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Unsicherheitsfaktor Brexit

Begrenzte Auswirkungen eines Brexit auf Wachstum im Euroraum – Bis zu sieben Prozent niedrigeres BIP in Großbritannien – Sinkende Zuflüsse in mittel- und osteuropäische Länder – EU: Flucht in „sichere Häfen“

„Das Referendum hat in Europa die Büchse der Pandora geöffnet. Von Balkanisierung bis zu mehr Integration ist jetzt alles denkbar.“ Zu dieser Einschätzung kommen die Investmentstrategen von AXA Investment Managers (AXA IM) in ihrer aktuellen Publikation „Investmentstrategie“, die die möglichen Auswirkungen eines Brexits zusammenfasst. „Wir halten die Auswirkungen auf Politik und die Ausrichtung der EU im Falle eines Brexits für wesentlich spannender und weitreichender als die auf das BIP-Wachstum im Euroraum“, so die Investmentstrategen.

Dieses werde sich nach ihrer Einschätzung über mehrere Jahre verteilt um etwa 0,5 Prozent verlangsamen. „Die EU ist in unseren Augen zurzeit institutionell schwach – unfähig, die Konjunktur wieder zu beleben, die Globalisierung zu beeinflussen oder die Migrationsprobleme zu lösen. Beide möglichen Ergebnisse des Referendums bringen daher für die EU sowohl Chancen als auch Risiken mit sich, wie etwa das Risiko von Redenominierung oder einer Verkleinerung des Euroraums“, erklärt Chefstratege Franz Wenzel. Nach einem möglichen Brexit werde die genaue Ausgestaltung der Handelsverträge für den Handel des Euroraums mit Großbritannien entscheidend sein. Derzeit mache dieser fünf Prozent des BIP aus.

Weniger Wachstum in Großbritannien und ein deutlich schwächeres Pfund würden den Handelsbilanzüberschuss des Euroraums sinken lassen, warnen die Investmentstrategen. Andrerseits würde eine eventuelle Rückverlagerung von Finanzdienstleistungen die Importe aus Großbritannien verringern.  Nach einem Brexit könnte eine Neuordnung von Aktivitäten wie Finanzdienstleistungen dazu führen, dass ausländische Direktinvestitionen nicht mehr wie bisher vor allem nach Großbritannien, sondern verstärkt in den Euroraum fließen. Dagegen sprächen allerdings zumindest kurzfristig allgemeine Sorgen um den Euroraum nach einem Brexit.

Einbußen in Großbritannien

In Großbritannien rechnen die Experten im Fall eines EU-Austritts bis 2030 mit einem zwei bis sieben Prozent niedrigerem BIP. Die meisten britischen Assetklassen seien zuletzt von der Angst vor einem Brexit bestimmt gewesen. Das gelte vor allem für das Pfund. Dieses dürfte bei einem Brexit gegenüber dem US-Dollar um zehn Prozent abwerten, schreiben die Investmentstrategen von AXA IM in ihrer Publikation. Sie raten zur Vorsicht bei risikoreichen britischen Wertpapieren. Auch wenn eine erwartete Pfund-Abwertung die Auslandsumsätze stärken dürfte, könnte eine schwächere Binnenkonjunktur Gewinnsorgen wecken. „Bei einem EU-Austritt dürften britische Aktien um zehn bis 15 Prozent fallen und die Spreads in Pfund denominierter Investmentgrade-Anleihen um 50 Basispunkte steigen“, so die Einschätzung.

Auch die mittel- und osteuropäischen Länder (MOEL) würden unter einem Brexit leiden. Ein geringeres Wachstum in Großbritannien und ein schwächeres Pfund würden die Handelsbilanzüberschüsse schwächen sowie zu Abflüssen bei den  Direktinvestionen aus Großbritannien in die MOEL führen. Diese machten derzeit noch zwischen zwei und zehn Prozent des BIP aus. Sinkende Subventionen aus der EU wären vermutlich ebenfalls eine Folge, da der EU-Haushalt bei einem Brexit kleiner werden würde. Die Experten von AXA IM rechnen darum mit einem 0,3 bis 0,9 Prozent geringerem Wachstum in den MOEL bei einem Brexit. „Die Beziehung zwischen der EU und wichtigen MOEL wie Polen und Ungarn haben sich in den letzten Jahren verschlechtert. Manche könnten dem Beispiel Großbritanniens folgen wollen“, prophezeit Wenzel.

EU: Flucht in „sichere Häfen“

Deutsche Unternehmen machen weniger als 5 Prozent ihrer Umsätze in Großbritannien. Auf die Gewinne von Euroraum-Unternehmen würde sich ein Brexit daher nur wenig auswirken, sagen die Investmentstrategen von AXA IM. Gleichwohl rechnen sie damit, dass Euroraum-Aktien Verluste von zehn bis 15 Prozent im Falle eines Brexit hinnehmen müssten. An den Unternehmensanleihemärkten käme es ihrer Prognose nach zu einer deutlichen Spreadausweitung, was jedoch von dem Unternehmensanleihekaufprogramm (CSPP) der Europäischen Zentralbank gedämpft werden dürfte.

„Insgesamt düften die Spreads Euro-denominierter Investmentgrade-Anleihen um zehn bis 20 Basispunkte steigen, mit einer Bandbreite von fünf bis zehn Basispunkten bei CSPP-fähigen Industrieanleihen und bis zu 40 Basispunkten bei nachrangigen Finanzanleihen“, so die Prognose von Wenzel. „Die Anleger werden bei einem Brexit in sichere Häfen flüchten“, prophezeit das Strategieteam. Die Staatsanleiherenditen der Euroraum-Kernländer dürften demnach sinken, die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen könnte um 25 Basispunkte fallen.

24.06.2016 | 08:56

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