„Unternehmen sollten die Nutzung von Social Media verbieten“
Woher nehmen die Menschen nur all die Zeit, die sie in sozialen Medien verbringen? Die Antwort wollen Arbeitgeber nicht hören: Sie daddeln zumeist während der Arbeitszeit. Doch ist das legal? Was Mitarbeitern droht und was Unternehmen dagegen tun können.
Wer eine Lösung für den Fachkräftemangel sucht, sollte bei Social Media anfangen: Wenn wir all die Stunden, die in Betrieben und Büros während der Arbeitszeit auf Social-Media-Kanälen verbracht wird, produktiv einsetzen würden, bräuchte es wohl viele der 1,8 Millionen Stellen gar nicht mehr, die derzeit hierzulande nicht besetzt werden können. Facebook, Twitter, LinkedIn und Co sind eine gigantische Zeitverbrennungsmaschine und auch deren Sprecher geben zu: Meistens nutzen die Menschen Social Media tagsüber während der Arbeitszeit – selten so wenig wie am Samstagabend. Je nach Studie verbringt der Deutsche durchschnittlich zwischen 1,5 Stunden und 2,5 Stunden pro Tag auf Social-Media-Plattformen. Da braucht es nicht viel Phantasie sich auszurechnen, welche Ablenkung dies im Arbeitsalltag ausmacht. Und welchen Wertverlust aus Sicht der Unternehmen und der Wirtschaft.
Wer mit Anwälten spricht, kratzt sich am Kopf, warum das viele Arbeitgeber stillschweigend gestatten. Denn die juristische Lage ist eindeutig: „Er muss nicht gesondert darauf hinweisen, dass Arbeitnehmer Social-Media nicht privat während der Arbeitszeit nutzen sollen. Es gibt kein Recht des Arbeitnehmers auf private Nutzung des Internets während der Arbeitszeit“, sagt Julia Förster, Anwältin bei der Kanzlei Freshfields und unter anderen spezialisiert auf arbeitsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit Compliance- und Datenschutzthemen. Nur die private Nutzung von Social Media während der Pausen unter Verwendung privater Geräte ist unproblematisch.
Viele Arbeitnehmer sind zu gutgläubig
Der Arbeitnehmer könne nicht darauf vertrauen, dass ihr Arbeitgeber die private Internetnutzung während der Arbeitszeit toleriert, es sei denn er hat sie ausdrücklich gestattet. Und selbst dann darf das Daddeln nicht zu lange dauern: „Der Arbeitnehmer verletzt bei einer privaten Internetnutzung während der Arbeitszeit seine arbeitsvertragliche Pflicht zur Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung“, sagt Julia Förster. Die Pflichtverletzung wiege dabei umso schwerer, je mehr der Arbeitnehmer bei der privaten Nutzung des Internets seine Arbeitspflicht in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht vernachlässigt. „Das Verhalten des Arbeitnehmers kann unter Umständen auch strafrechtlich relevant sein, wenn er wissentlich und willentlich darüber täuscht, dass er seine Arbeitsleistung erbringt“, so die Anwältin.
Nun mögen sich viele auf ein gewisses „Gewohnheitsrecht“ berufen. Ob aber ein Anspruch des Arbeitnehmers auf private Internetnutzung aus der Duldung des Arbeitgebers erwächst, wenn dieser ein entsprechendes Verhalten jahrelang kommentarlos hinnimmt, ist umstritten. „Teilweise wird in diesen Fällen das Bestehen einer sogenannten betrieblichen Übung bejaht“, erklärt Julia Förster. Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer davon ausgehen darf, dass sich die Haltung des Unternehmens nicht urplötzlich ändert. Wenn der Arbeitgeber die Nutzung von Social Media also jahrelang toleriert, kann er seine Leute nicht von einen Tag auf den anderen dafür maßregeln.
Vertrag genau lesen
Oft ist in Unternehmen gar nicht genau geregelt, ob die private Nutzung des Internets inklusive Social Media erlaubt ist oder nicht. Wenn es jedoch ausdrücklich verboten wurde – und das steht bisweilen im Kleingedruckten der Arbeitsverträge oder in der Betriebsvereinbarung, dann können sich Mitarbeiter auf keinen Fall aufs „Gewohnheitsrecht“ berufen. Hat der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern die private Nutzung von Betriebsmitteln, also Computer, Tablet oder Mobiltelefon, während der Arbeitszeit gestattet, „ist es dringend anzuraten, die Grenzen der Privatnutzung festzulegen und ausdrücklich darauf hinzuweisen, wenn bestimmte Social-Media Portale während der Arbeitszeit nicht besucht werden sollen“, rät Thomas Granetzny, ebenfalls Anwalt bei Freshfields.
Auch ohne eine explizite zeitliche Limitierung seitens des Arbeitgebers sei eine exzessive Nutzung unzulässig. Es gibt zum Beispiel Urteile, wo eine außerordentliche Kündigung rechtens war, nachdem ein Angestellter in 30 Tagen 40 Stunden lang Laptop und Co. für private Zwecke genutzt hat. Zum Vergleich: Das entspricht in etwa der durchschnittlichen Zeit, die jeder Deutsche während der Arbeitszeit auf sozialen Medien unterwegs ist. Kündigt der Arbeitgeber deswegen, liegt die Beweispflicht bei ihm. Allerdings enthalten viele Posts aber Datum und Uhrzeit, womit Arbeitnehmer schnell zu überführen sind. Um einer Kündigung dann noch zu entgehen, müssten sie nachweisen, „dass die private Nutzung während der Arbeitszeit erlaubt war oder gegebenenfalls geduldet wurde“, sagt Granetzny.
Der goldene Mittelweg
Stellt sich die Frage: Wie kann ein Arbeitgeber durchsetzen, dass sich die Leute am Riemen reißen, bevor es zum Streit kommt? Der Anwalt rät: „Aus unserer Sicht ist es aus verschiedenen Gründen ratsam, die Privatnutzung während der Arbeitszeit zu verbieten.“ Was die Mitarbeiter davon halten würden, lässt sich leicht erahnen. Wenn Betriebe die Nutzung von Social Media dann doch erlauben wollen, bevor ihnen in Zeiten von Fachkräftemangel die Mitarbeiter abhandenkommen, „empfehlen wir Arbeitgebern klare und verhältnismäßige Grundsätze über die private Internetnutzung aufzustellen“, rät Granetzny. Diese soll auch die Nutzung von Social-Media thematisieren und mögliche Kontrollmaßnahmen vorsehen in Bezug auf die Nutzung von Firmengeräten, nicht hingegen bei Privatgeräten.
Denn welche konkreten Kontrollmöglichkeiten der Arbeitgeber hat, hängt davon ab, ob die Privatnutzung gestattet ist oder nicht. Bei einem Verbot der Privatnutzung und konkreten Anhaltspunkten für eine unzulässige Internetnutzung „ist dem Arbeitgeber anzuraten, diese Verdachtsmomente detailliert zu protokollieren“. Gibt es einen Betriebsrat sind die Voraussetzungen, unter denen eine Kontrolle stattfinden kann, in der Regel Gegenstand einer Betriebsvereinbarung. Kommt es zu Kontrollmaßnahmen, wie zum Beispiel einer Überprüfung des Browserverlaufs des Arbeitnehmers, ist es empfehlenswert, den Betriebsrat, den Datenschutzbeauftragten und oft auch den Arbeitnehmer hinzuziehen. Auf dem Dienstlaptop oder -handy kann der Arbeitgeber zum Beispiel durch den Einsatz von Filterprogrammen oder Zugangssperren die Nutzung bestimmter Websites wie beliebter Social-Media-Plattformen ausschließen.
Thorsten Giersch
16.12.2022 | 10:23