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So kann der Westen den Wirtschaftskrieg noch gewinnen

Die deutsche Wirtschaft rutscht in die Krise, weil sie ihre Abhängigkeit von russischen Energielieferungen nicht rechtzeitig reduzieren konnte. Das ganze Land könnte in eine Schieflage geraten, und darüber die Sanktionen gegen Russland in Frage stellen. Das muss nicht sein, glauben US-Ökonomen. In einem heiß diskutierten Aufsatz schlagen sie eine „Wirtschafts-Nato“ vor, die vor allem Deutschland hilft.

Die Katastrophe scheint unausweichlich: Entweder Deutschland macht mit bei den Sanktionen gegen das Regime von Wladimir Putin, nimmt damit in Kauf, von russischen Energielieferungen abgeschnitten zu werden - und ruiniert seine Wirtschaft. Oder aber Deutschland schert aus, lässt sich auf einen Deal mit der Kreml-Clique ein und trägt durch seine Zahlungen für russische Energielieferungen zur Verlängerung des Krieges in der Ukraine bei. Ein dritter Weg ist nicht in Sicht. Oder doch?

Der dritte Weg

Drei US-Wissenschaftler - Matthew Klein, Gründer des ökonomischen Forschungsdienstes Overshoot, Jordan Schneider, Analyst bei der US-Denkfabrik Rhodium und David Talbot, ehemaliger Wirtschaftsberater des US-Handelsministeriums – haben jetzt in einem vielbeachteten Aufsatz der US-Zeitschrift „Foreign Policy“ einen dritten Weg für den Westen skizziert, mit dem sich der Wirtschaftskrieg gegen Russland doch noch gewinnen ließe. Er lautet: Wir brauchen ein wirtschaftliches Verteidigungsbündnis. So wie die Nato ein militärisches Bündnis ist, in dem einer bedingungslos für den anderen einsteht, muss es ein Wirtschaftsbündnis geben, in dem sich alle Mitglieder gegenseitig unterstützen. (https://foreignpolicy.com/2022/03/23/economic-war-russia-sanctions-bailouts-west-g7-nato)

Eine beispiellose globale Allianz von Demokratien habe das Regime von Wladimir Putin als Strafe für seine Invasion in der Ukraine mit vernichtenden Sanktionen belegt, stellt das Autorentrio fest. Russland wird aus den Netzwerken, die die Weltwirtschaft zusammenhalten, ausgestoßen, da Unternehmen aus den Vereinigten Staaten, Europa, Japan, Südkorea, Taiwan und anderswo ihre Exporte einstellen und ihre Vermögenswerte und Mitarbeiter evakuieren. Ohne ständigen Zugang zu moderner Technologie und ausländischem Know-how, so die Hoffnung der Sanktionsstaaten, „werden Russlands Flugzeuge aufhören zu fliegen, seine militärische Ausrüstung wird sich verschlechtern und sogar seine Fähigkeit, Nahrungsmittel anzubauen wird gefährdet sein. Das Land durchlebt jetzt eine Wirtschaftskrise, die schlimmer ist als alles andere seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion.“ Die Allianz gegen Russland habe ein wirtschaftliches und finanzielles Schlachtfeld aufgemacht, weil sie das militärische aus guten Gründen nicht betreten will. „Um diese neue Arena zu dominieren, sollten die Verbündeten dauerhafte Mechanismen einrichten, um die Koordination während der aktuellen Krise – aber auch in zukünftigen – zu verbessern“, heißt es in dem Aufsatz, der das erste Mal im März erschienen ist und seither vor allem in den USA diskutiert wird.

Der Konsens zerbricht

Schon vor drei Monaten sahen die Autoren voraus, was sich gerade in Deutschland vor dem Hintergrund stockender Gaslieferungen aus Russland abspielt: „Die Zwangsmittel der Verbündeten werden begrenzt sein, es sei denn, sie finden einen Weg, die beträchtlichen Kosten ihrer Politik im Inland auszugleichen. Der politische Konsens zugunsten des Widerstands gegen die russische Aggression wird zerbrechen, wenn Unternehmen beginnen, Geld zu verlieren, Arbeitnehmer zu entlassen und in die roten Zahlen rutschen. Putin rechnet sicherlich damit, dass dies zu einer vorzeitigen Aufhebung der Sanktionen führen wird.“

Das kann auch passieren – vor allem, und das ist der zentrale Punkt der Argumentation der Wissenschaftler, „weil sich die Verbündeten nicht als geschlossenen Block betrachten“. Die Allianz gegen Putin sollte daher einen Mechanismus einrichten, um ihre beträchtlichen Ressourcen für strategische Zwecke zu bündeln. Es gibt keine bestehende Institution, die das gesamte Spektrum der gegen Russland aufgestellten Verbündeten umfasst oder die über die erforderlichen administrativen und technischen Fähigkeiten verfügt. Deswegen müsse eine Art Wirtschafts-Nato gegründet, deren zentralem Instrument die US-Autoren auch schon einen Namen gegeben haben: „Freiheitsfond“.

Den Schmerz verteilen

Die Autoren sehen klar: Es gebe keine Möglichkeit, dem Putin-Regime die Schrauben anzuziehen, ohne die Gewinne italienischer Modehäuser, französischer Winzer, belgischer Diamantenhändler, britischer Anwälte, der US-Flugzeughersteller, deutscher Autohersteller und österreichischer Banker zu schmälern. Einige der Verbündeten könnten es für unerschwinglich halten, diese Kosten für einen längeren Zeitraum auf sich zu nehmen. Insgesamt haben die Verbündeten jedoch mehr als genug Geld, um alle für den Verlust des russischen Marktes oder sogar im Zweifelsfall des chinesischen Marktes zu entschädigen. „Den Schmerz durch einen supranationalen Freiheitsfond auf viele Länder zu verteilen, würde die finanziellen Zwänge der Verbündeten minimieren.“

Der Freedom Fund könnte die zentrale Komponente eines gegenseitigen wirtschaftlichen Verteidigungspaktes sein. Die Verbündeten wären in der Lage, „eine fast undurchdringliche finanzielle Verteidigung aufrechtzuerhalten“, da der Freedom Fund verspricht, Unternehmen für die Kosten von Sanktionen zu entschädigen, die gegen Länder verhängt werden, die den internationalen Frieden verletzen. Dagegen „aus ökonomischen Gründen in Fragen von Krieg und Frieden zu kapitulieren, wäre erbärmlich“, halten die Autoren fest.

Deutschland wäre größter Nutznießer

Würde der Vorschlag bereits in der aktuellen Situation umgesetzt, bedeutete das, dass Deutschland gemeinsam mit Ländern wie Italien und Österreich der größte Nutznießer eines solchen Instruments wäre. Explodierenden Energiepreise, eine hohe Inflation, Materialengpässe überall treffen diese Länder derzeit als unmittelbare Folge des Krieges und der Sanktionen besonders hart. Entsprechend sinkt die Bereitschaft, die eigene wirtschaftliche Stärke, dem Krieg zu opfern, von Tag zu Tag.
Es dürfte allerdings nicht einfach sein zu erklären, warum reiche Länder gestützt werden müssen. Aber besser, als Russland täglich eine halbe Milliarde Euro für Gas zu bezahlen und damit den Krieg mit all seinen Leiden weiter zu finanzieren, wäre es allemal.                                                

Oliver Stock

05.07.2022 | 17:58

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