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Sparkassen, Banken und Versicherer stehen vor Stunde null: Neue Koalition plant Provisionsverbot

Vermittler von Krediten, Anlagemöglichkeiten und Finanzierungen nehmen Provisionen für ihre Dienste. Die sich bildende Koalition in Berlin will das ändern. Die Finanzbranche soll zur Honorarberatung übergehen, damit Kunden keine unnötigen, teuren Produkte angedreht bekommen. Die Branche läuft Sturm.

Von Oliver Stock

Auf der Zielgeraden der Koalitionsgespräche taucht zwischen den Verhandlern ein Thema von ungeahnter Sprengkraft auf: Es geht um das trocken daherkommende Thema der Provisionsberatung, das es aber in sich hat: Wenn sich hier etwas ändert, trifft es alle Kunden von Banken und Versicherern, und es trifft natürlich auch die Unternehmen selbst. Ein Frankfurter Banker spricht bereits von der „Stunde null“ für die Finanzberater. Sie dürfen möglicherweise keine Provisionen mehr kassieren, wenn sie Kunden beraten, und müssen stattdessen wie etwa Anwälte und Steuerberater feste Gebühren oder Honorare vereinbaren. Für die Kunden bedeutet das, dass eine völlig neue Preisgestaltung einige Finanzdienstleistungen billiger machen wird, andere dafür erheblich teurer.

Das Thema fand sich ursprünglich eher weiter hinten im Wahlprogramm der Grünen. Dort stand: „Häufig werden Kundinnen und Kunden Finanzprodukte angedreht, die für sie zu teuer, zu riskant oder schlicht ungeeignet sind. Diese Produkte sind häufig gut für die Gewinne der Banken und Versicherungen, aber schlecht für die Kundinnen und Kunden. Wir wollen die Finanzberatung vom Kopf auf die Füße stellen. (…) Wir wollen weg von der Provisionsberatung und schrittweise zu einer unabhängigen Honorarberatung übergehen.“ Was nach Verhandlungsmasse und guter Absicht klang, hat es inzwischen nach Informationen des WirtschaftsKuriers zu einem der entscheidenden Streitpunkte im Koalitionspoker gebracht. SPD und vor allem Grüne wollen die Provisionsberatung schrittweise abschaffen. Die FDP war strikt dagegen – inzwischen setzt sich bei den Liberalen aber mehr und mehr die Haltung durch, die Gespräche daran nicht scheitern zu lassen.

Worum geht es? Wer über eine Bank, einen Vermittler oder ein Onlineportal Finanzprodukte wie Versicherungen, Vermögensverwaltungen oder auch Kreditangebote kauft, der zahlt in der Regel beim Abschluss eine Provision an den Vermittler. Beim Kauf von langlaufenden Versicherungen wird oft eine jährliche Vertriebsvergütung als Provision für den Vermittler fällig. Für die Branche ist das eine wichtige Einnahmequelle, sie lässt sich die Beratung so bezahlen, Kunden dagegen merken von diesen Provisionen oft nichts, weil sie in die Kalkulation der Verträge einberechnet und nur selten ausdrücklich ausgewiesen sind.

Das Modell hat seine Licht- und Schattenseiten. Zu den unerwünschten Folgen gehört, dass Berater für Finanzprodukte ein ureigenes Interesse daran haben, ihren Kunden möglichst viele und möglichst teure Verträge zu verkaufen. Es kommt zu regelrechten Provisionsexzessen, was zum Beispiel bei Restschuldversicherungen der Fall gewesen ist: Versicherungen bieten Verbrauchern für die Absicherung von Darlehensverträgen Schutz, wenn sie diese wegen Berufsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit oder Tod nicht mehr bedienen können. Bei einer Marktuntersuchung durch die Finanzaufsicht BaFin gaben zwölf Banken an, dass sie als Provision 50 Prozent der Versicherungsprämie erhalten, in Ausnahmefällen lag diese sogar oberhalb von 70 Prozent. Hier hat der Gesetzgeber inzwischen ein Verbot erlassen, in dem er einen Provisionsdeckel eingeführt hat. Andere Tricks der Vermittler sind dagegen noch immer an der Tagesordnung: Etwas das häufige Umschichten von Depots, das Ablösen älterer Finanzprodukte durch angeblich bessere und neue - wobei jedes Mal eine Provision für den Vermittler anfällt. Derlei Exzesse sind Wasser auf die Mühlen derjenigen, die die Provisionsberatung verbieten wollen.

Bewährt hat sich das Provisionsmodell dagegen etwa bei Kleinanlegern, die noch eine Beratung bei der Bank suchen, bevor sie sich für eine Anlagemöglichkeit entscheiden. Helmut Schleweis Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV), rechnet vor: „Wenn Kleinanleger für eine Erstberatung von zwei Stunden erst einmal die tatsächlichen Kosten von durchschnittlich 360 Euro als Honorar auf den Tisch legen müssen, nehmen die meisten keinerlei Beratung mehr in Anspruch.“ Große Teile der Bevölkerung würden vom Zugang zu guter Beratung ausgeschlossen. Es drohe eine Unterversorgung mit Beratungsleistungen. Allerdings weiß auch Schleweis, dass beispielsweise die neue Affinität junger Anleger zu Aktien wenig mit den Beratungsangeboten der Sparkassen als mehr mit dem Spaß am Spekulieren zu tun hat.

Tatsächlich fürchten Banken und Versicherer jenen radikalen Wandel im Geschäftsmodell, den das Ende der Provisionsvermittlung heraufbeschwören würde. Denn angesichts von Negativzinsen sind für Banken, aber auch für die Versicherer, die das Geld ihrer Kunden langfristig anlegen, die Gewinne aus dem Zinsgeschäft in den Keller gerauscht. Umso abhängiger sind sie von den Provisionen. Dies gilt vor allem für die vergleichsweise jungen Online-Vermittler, die keine Altbestände in ihrem Portfolio haben, bei denen Zinsen noch eine Rolle spielen. Allein bei den digitalen Anbietern schossen die Provisionserträge im Jahr 2020 laut dem Datenanbieter Barkow Consulting auf knapp 6,5 Milliarden Euro nach oben und erreichten damit fast den Rekordwert aus dem Jahr 2000, als junge Digitalfirmen auf den Markt kamen und die Dotcom-Blase auslösten. Freie Versicherungsmakler leben oft ausschließlich von den Provisionen.

Die Finanzbranche läuft deswegen Sturm gegen die Pläne der Koalitionäre. Sie setzt auf die FDP. Die hat jedoch in den Verhandlungen zur Regierungsbildung für sich das Finanzministerium gesichert, und muss nun dafür an anderer Stelle Kompromisse mit den Grünen eingehen. Das schrittweise Verbot einer Provisionsberatung könnte dazu gehören.

Banken- und Versicherungsverband erhöhen dennoch derzeit den Druck auf die Liberalen, um noch etwas zu erreichen. Sie munitionieren die FDP beispielsweise mit einer Studie, die sie bei der Beratungsgesellschaft KPMG in Auftrag gegeben haben. Das Ergebnis passt prima in ihre Argumentationslinie: Die Provisionsberatung sichere allen Teilen der Bevölkerung einen professionellen Vermögensaufbau und die Teilhabe am Kapitalmarkt. Ein Wechsel ausschließlich zur Honorarberatung, würde hingegen breite Bevölkerungskreise gravierend benachteiligen, hat KPMG herausgefunden.
Die Autoren stellen fest, dass die Honorarberatung bis zu einem Anlagebetrag von 25.000 Euro teurer ist als die provisionsbasierte Beratung. Dabei hat KPMG den aktuellen Stundensatz von im Schnitt 180 Euro unterstellt. Ein weiteres Ergebnis der Auftragsstudie ist, dass die meisten Verbraucher nicht bereit sind, für eine Beratung zu bezahlen. Eine repräsentative Umfrage habe ergeben, dass sich nur 16 Prozent der Befragten vorstellen können, für eine Beratung ein gesondertes Honorar zu bezahlen. Dabei haben sie im Schnitt knapp 35 Euro als angemessenen Stundensatz angegeben, den tatsächlichen Wert von derzeit 180 Euro würden nur 0,3 Prozent bezahlen. Die KPMG-Studienautoren haben auch im Ausland nachgeschaut. Im Vereinigten Königreich wurden Provisionen vor acht Jahren verboten wurden. Studien der englischen Finanzaufsicht FCA zeigten, dass sich der Beratungsmarkt seither deutlich an höheren Vermögen von mindestens 60.000 Euro ausrichtet.

Auch der Gesamtverband der Versicherer (GDV) dürfte beunruhigt sein. Ein Sprecher nennt das Provisionsverbot zwar noch ein „ungelegtes Ei“, aber auf den Informationsseiten des Verbands heißt es: Der provisionsbasierte Vertrieb garantiere Beratung für alle. Um die Menschen zu mobilisieren privat fürs Alter vorzusorgen, „braucht es die aktive Ansprache durch Vermittler“. Der provisionsbasierte Vertrieb verschaffe seinen Mitarbeitern einen Anreiz, auf die Kunden zuzugehen. „Allein auf die Eigeninitiative der Menschen zu hoffen, hielte ich für ein unverantwortliches Experiment“, wird der ehemalige  GDV-Präsident Alexander Erdland zitiert. Für die deutsche Versicherungswirtschaft sei es entscheidend, dass der etablierte provisionsbasierte Vertrieb erhalten bleibt.

Die Grünen kann das alles nicht erschüttern. Sie stehen auf der Seite der Verbraucherschützer, die das System für anfällig halten, weil Provisionen Vermittlern eben einen Anreiz geben, das Produkt zu verkaufen, an dem sie am meisten verdienen und nicht das Produkt, welches dem Kunden am meisten nützt. Der ehemalige finanzpolitische Sprecher der Grünen und spätere Gründer der Bürgerbewegung Finanzwende Gerhard Schick ist einer der prominentesten Kritiker des jetzigen Modells, der seine Partei in diesem Punkt auf Linie bringt. Kunden sollten für die Beratung – wie schon bei Steuerberatern und Rechtsanwälten – aus eigener Tasche zahlen, fordert die Bürgerbewegung.  Schick dreht das Argument der Banken und Sparkassen um: „Gerade Menschen mit wenig Geld leiden, weil sie Produkte mit schlechterer Rendite angedreht bekommen.“

24.11.2021 | 09:22

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