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Strategie geht auf: Putin steckt in der Öl-Klemme

Seit Dezember gilt der von den G7-Staaten beschlossene Preisdeckel von 60 Dollar für ein Fass russisches Rohöl. Damit, so das Kalkül, würde dem Kreml-Herrscher eine wichtige Waffe aus der Hand geschlagen: Putin kann sich am Öl nicht mehr bereichern und es zur Finanzierung seines Krieges benutzen. Die russische Zentralbank warnt jetzt vor einer sehr schwachen Konjunktur. Versucht Putin eine Schattenflotte aufzubauen?
 
Die westliche Strategie könnte aufgehen: Erste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die jüngsten Sanktionen des Westen das russische Ölexportgeschäft empfindlich stören. Die Moskauer Zentralbank räumt in ungewohnter Offenheit ein, dass die wirtschaftliche Entwicklung Russlands erheblich vermindert werden wird – auch wegen des Ölembargos. Seit Dezember haben die G7-Staaten einen Beschluss umgesetzt, wonach russisches Rohöl nur noch mit höchstens 60 Dollar pro Barrel (159 Liter) bezahlt wird.
 
Die komplizierten Regelungen der G7-Staaten und Südkoreas einerseits sowie die noch darüberhinausgehenden Einschränkungen durch die EU treffen den Markt für russisches Öl in einem Moment, da weltweit keine Knappheit herrscht. Sprich: Man ist im Westen vorerst nicht darauf angewiesen, russisches Öl zu kaufen. Von daher reißen die Maßnahmen kein Loch in die Versorgung hierzulande, zumal der Westen sich längst in Richtung anderer Quellen orientiert. Zu den Sanktionsmaßnahmen gehört im übrigen auch, russischen Exporteuren keine Dienstleistungen rund um den Ölexport anzubieten, sobald beim Preis 60 Dollar pro Barrel Öl überschritten würden. Da Russland von westlicher Technologie beim Export via Öltanker angewiesen ist, greift der Preisdeckel. Außerdem: Die größten Reedereien der Welt sind in der EU angesiedelt. Zudem benötigt die internationale Tankerflotte westliche Versicherungen für die Absicherung ihrer Transporte. Das bedeutet: Wer sich nicht an den Preisdeckel von 60 Dollar hält, bekommt beim Verschiffen ein großes Problem. Nicht zuletzt deshalb schlossen sich auch zahlreiche Staaten außerhalb der EU, zum Beispiel in Asien, den Embargobedingungen an.
 
Derweil tobt unter der Oberfläche eine Art Schattenkrieg zwischen Kreml-Herrscher Wladimir Putin und einem großen Teil der restlichen Welt. Der gegenwärtige Zustand, nämlich dass Russland sein Öl in den Häfen im Baltikum und im Fernen Osten zu Preisen weit unter der Embargogrenze anbieten muss, ist auf Dauer ruinös. Doch da Russland keine ausreichenden Lagerkapazitäten hat, muss die ohnehin gedrosselte Förderung verkauft werden – zu fast jedem Preis, das wissen auch Großabnehmer wie China oder Indien. Die chinesische Unterstützung für die russischen Brüder geht dann doch nicht so weit, dass man mehr fürs Öl bezahlen würde als unbedingt nötig. So wechselt ein russisches Fass momentan je nach Sorte für 40 bis 68 Dollar den Besitzer – deutlich unter dem gegenwärtigen Preis für Öl der Nordseesorte Brent (82,60 Dollar). Zwar hat Putin per Dekret verboten, ab 1. Februar noch Öl an Importeure zu verkaufen, die direkt oder indirekt den Preisdeckel anwenden – ob sich das durchhalten lässt, ist aber naturgemäß noch offen: „Wir haben klare Signale, dass eine Reihe von Schwellenländern, vor allem in Asien, die Grundsätze der Deckelung beachten werden“, zitiert die Nachrichtenagentur AFP einen ungenannten EU-Vertreter. Damit entfielen für Moskau nach dem 1. Februar eine große Zahl von Abnehmern, was den Preis weiter drücken dürfte. Möglicherweise langt der dann ganz ohne Deckel schon bei 60 Dollar oder weniger an.
 
Zu spät dürfte eine Gegenmaßnahme wirken, die Russland nach Erkenntnissen von Brancheninsidern seit geraumer Zeit verfolgt: Der zunehmende Ankauf von gebrauchten Öltankern durch unbekannte Adressen deutet darauf hin, dass Russland dabei ist, eine sogenannte „Schattenflotte“ aufzubauen, die unter eigener Regie laufen könnte. Bis solche Schiffe einsatzfähig sind, und die nötige und milliardenteure Technik und Logistik aufgebaut sein wird, dürfte noch viel wertvolle Zeit für Putin vergehen. Und jeder Tag, an dem Russland sein Öl geradezu verschleudern muss, treibt das Defizit in die Höhe: Westliche Experten haben ausgerechnet, dass Russland ab etwa 100 Dollar pro Fass kostendeckend produzieren kann; wirklich lohnend wäre die Sache erst bei etwa 120 Dollar. Die Lage spitzt sich derzeit auch deshalb zu, weil ein solcher Preisschub nirgendwo in Sicht ist. Noch vor kurzem hatten Beobachter mit einem Anstieg auf bis zu 150 Dollar gerechnet, doch der bislang milde Winter in den Industriestaaten und insgesamt sparsamer Verbrauch haben den Bedarf einknicken lassen. Da wirkt auch die beim letzten Treffen verkündete Fördermengenkürzung der Staaten des Opec-Erdölkartells und Russlands längst nicht mehr so erschreckend wie noch im Dezember.
 
Nun kommen die Sanktionsfolgen und die Rezession zu einer für Russland unguten Mischung zusammen. Wie das Moskauer Finanzministerium diese Woche bekannt gab, betrug das Defizit im Staatshaushalt 2022 umgerechnet 44 Milliarden Euro. Die Wirtschaft schrumpfte um drei Prozent und soll im laufenden Jahr nochmals mit drei Prozent in der Rezession bleiben, wobei angesichts der volatilen Lage solche Prognosen schwierig sind. Kapitalflucht bleibt ein Krisenthema in Moskau – und die Zentralbank verwies auch auf die nun allmählich spürbaren Folgen der allgemeinen Mobilmachung für den Arbeitsmarkt: Die eingezogenen Soldaten fehlen in der Produktion. Wer noch fehlt, sind aber vor allem die zahlreichen aus dem Land geflüchteten Russen, die dem Kriegseinsatz in der Ukraine entgehen wollen. An der Embargofront kommt unterdessen eine weitere Verschärfung auf Russland zu: Ab 5. Februar voraussichtlich gelten die Sanktionen nicht mehr nur für Rohöl, sondern auch für alle Ölprodukte wie Benzin und Diesel – ein weiterer Schlag, diesmal für die Raffinerien des Landes.

Reinhard Schlieker

12.01.2023 | 10:16

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