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So absurd sind die Corona-Regeln in den einzelnen Bundesländern wirklich

Ständige neue Verordnungen, überlastete Behörden, restlos überforderte Gesundheitsämter und ein föderal uneinheitliches Regel-Wirrwarr haben die Bundesrepublik in ein undurchdringbares, unlogisches Chaos gestürzt.
 
Wer als Corona-Genesener in Berlin den Zug nach München nimmt, steigt dort als Ungeimpfter wieder aus und hat ein Problem. Wer mit Johnson und Johnson geimpft ist und dann in den letzten Wochen seine Booster-Impfung machte, gilt neuerdings nicht mehr als geboostert, darf aber so schnell keine dritte Spritze bekommen. Zehnjährige zweimal geimpfte, müssen vor Ort getestet werden, auch wenn sie gerade in der Schule einen Test über sich ergehen lassen mussten – bei den Coronaregeln blüht der Wildwuchs. Gedüngt wird er durch den deutschen Föderalismus, der die Demokratie eigentlich stärken, eine gewisse Vielfalt zulassen, und so die politische Willensbildung zu unterstützen soll. So steht es zumindest in Artikel 20 Absatz 1 des Grundgesetzes. Doch in den Coronakrise zeigt sich, zu welchen Auswüchsen eine föderale Ordnung fähig ist. Einander widersprechende Verordnungen, eine aufgeblasene Bürokratie, die ohnmächtig neuen Coronaverordnungen entgegenblickt sowie eine Unübersichtlichkeit oft skurriler Regeln prägen den Alltag der Bundesdeutschen. Von einem „Flickenteppich“ ist die Rede. In der Polit-Satire „Heute Show“ heißt das: „Föderallala“.  
 
Jüngstes Beispiel im Coronawirrwarr ist der vom Robert-Koch-Institut eingedampfte  
Genesenen-Status von sechs auf drei Monate. Genesene müssten laut RKI dann ihren Booster-Termin auf den Tag genau planen, was schon rein pragmatisch an Impfvergabeterminen zu scheitern droht. Vorher allerdings dürfen sie nicht und nachher gelten sie als nicht ausreichend geimpft. Um noch mehr Verwirrung zu stiften, liegt es nun an den einzelnen Bundesländern, wie sie konkret den neuen Beschluss am Ende in ihren Regelungen von 1 bis 3-G Plus übersetzen. Der ganze Unsinn zeigt sich dann, wenn ein Corona-Genesener aus Berlin bei seiner Ankunft in München als Ungeimpfter eingestuft wird.  
 
Was in einem Bundesland erlaubt ist, das kann zehn Kilometer weiter längst verboten sein. Während Personen mit einer Auffrischungsimpfung beim Besuch von Fitnessstudios oder Restaurants in den Bundesländern Niedersachsen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz von der Testpflicht ausgenommen gewesen sind, kommen in Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Hamburg auch Geboosterte nicht allerorten um die Testpflicht herum. Getreu des föderalen Prinzips kocht jedes Bundesland weiter sein eigenes Süppchen. Dies gilt auch für den Fall, ab wann die Auffrischungsimpfung gültig ist. So bekommen diejenigen, die sich die dritte Corona-Spritze setzen lassen, das digitale Zertifikat in der Regel sofort ausgestellt. Aber auch hier gibt es bundesweit Uneinheitlichkeit. Gehen Studien davon aus, dass der Booster-Schutz fünf bis zwölf Tage nach der Drittimpfung wirkt, ist man beispielsweise in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sofort von einer Testpflicht befreit. Anders handeln es die Bundesländer Thüringen und Bayern, denn dort müssen erst vierzehn Tage vergehen. Bundesweit gibt es zudem Unterschiede, wer zur Auffrischungsimpfung zugelassen ist – von vier Wochen (Nordrhein-Westfalen) bis fünf Monate ist hier alles möglich.  
 
Auch im Blick auf die Quarantäne ist das föderale Chaos perfekt. Setzt SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der in Sachen Corona im Zweifelsfall immer für die strengere Maßnahmen plädierte, auf eine Verkürzung der Quarantäne, bleibt man im Süden der Republik jetzt noch länger in der Isolation. In der Regel gilt, dass in den meisten Bundesländern Geimpfte und Genesene, die mit einem Infizierten Kontakt hatten, von der Quarantänepflicht ausgenommen werden. Doch Baden-Württemberg hatte diese Zeitspanne erst kürzlich verlängert. Dort müssen Kontaktpersonen 14 Tage in Absonderung, Coronakranke zehn Tage. Das Freitesten war erst ab dem siebten Tag erlaubt und ein Schnelltest nicht ausreichend. Dagegen hatte der Freistaat Bayern auf das Gegenteil gesetzt. Dort wurde zum 28. Dezember die Quarantänezeit auf zehn Tage anstatt wie davor auf 14 Tage begrenzt.  
 
Auch beim Ferienende regierte der bundesweite Wirrwarr. Während in Bayern, Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Hessen und sechs weiteren Bundesländern die Kinder bis kurz vor Weihnachten in den Klassenzimmern blieben, gingen Brandenburg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt einen Sonderweg. Dort zog man einfach den Beginn der Weihnachtsferien vor.
 
Einen eigenen Weg ging die Landesregierung Mitte Januar 2022 in Baden-Württemberg. Dort hatte der Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Mannheim die 2G-Regel für Hochschulen gekippt. Sie soll rechtswidrig sein, so die VGH-Entscheidung. Geklagt hatte ein nicht immunisierter Student, der bei den Präsenzveranstaltungen der Hochschule in Baden-Württemberg nicht am Präsenzunterricht teilnehmen durfte. Eigentlich wollte man wegen der Omikron-Variante die Alarmstufe II noch bis Februar für die Hochschulen des Landes beibehalten, aber der VGH entschied, dass es sich um „erhebliche Grundrechtsbeschränkungen“ handle, die einen gravierenden Eingriff in das Grundrecht der Betroffenen auf Berufsausbildungsfreiheit hätten.  
 
Auch hier zeigt ein Blick auf die Webseite der „Hochschulrektorenkonferenz“ unterschiedliche bundesweite Regelungen. In Thüringen beispielsweise soll der Studienbetrieb „wieder überwiegend“ mit Präsenzveranstaltungen stattfinden. In Abhängigkeit von der Pandemieentwicklung wird dieser „allerdings auch weiterhin durch digitale Veranstaltungen flankiert“. Zutritt zu den Lehrveranstaltungen haben Geimpfte, Genesene oder Getestete. Im Freistaat gilt die 3G-Regel, während die 2G-Regel im Süden fällt.  
 
Nicht nur in Berlin, sondern bundesweit sorgte das Tanzverbot in der Hauptstadt für Geimpfte mit Test für Aufsehen. Im Dezember hatte sich die Bund-Minister-Konferenz für diese Maßnahme entschieden. Und auch nach zwei Eilentscheidungen des Verwaltungsgerichts Berlin bleibt es vorerst noch in Kraft. Konkret bedeutet das, dass man zwar in Clubs und Diskotheken gehen, sich auf einen Stuhl setzen und den DJs zuhören kann, aber tanzen bleibt ein Tabu. Für draußen allerdings gibt es keine Beschränkungen. Dort ist Party bis in die späte Nacht hinein erlaubt. Die Inzidenz, die dafür ausschlagend ist,  wurde auf 350 pro 100.000 Einwohner festgelegt. Während Berlin in Innenräumen nur das Tanzen unter Kuratel stellte, schlossen in Nordrhein-Westfalen und in mehreren Bundesländern gleich alle Clubs, obwohl dort die Inzidenz von 350 noch gar nicht erreicht war. Auch hier zeigte sich: Die Maßnahmen bleiben nicht nur uneinheitlich, sondern unlogisch.  
 
Während in der Hansestadt Hamburg die Elbphilharmonie fast zu 100 Prozent voll im geschlossenen Ambiente zum kulturellen Stelldichein einlädt, waren beim Bundesligaspiel 1. FC Köln gegen den FC Bayern München im offenen Rhein-Energie-Stadion am 15. Januar gerade einmal 750 Zuschauer live erlaubt. Zurecht erbost von der Mini-Fan-Kulisse war Kölns Trainer Steffen Baumgart: „Ich halte das für sinnlos. Die Erklärungen, die ich bisher dazu gehört habe, hören sich auch klug an, sind aber alle Mist! Das aktuelle Infektions-Geschehen hat nichts mit Fußball zu tun.“ Dass sich das Coronavirus in geschlossenen Räumen aufgrund der Aerosole leichter verbreitet, ist mittlerweile eine Binsenwahrheit. Doch in Hamburg und Nordrhein-Westfalen ist das Auslegungssache. Und wird von mal zu mal anders gehandhabt: Bei voller Elbphilharmonie durfte der Fußball-Zweitligist FC St. Paul im Januar maximal 2000 Zuschauer um die ecke ins Millerntor-Stadion lassen.  
 
Chaos herrscht bei Trauerfeiern und Beerdigungen in Niedersachsen. „Die Vorgaben sind derzeit so absurd, dass ich diese hier kaum wiedergeben möchte“ schreibt ein Bestatter. Im Landkreis Ammerland im Nordwesten des Bundeslandes gibt es eine Zwei-Klassen-Gesellschaft auf dem Friedhof: So dürfen bei Konfessionslosen maximal zehn Personen an der Trauerfeier teilnehmen, bei kirchlichen Trauerfeiern sind es deutlich mehr. Zu diesem Durcheinander passt eine Coronaverordnung der niedersächsischen Landesregierung, die einem Beschluss der Bund-Länder-Runde vom 7. Januar 2022 folgt. Dort heißt es im unverständlichen Paragrafendeutsch: „In § 7 a Absatz 2 Nr. 6 werden nach dem Wort „Veranstaltungen“ die Worte „und zu Bestattungen“ angefügt. Dieser Zusatz stellt klar, dass auch nicht religiöse Bestattungen, nicht als private Zusammenkünfte im Sinne des Absatzes 1 gelten. Bei Zusammenkünften zu solchen nicht religiösen Bestattungen ist dann jedoch nach dem neuen § 8 Abs. 3 Satz 2 der Corona VO die 3-G-Regelung einzuhalten. Vorsicht: Diese Regelung gilt nur für die offizielle Trauerfeier und den Gang zum Grab, nicht aber für das anschließende Zusammensein in einem Café, einem Restaurant oder zuhause: Dort gilt für Ungeimpfte die Regel ein Haushalt plus zwei Personen und für Geimpfte die 10-Personen-Grenze.“  
 
Während in Niedersachen die Zahl der Trauernden begrenzt ist, findet sich im bayerischen Nürnberg keine Begrenzung. Wie die Zeitung „Nürnberger Land“ dokumentiert, soll die Trauerfeier mit anschließender Beisetzung nur im engsten Kreis stattfinden. Wie eng dieser ist, bleibt aber offen.  
 
Als Ergebnis bleibt: das die Bürger verunsichert und auch nicht mit den Mitteln des gesunden Menschenverstandes zu begreifen ist.

Stefan Groß-Lobkowicz

24.01.2022 | 11:56

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