Der Griff zum Handy genügt: Sich krank zu melden geht derzeit auch ohne Arztbesuch (Foto: picture alliance : Zoonar / Lev Dolgachow)



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Telefonische Krankschreibung hilft in der Pandemie

Bei Anruf krank: Zunächst bis Jahresende ist die telefonische Krankschreibung ohne Arztbesuch wieder möglich. Krankenkassen und Ärzte loben die Sonderregelung als wirksames Mittel in Pandemiezeiten, Unternehmer sehen sie mitunter mit gemischten Gefühlen. Der befürchtete Missbrauch durch Arbeitnehmer blieb bislang aber offenbar aus.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), ein Gremium aus Kassen, Ärzten und Krankenhäusern, hat die Sonderregelung, die schon während der ersten Corona-Welle galt, am 19. Oktober erneut in Kraft gesetzt. Demnach können Ärzte Patienten mit milden Erkältungssymptomen telefonisch krankschreiben. Den gelben Zettel gibt es für sieben bis maximal 14 Tage. Ein Freibrief für Faulenzer ist das aber nicht: Der Arzt muss sich am Telefon vom Zustand des Patienten überzeugen. Außerdem ist die Regelung für den Arzt nicht verpflichtend. Sollte ein Mediziner – in erster Linie betrifft es die Hausärzte – Zweifel an der Glaubwürdigkeit seines Patienten haben, kann er ihn in die Praxis bitten.

„Wir haben aktuell eine sich beschleunigende Infektionsdynamik mit dem Covid-19-Virus, zeitgleich aber auch vermehrt grippale Infekte. Dieses parallele Entwicklung ist besorgniserregend. Wir müssen sie unbedingt unterbrechen, ohne dass die Versorgung darunter leidet“, sagt Prof. Josef Hecken, Vorsitzender des G-BA. „Wenn wir eines in dieser ernsten Situation nicht brauchen, sind es volle Wartezimmer.“ Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat sich für die Maßnahme stark gemacht. „Die Sonderregelung zur telefonischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stellt eine wirksame Maßnahme zur Pandemiebekämpfung dar“, betont KBV-Chef Andreas Gassen. Unnötige Wege potenziell infektiöser Menschen im öffentlichen Raum ließen sich so vermeiden.

Von Unternehmer-Seite kommt ein nicht ganz so einhelliges Lob. Von einem „zweischneidigen Schwert“, spricht Markus Jerger, Geschäftsführer des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW). „Auf der einen Seite sollten Mitarbeiter, die tatsächlich erkrankt sind, nicht – womöglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln – an ihren Arbeitsplatz kommen, um andere Arbeitnehmer nicht anzustecken. Andererseits ist klar: Die Lockerung von Regelungen kann zum Missbrauch verleiten. Als Mittelstandsverband hoffen wir, dass sich die Arbeitnehmer gegenüber ihren Kollegen und den Unternehmen verantwortlich verhalten.“ Deutschland, so glaubt Jerger, sei ein Land der Zuverlässigkeit und ethischen Verantwortung. Jedem Unternehmer liege die Gesundheit der Mitarbeiter am Herzen. Vertrauen sei jedoch keine Einbahnstraße. Die Mitarbeiter müssten Verantwortung für ihre Kollegen und den Betrieb übernehmen. Eines müsse klar sein: „Missbräuchliches Verhalten ist vom Gesetzgeber zu ahnden.“ Grund zur Sorge besteht für Jerger aktuell nicht. „Nach allem, was wir von Mitgliedsunternehmen hören, scheint der bisherige Krankenmeldestand insgesamt nicht signifikant gestiegen zu sein.“ Der Verband greift hierfür auch auf Angaben des Partners DAK-Gesundheit zurück.

Einen Missbrauch der Regelung beobachten die drei größten deutschen Krankenkassen nicht. „Die Menschen gehen sehr verantwortungsvoll mit der telefonischen Krankschreibung um. Die Befürchtung einiger Arbeitgeber, dass es dadurch zu einem dauernden Anstieg von Arbeitsunfähigkeiten kommt, hat sich nicht bestätigt“, sagt Christian Bredl von der Landesvertretung Bayern der Techniker Krankenkasse, der mit 10,6 Millionen Versicherten größten Krankenkasse Deutschlands. Der Krankenstand sei trotz Corona stabil. Im ersten Halbjahr lag er bundesweit bei 4,4 Prozent. „Auch bei den Erkältungsdiagnosen stellen wir keine Auffälligkeiten fest.“ Auch die DAK-Versicherten hatten im ersten Halbjahr 2020 genauso viele Fehltage wie im Vorjahreshalbjahr: durchschnittlich 7,6 Tage.

Zur Frage, ob Patienten verantwortungsvoll mit dem Modell umgehen, hat die DAK-Gesundheit eine Studie initiiert. Die Krankenkasse befragte über das Forsa-Institut im April repräsentativ die Deutschen. Ergebnis: Nur etwas mehr als ein Drittel derjenigen, die in der ersten Pandemiewelle einen gelben Schein brauchten, holte sich diesen über eine telefonische Krankschreibung. Die Mehrheit der telefonisch Krankgeschriebenen (88 Prozent) sagte, sie wäre persönlich in eine Arztpraxis gegangen, wenn es die Sonderregelung nicht gegeben hätte.

Selbst wenn es für eine Bilanz in der zweiten Welle noch zu früh ist: Offenbar überwiegen die Vorteile. „Wir müssen nicht nur bei Covid-19, sondern bei vielen Erkrankungen generell die Ansteckungsgefahr für das Praxispersonal und für andere Patienten mit bedenken. Wenn neue Formen der Kommunikation die persönliche Begegnung in der Arztpraxis ersetzen, ist das ein wichtiger Fortschritt“, sagt der DAK-Vorstandsvorsitzende Andreas Storm. Auch BVMV-Chef Jerger findet: „Alles, was dem Gesundheitsschutz dient, ist zu begrüßen.“ Der Gemeinsame Bundesausschuss wird rechtzeitig im Dezember über die Verlängerung der telefonischen Krankmeldung entscheiden. Der Griff zum Telefon bei leichten Erkältungen, er könnte 2021 bleiben. Vielleicht ist er sogar ein Modell für die Zeit nach der Pandemie.             

Vera König

02.12.2020 | 11:46

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