosen mehr als nur vertraut. Demzufolge sollten bis Ende des Jahres die Maßnahmen der Zentralbanken, also deren Zinserhöhungen, die Trendumkehr einleiten. Mit Verzögerung wirkend, müsste die Straffung der Geldpolitik Preissteigerungsraten dann im Jahresverlauf verlangsamen. Zwar könnte es noch bis zur Jahresmitte 2023 dauern, ehe die Inflation spürbar zurückgeht, aber schon die Aussicht auf die Wende sorgt an den Finanzmärkten für Beruhigung. Die Gefahr einer ausufernden Lohn-Preis-Spirale wird damit geringer, was ein wichtiger Faktor ist, um ohne eine tiefe Rezession aus dieser Krisenlage zwischen Krieg und Pandemie herauszukommen.

4)    Aktien erholen sich bereits

An den Aktienmärkten werden Erwartungen gehandelt. Wer dieser Aussage zustimmt, muss zur Kenntnis nehmen, dass sich die Erwartungen von düster auf freundlich gedreht haben. Im Oktober hat der Aktienmarkt jedenfalls eine Kehrtwende hingelegt. Nach einem Monat September, in dem für Anleger fast täglich Halloween war, ist der schon öfter als Crashmonat aufgefallene Oktober mild bis positiv verlaufen. 9,4 Prozent plus beim Dax-Index, immerhin acht Prozent beim Standard & Poor‘s 500, und an der Spitze der Dow Jones-Index: An der Wall Street gewannen die Standardaktien 14 Prozent hinzu. Treiber vor allem sind traditionelle Industriewerte, Hightech war demgegenüber weniger gefragt - nur plus gut drei Prozent bei den gebeutelten Online- und Techunternehmen. Es gilt natürlich wie stets: Der Blick in die Vergangenheit offenbart keine Zukunft, aber hilft der Psychologie, die mindestens 50 Prozent der Wirtschaft ausmacht. Er hebt die Stimmung.

5)    Corona macht keine Angst mehr
Als Stimmungsaufheller dient auch, dass nach allem, was man weiß und prognostizieren kann, der weitere Verlauf in Sachen Corona eher überschaubare Folgen haben wird. In den meisten europäischen Ländern sind Ärzte und Regierungen dazu übergegangen, die Infektion mit den alljährlichen Grippewellen im Winter abzuhandeln. Und selbst im eher ängstlichen Deutschland rechnet derzeit kaum noch jemand mit Lockdowns und ähnlichen einschneidenden Maßnahmen, die im Alltagsleben und in der Wirtschaft große Einbußen verursachen könnten. Die Zahl der Neuinfektionen geht nach einem kurzen Anstieg derzeit wieder zurück. Krankenhäuser melden zwar starke Belastungen, insgesamt aber sei man organisatorisch viel besser vorbereitet als vor einem Jahr.

6)    Die Lieferketten entspannen sich

Ein weltweites Problem bleibt die gestörte Versorgung mit Materialien und Rohstoffen, Stichwort: Bruch von Lieferketten. Was heute aber anders ist: Die Unternehmen hatten Zeit, sich auf die Situation einzustellen. Während nach wie vor Personal in der Logistik fehlt in der Logistik, Häfen von Schiffen geradezu belagert werden und in den Riesenzentren Chinas weiter unvorhersehbare Lockdowns drohen, gibt es inzwischen Auswege. Sogar Hightechfirmen haben sich gegründet, deren Unternehmenszweck es einzig und allein ist, smarte Lösungen für die Güterversorgung zu schaffen. Digital, vernetzt, vorausschauend, so charakterisiert der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) die neuen Wege des „Supply Chain Management“. Erfreulich natürlich für Beratungsunternehmen und Startups: Die Industrie setzt stark auf neue Wege. Doppelversorgung etwa bei wichtigen elektronischen Bauteilen: Sie organisiert ihre Produkte so, dass für einen ausfallenden Lieferanten auch die Teile eines anderen eingebaut werden können. Der in einer anderen Region arbeitet, zum Beispiel. Verstärkte Lagerhaltung und damit eine Rückkehr zu bewährten Absicherungen ist eine weitere Antwort. Die Lieferkettenproblematik ist nicht ungeschehen zu machen, aber die Unternehmen haben ihre Auswirkungen viel besser im Griff – und Innovation geschieht praktisch wie nebenbei noch dazu.

7)    Der Arbeitsmarkt bleibt stabil

In Deutschland hält sich der Arbeitsmarkt fast ebenso robust wie die Stimmung in den Unternehmen. Im September, für den es die jüngste tiefergehende Analyse gibt, gingen die Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung zurück. Und dies trotz des Drucks durch Ukrainekrieg und Flüchtlingsbewegungen. Die Nachfrage nach Arbeitskräften, Fachleuten natürlich vor allem, bleibt hoch; die Aussichten, Stellen zu besetzen, sind allerdings noch nicht wieder zufriedenstellend. Die Bundesagentur für Arbeit zeigt sich sehr vorsichtig, was den Ausblick auf Herbst und Winter angeht, jedoch zeigen bereits die anderen erwähnten positiven Nachrichten, dass vorerst keine krisenhafte Entwicklung des Arbeitsmarktes zu erwarten sein dürfte.



02.11.2022 | 10:48

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